Wenn der Arzt zur Marke wird
Das deutsche Gesundheitswesen ist seit geraumer Zeit im Umbruch. Was sich als mehr Effizenz über Digitalisierung abzeichnet, verändert das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten
Die klassische Landarztpraxis, die oft über Generationen bestanden hat, ist mangels ausgebildetem Nachwuchs eine aussterbende Spezies. Daher wird die medizinische Versorgung auf dem Land zusehends ausgedünnt und im ersten Schritt auf die Mittelzentren konzentriert, um dann sukzessive weiter konzentriert zu werden.
Kleine Krankenhäuser sollten aufgelöst werden, weil sie sich oft weder die speziellen Gerätschaften leisten können, noch ausreichend Praxis erarbeiten können. Im Zusammenhang mit Corona hatte man diese Entwicklung dieses Jahr nicht mehr offensiv weitergeführt und ist damit letztlich besser gefahren als Norditalien, wo die Professionalisierung und die damit verbundene Ausdünnung der medizinischen Versorgung schon deutlich weiter fortgeschritten war.
Es ist jedoch keinesfalls damit zu rechnen, dass die betriebswirtschaftliche Optimierung des Gesundheitswesens in Deutschland in Kürze aufgegeben wird.
Ein Blick in die Schweiz
In Deutschland verordnet der Arzt traditionell ein Medikament nur und stellt das entsprechende Rezept aus, mit dem der Patient dann zur Apotheke seiner Wahl geht, um das verordnete Medikament zu kaufen oder es, falls es nicht vorrätig ist, jedoch grundsätzlich lieferbar, dort bestellt. Die Auslieferung des Pharmagroßhandels an die Apotheken erfolgt üblicherweise mehrmals täglich.
Der Apotheker hat grundsätzlich, im Gegensatz zum Arzt, auch den Überblick, für welches Medikament es einen aktuellen Rabattvertrag mit der jeweiligen Krankenkasse gibt. Letztlich verordnet der Arzt somit nur den Wirkstoff und handelt nicht mit ihm. Dass es Anreizprogramme gibt, die Ärzte zu Verordnung eines bestimmten Medikamentes führen sollen, ist dabei nicht von der Hand zu weisen.
In der Schweiz sind die Ärzte jedoch direkt Teil der Medikamentendistribution. Man nennt diese dort "selbst dispensierende Ärzte". Das ist eine grundsätzlich andere Tradition, hat jedoch inzwischen auch Einfluss auf den deutschen Gesundheitsmarkt. Die Ursprünge der Schweizer Zur Rose Group gehen auf die 1993 gemeinsam mit Ärzten gegründete Grossistin für selbstdispensierende ostschweizer Ärzte zurück. Inzwischen hat sich die Zur Rose Group AG in Mittel- und Westeuropa ausgebreitet.
In Deutschland gehört seit 2012 die auch im politischen Umfeld gut vernetzte Versandapotheke DocMorris zur Zur Rose Group. Die unterschiedlichen Gesundheitssysteme in Europa bietet die Möglichkeit, je nach politischen Rahmenbedingungen unterschiedliche Geschäftsmodelle zu entwickeln und diese in der Folge durch intensive Lobbytätigkeit in anderen Märkten politisch zu etablieren.
Eine besondere Vorreiterrolle kommt hier der Schweizer Firma BlueCare zu, die von sich sagt:
"Von ideal auf Arztpraxen abgestimmten, cleveren IT-Systemen und Software bis hin zur Begleitung in Ihren eHealth- und Managed Care-Projekten: Wir sind Ihre Experten in der Zusammenführung von Informatik und Gesundheitswesen. Gemeinsam mit Arztpraxen, Spitälern, Ärztenetzen und ärztenahen Organisationen arbeitet BlueCare an der Digitalisierung des Gesundheitswesens."
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland
In Deutschland haben die Schweizer kürzlich das 2015 von der Juristin Katharina Jünger gegründete Münchener StartUp Teleclinic übernommen, das mit der Aussage "Tschüss Wartezimmer. Hallo Online-Arzt. Arztgespräch, Rezept und Krankschreibung in Minuten" wirbt und aktuell auch Covid-19 Sofort-Tests anbietet (für 152,16 € und Covid-19 Antikörper-Tests für 68,72 €, die jeweils vom Kunden selbst getragen werden müssen). Das ab dem kommenden Jahr geplante elektronische Rezept dürfte dieses Geschäftsfeld beflügeln.
Die im Kaffeegeschäft zu Vermögen gekommene ursprünglich aus Bremen stammende Familie Jacobs hat nach ihrer Übersiedelung in die Schweiz und den Verkauf des Bremer Rösters über die Familienholding in die Zeitarbeitsfirma Adecco investiert und nach einem Teilverkauf den Erlös für den Aufbau der unter dem Namen Colosseum Dental firmierenden Zahnärzte-Kette. Man sucht hier etablierte Zahnarztpraxen aufzukaufen, wenn die bisherigen Betreiber sich beispielsweise aus Altersgründen zur Ruhe setzen wollen oder das wirtschaftliche Risiko der Praxis nicht weiter eingehen wollen oder können.
Der Einbruch des Geschäfts im Zusammenhang mit Covid-19 lässt hier zusätzlich manchen Zahnarzt die Aufgabe seiner Praxis erwägen. Technische Probleme bei der Abrechnung der erbrachten Leistungen tragen zudem zum Zermürben der Dentisten bei.
Die Kettenbetreiber verfügen über so viel Kapital und juristischen Sachverstand, dass sie in der Lage wären, die gesamte Branche umzukrempeln und Leistungen beispielsweise bei der Prothetik vom Zahnarzt auf preiswertere Dienstleister zu verlagern, so dass künftig der örtliche Apotheker, der Geschäft an die Online-Apothekern verliert, die Datenerfassung über Scans des Mundraums übernimmt, so dass ein Vertragsdentist später nur noch für den Einbau benötigt wird.
Digitalisierung der Physiotherapie
Von der Digitalisierung im Gesundheitswesens sind jedoch nicht nur Ärzte und Apotheker betroffen, sondern im wachsenden Umfang auch Bereiche wie die Physiotherapie, die bislang äußerst kleinteilig strukturiert ist und sehr nahe am Patienten arbeitet.
Je mehr der Aufgaben auf Maschinen verlagert werden, desto weniger Menschen wird man künftig benötigen. Die Anwendungen werden dann online über eine App an das Trainingsgerät übermittelt und der Patient muss sich an diesen Vorgaben orientieren. Die dafür benötigte Technik ist in einzelnen Elementen heute schon verfügbar und muss nur noch zu einem Gesamtsystem zusammengefügt werden.
Der traditionelle persönliche Kontakt zwischen Patient und Hausarzt wird zunehmend von Algorithmen abgelöst, die den zum reinen Kunden degradierten ehemaligen Patienten zum Spielball von Investoren werden lässt, die auf der Basis von spezifischen persönlichen Daten, wie sie wohl künftig verfügbar sein werden, das optimale Angebot entwickeln können, wobei sich die Frage stellt, für wen das Angebot optimiert ist?