Wenn Silberscheiben fröhlich glitzern

3X Kunst CD ROM Besprechungen

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Vor nicht allzu langer Zeit wurde die CD ROM noch als das interaktive Hypermedium der Zukunft gepriesen. Dann geriet es gegenüber dem Web etwas ins Hintertreffen. Dennoch werden heute wohl mehr CD ROMŽs produziert denn je. Telepolis stellte die Frage, ob das Medium mittlerweile aus den Windeln ist und einige seiner Versprechungen einlösen konnte. Als Anschauungsbeispiele dienen drei unterschiedliche Werke aus dem Kunstkontext, "Venetian Deer" von den "Veteranen", "Artintact III" des ZKM und "Nam June Paik" vom Systhema-Verlag.

Nam June Paik

Screenshot Nam June Paik

"Diese von Nam June Paik autorisierte CD-ROM dokumentiert das Werk des Künstlers umfassend und mediengerecht", schrieb der Systhema-Verlag auf die CD-Hülle. Doch darüber ließe sich streiten. Denn für nicht ganz billige DM 98.- bietet dieses Werk ausgesprochen wenig. Zwar finden sich auch wirklich viele bunte Bilder und manche Videoanimation, doch erscheint das alles in seiner Gesamtheit reichlich unstrukturiert und dadurch uninformativ. In einer falsch verstandenen Multimedia-Begeisterung hat man darauf verzichtet, ein textorientiertes Inhaltsverzeichnis oder eine andere, Übersicht verschaffende Navigationsstruktur anzulegen. Die User dem puren Fluß der Töne und Bilder zu überlassen, kann im Fall einer CD-ROM, die sich selbst als Kunst versteht, ein gelungener Kunstgriff sein (siehe unten), insofern das "grafische Userinterface" dann nicht logisch, sondern eben intuitiv strukturiert ist. Die Nam June Paik CD-ROM versteht sich aber ganz offensichtlich als Dokumentation ÜBER das Werk des Künstlers und nicht als Kunstwerk selbst.

Doch auch im Sinne der Dokumentation wird wenig geleistet. Zwar findet sich einiges an Text, doch dieser ist meist als Originalzitat in Form einer Sprechblase verbunden mit einem Bild des Künstlers eingebaut. Die Texthäppchen werden so zu "Soundbytes", zu knappen, manchmal knackigen, nach Aufmerksamkeit haschenden Paik-Zitaten. Das versteht man wohl unter "mediengerecht", d.h. die Aufnahmekapazität der Leser soll nicht mit mehr als 10 Zeilen Text hintereinander gequält werden. Im Erscheinungsbild läßt es aber weniger an das "fließende Hypermedium" denken, sondern an zweidimensionale Schautafeln in einer populären Werkschau. Letzteres zeichnete sich zunehmend als elementare Erkenntnis angesichts dieser CD-ROM heraus. Die vielfältigen hypertextuellen und intermedialen Möglichkeiten des Mediums werden nicht genutzt und man gewinnt den Eindruck des unsystematischen Herumwanderns in einer schlecht strukturierten Ausstellung. Der informative Mehrwert, den eine CD-ROM bieten könnte, entfällt. Wer sich z.B. aus kunsthistorischem Interesse mit Paik beschäftigt, wird enttäuscht sein, weder eine ausführliche Biografie, noch eine Werkschau oder ein Ausstellungsverzeichnis vorzufinden. So kann die CD ROM den Profis wenig bieten.

Ob aber interessierte Laien, die über Paik wenig wissen, bereit sind, 98.- DM auszulegen, um danach einige bunte Bildchen gesehen zu haben, aber auch nicht viel schlauer zu sein, ist die andere Frage. So bleibt leider wenig mehr als die Feststellung, daß diese CD-ROM nach Kräften die Nachteile des Mediums dokumentiert. Ein echter Ausstellungsbesuch, plus Katalog und evtl. ein wenig Web-Recherche bringt wohl einen wesentlich umfassenderen und sinnesfroheren Zugang zum Werk des Künstlers und ist im Endeffekt auch nicht teurer.

Nam June Paik + Charlotte Moorman DM 98.- http://www.systhema.de

Artintact III
ZKM Karlsruhe, Ken Feinghold, Perry Hoberman, George Legrady

Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe ist eines der finanziell und technisch am besten ausgestatteten Institute dieser Art auf der gesamten Welt. Der Leiter des Bildinstituts, Jeffrey Shaw, ist selbst ein in Medienkreisen sehr arrivierter Künstler und verfügt entsprechend über Kontakte zu KünstlerkollegInnen auf allen Kontinenten. Sie werden eingeladen, um als Gastkünstler am ZKM Projekte zu verwirklichen. Dabei verfügen sie über einen Maschinenpark, der alle Stückerln spielt, sowie über willige Techniker, die nur darauf warten, mit den Künstlern Projekte zu verwirklichen.

Screenshot P.Hoberman

Entsprechend hochgeschraubt sind die Erwartungen an eine CD-ROM Serie aus diesem Institut. Vorneweg, die Erwartungen werden nicht (ganz) enttäuscht. Artintact III kommt im Verbund mit einem Buch-Katalog, in dessen Hülle die CD-ROM eingelassen ist. Das hat den großen Vorteil, daß der rein textlich informative und reflexive Teil auf das Printmedium entfallen kann, wo es auch besser aufgehoben ist. Hier, in der Printbeigabe, findet sich ein medienarchäologischer Einführungstext von Peter Weibel, sowie Texte von und über Feingold, Legrady und Hoberman, inklusive Biografien, Ausstellungsverzeichnis, etc.

Die CD-ROM bedient sich eines ausgesprochen minimalistischen Gestaltungsprinzips. Auf der Startseite befinden sich die Namen der Künstler in dicken grauen Lettern vor schwarzem Hintergrund. Einzelne Lettern verwandeln sich in Grün, die Schriftzüge werden durch diese Farbüberlagerung animiert, Buchstaben der Worte tauschen sich untereinander aus. Über dieses geschmackvoll-einfache Interface sind die drei Arbeiten anwählbar. Die Arbeiten unterscheiden sich deutlich von einander im Interaktionsgrad, den sie bieten.

CJC Junkman von Ken Feingold bietet absichtlich Null-Interaktivität. Wer seinen Namen anklickt sieht den Kopf einer Roboterpuppe, die Feingold übrigens im Rahmen einer telematischen Skulptur verwendet hatte. Neben, über, vor und hinter dem Puppenkopf tauchen Bilder (GIFŽs aus dem WWW) auf und verschwinden. Weder ihr Auftauchen, noch ihr Verschwinden ist vom User beeinflußbar. Aus einem persönlichen Gespräch mit dem Künstler (diese m.E. nach wesentliche Information findet sich im beigelegten Katalog nicht) weiß ich, daß er ein Programm geschrieben hat, eine Art Robot, der automatisch das Internet nach Bildern durchsucht und diese Bilder auf einer Web-Site ablegt. So erscheint der Puppenkopf als "Agent" des Users, umschwirrt von der Bilderwelt des WWW. Gerade indem keine Interaktion angeboten wird, kann den Nutzern so die Erwartungshaltung der Interaktion vor Augen geführt werden. Eine derartige Aussage erscheint legitim, auch, daß die User wohl mit einem unbefriedigten Gefühl zurückbleiben. Dennoch erscheint das Gesamtkonzept nicht selbsterklärend genug, weil es sich nicht notgedrungen aufdrängt, daß ein Bezug zum Web, zur Interaktivität in einem weltweiten Datennetz hergestellt wird.

Die "Unterteilung des elektrischen Lichts" ist die Nr.2 im Menü und stammt von Perry Hoberman. Diese Arbeit hat einen eher medienpädagogischen als künstlerischen Charakter (wobei die Grenzen sicherlich schwierig zu definieren sind). Auf schwarzem Hintergrund erscheinen in immer neuen Konstellationen Räume, Projektionsflächen und Projektionsapparaturen. Der Künstler will uns (auch im historischen Sinn) die Umstrukturierung der Wahrnehmung unter Einfluß verschiedener Medien im zwanzigsten Jahrhundert vorführen. Durch Mausklicks des Users verändern sich Projektionsverhältnisse, Bilder treten in den Vordergrund, oder ein Film "reißt", ein Kader brennt durch, etc.. Doch auch hier ist die Auswahl der möglichen Klicks recht beschränkt. Die "Aufgabe" besteht darin, zwei bis drei "richtige" Klicks, also Treffer, zu landen, damit die nächste Sequenz erscheint. "Multiple Choice" im weiteren Sinn, ein "hypertextuelles Lesen" der Narration wird nicht angeboten. Dafür jedoch ein ruhiger Fluß von Bildern, der uns etwas über die Geschichte der medialen Wahrnehmung erzählt, aber auch über unsere Präsenz als "von den Medien Wahrgenommene".

Was ich dabei persönlich vermisse, ist der liebevoll anarchische Witz, den Hoberman in anderen Arbeiten wie "Bar Code Hotel" oder "Cathartic User Interfaces" gezeigt hatte. Letztere Arbeit z.B. bestand aus Apple-Dialog Boxen mit Inhalten wie: "type in your password please, user: forgotten@amnesia.com", oder "der Befehl kann nicht ausgeführt werden, da er mehr RAM benötigt, als im gesamten bekannten Universum verfügbar ist".

Screenshot Legrady

Die dritte Arbeit auf der "Artintact" CD-ROM ist "Slippery Traces - the Postcard Trail" von George Legrady. Sie ist am ehesten "mediengerecht", wenn damit gemeint ist, daß immanente Eigenschaften des Mediums CD-ROM nicht einfach nur technisch genutzt werden, sondern im Sinn des klassischen Form-Inhalt Problems als formale Elemente, deren Anwendung zugleich dazu beiträgt, den "Inhalt" zu konstituieren. In "Slippery Traces" können die Zuschauer durch ein Netz von ca. 230 Postkarten aus der persönlichen Sammlung von Legrady navigieren. Die Postkarten sind nach Bedeutungen untereinander geordnet und in Gruppen verbunden. Jede Postkarte enthält mehrere HotSpots, also hervorgehobene Bereiche, die, wenn sie angeklickt werden, die Verbindung zu einem neuen Bild herstellen. Durch die Auswahl des jeweiligen Nutzers entsteht eine Sequenz von Bildern, die später abrufbar ist, ein aus Bildern bestehender "Hypertext" als Resultat des eigenen Nutzerverhaltens.

Legrady stellt dabei die gesellschaftlich codierten Postkarten der Erwartungshaltung der "künstlerischen Fotografie" gegenüber und läßt die Nutzer/Individuen einen Pfad durch das kollektive Gedächtnis der Postkartenerinnerungen bahnen. Dieser Pfad ist durch die von Legrady definierten Gruppen vorherbestimmt, und durch die Art, wie die markierten Bereiche der Bilder blitzschnell vergrößert werden (heranzoomen) oder wieder auf Distanz gehen (wegzoomen). Die Navigation wird somit zu einer Art "Jagd nach Bildern", welche die Spontaneität im Herausgreifen der "angesprungenen" Bildteile betont. Im Reflexionsprozeß, dem rückwirkenden Anschauen der eigenen Bilderspur, haben die Nutzer die Möglichkeit, sowohl der eigenen Subjektivität als auch dem Verhältnis zum gesellschaftlichen Code, der auf den Postkarten lastet, auf die Schliche zu kommen.

"Slippery Traces" wurde übrigens als Rauminstallation bei mehreren Festivals 1996 gezeigt und tritt die Nachfolge von Legradys "Archive des Kalten Krieges" an, jener CD-ROM Arbeit, die ihn hierzulande bekannt gemacht hat. Das soll erwähnt sein, da sich Legrady zum Unterschied von den anderen Künstlern in seiner Arbeit bisher u.a. auf den CD-ROM Bereich konzentriert hat. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine Arbeit, die nicht nur auf dieser CD-ROM den Höhepunkt markiert, sondern auch im internationalen Vergleich eine der wenigen konzeptuell befriedigenden Arbeiten im CD-ROM Sektor ist.

CD-ROMagazin interaktiver Kunst = Artist's interactive CD-ROMagazine./ Hrsg. ZKM Karlsruhe - Stuttgart : Cantz, 1996. - 124 S. : Illustrationen + CD-ROM ISBN 3-89322-861-6 98,- DM

Die Veteranen

Screenshot Venetian Deer

Die Veteranen, bestehend aus KP Ludwig John, Stephan Eichhorn, Tjark Ihmels und Michael Thouma hatte bereits vor einigen Jahren die erste "Veteranen" CD-ROM herausgegeben. Diese war bunt, verspielt, witzig und eines der ersten einigermaßen professionell gemachten CD-ROM Produkte aus Künstlerhand in Deutschland. So gelang es den Veteranen immerhin einige Achtungserfolge (EMMA Priese) zu erzielen und mit ihrem Produkt im Vertrieb von einem "Major", dem Systhema-Verlag, zu landen.

Einiges, was über Veteranen I gesagt wurde, gilt auch für das neue Produkt. Sie ist bunt, mit zeitgenössischer Digitalmusik unterlegt und fordert den Spieltrieb heraus. So lautet auch das Motto im Untertitel "Click! Create! Communicate!" Im spielerischen Element liegt die Chance aber auch das Verhängnis dieser CD-ROM begraben. Das gesamte Werk ist von keiner übergeordneten Idee getragen, es fehlt an konzeptueller Klarheit, die an den Arbeiten von z.B. Legrady, Hoberman, Feingold besonders augenfällig ist. Stattdessen bietet sie eine Reihe "lustiger" Interaktionsmöglichkeiten. Ein großes Spektrum (um nicht zu sagen "alle") an Interaktionsmöglichkeiten, die Maus und Bildschirm bieten, wird in den verschiedenen Sequenzen angeboten. Mal verändert sich was im Bild, wenn man klickt, mal im Sound, mal genügt schon das Scrollen mit der Maus, mal will mehrfach geklickt und herumverschoben sein, mal flitzen die Bilder ganz wirr über den Schirm und die Maus kann das Geschehen nur marginal beeinflußen, so z.B. in der Geschwindigkeit und Intensität, nicht aber "was" geschieht.

Das ist durchaus abwechslungsreich und auch "lustig", wenn letzteres Wort im Deutschen nicht so eine Negativbedeutung hätte. Denn "lustig" bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch auch oberflächlich, ja geradezu das Gegenteil von "geistig" oder "inhaltlich". Man soll mich einen "Miesepeter" schimpfen, wenn ich an der Stelle nach Tiefgang um jeden Preis verlangen würde. Schließlich aber kann ich das Gefühl nicht unterdrücken, daß die Veteranen es sich vielleicht doch zu einfach gemacht haben. Die einzelnen Szenen, man könnte auch sagen "Spiele", stehen zu sehr für sich, und wirken noch dazu sehr skizzenhaft. So wirkt das Gesamte mehr wie eine Ideensammlung zu netten CD-ROM Interaktionen als ein wie auch immer geartetes einheitliches Werk. Auch sind die grafischen Arbeiten sehr unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von gutgemachten 3D Objekten bis zu echt infantilen und gewollt oder ungewollt farblich geschmacklosen Strichmännchen-Comics. Klar, mit einiger Rhetorik kann man alles als absichtlich verkaufen. Hier scheint es aber eher so, daß ein unreifes Produkt aus irgendwelchen Gründen auf den Markt mußte, nachdem zwischen Veteranen I und II ohnehin bereits zwei Jahre vergangen waren.

So bleibt noch anzumerken, daß die Tonebene bei den Veteranen auffällig gut ist, während sie - leider, das ist bei vielen CD-ROMs ein großes Handikapp - bei vielen Produkten ganz vernachlässigt wird. Die Veteranen haben sich als Tonmeister die englische Experimentalgruppe "Stock, Hausen und Walkman" geholt. Der Name allein wäre einen Preis wert, da er die Referenz-Brücke zu Elektronik-Altmeister Stockhausen aufbaut, aber gleichzeitig zum Hitproduzententrio "Stock, Aitken, Waterman", die seit den achtziger Jahren als Produzenten hinter Sternchen wie Samantha Fox oder Kylie Minogue permanent Soft-Pop-Hitparadenfutter liefern, "Walkmanmusik" also. Und genau zwischen diesen Referenzen - elektronischer Pop für die Massen und elektronische E-Musik - schwanken "Stock, Hausen, Walkman" in ihrem fröhlichen, digitalen Eklektizismus. So ist es ein echt cooles Feature der CD-ROM, daß die Soundtracks auch als reine Audio CD abspielbar sind.

"Venetian Deer", Die Veteranen DM 49.- http://www.systhema.de

Resumme

Während die Nam June Paik CD-ROM vor allem zeigt, wie man es nicht machen soll, gelingt es "Artintact" und mit Einschränkungen den "Veteranen", Möglichkeiten zu einer sinnvollen Nutzung des Mediums und mögliche Wege zur Weiterentwicklung aufzuzeigen. Ob die CD-ROM sich aber wirklich durchsetzen wird und ein interessanter Markt mit chancenreichen Nischen, ob Kunst, Pop oder etwas dazwischen, entstehen wird, ist fraglich. Mit wachsenden Bandbreiten im Internet, neuen Programmiertechniken wie Java, der Einbindung von Shockwave, VRML, etc., frage ich mich als vernetzter Internet-Potatoe, wozu ich eigentlich in einen Laden gehen und mir für 100.- DM eine Silberscheibe kaufen sollte. Denn selbst wenn im Internet nicht mehr alles "gratis" ist und qualitätvolle inhaltliche Programme bei Benutzung Geld kosten, wäre ich eher bereit, sagen wir mal 5 Mark zu zahlen, um einmal "Veteranen" zu spielen, als mir für eine Vielzahl dieses Betrages die CD ROM ins Buchregal zu legen, wo sie nach dem ersten Ausprobieren wohl auch für immer liegen bleiben würde. Das soll nun aber auch nicht allzu apodiktisch klingen. Die CD-ROM ist immer noch jung und auch hier wird es technische Weiterentwicklungen geben (wie z.B. die immer beliebtere Verbindung von CD-ROM mit Website). Deshalb sollten wir bei den wenigen anspruchsvollen Kreationen nicht überkritisch sein und dem jungen Medium eine Chance geben, über die Phase des Milchzahnwachstums hinauszukommen.