Wenn der Sieg der Taliban zum Wahlkampfgeschenk wird
Während Verzweifelte aus Afghanistan flüchten, warnt die Union vor einem "neuen 2015". Jetzt sollte auch an die linke Geschichte des Landes am Hindukusch erinnert werden
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan initiieren verschiedene rechte Gruppen eine Stimmungsmache gegen Flüchtende und Migranten. Die Union will der AfD dieses Mal nicht das Feld überlassen und warnt vor einen "neuen 2015". Für Kritik sorgte vor wenigen Tagen der Unionskanzlerkandidat Armin Laschet, weil er in einem Interview in den ARD-Tagesthemen davor warnte, die "Fehler von 2015" zu wiederholen.
Wie linksliberale Kritikerinnen und Kritiker richtig bemerkten, bezog sich Laschet mit dem Chiffre "2015" auf die Einreise tausender Geflüchteter im Herbst 2015. Auch die stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Thomas Strobl und Julia Klöckner bedienten mit der Erklärung, 2015 dürfe sich nicht wiederholen, ein bei rechten Gruppen beliebtes Motiv. Diese Gruppen sahen den Fehler darin, dass damals die Grenzen nicht geschlossen und die Migranten nicht an der Einreise gehindert wurden.
Daran knüpft die Ko-Fraktionschefin der AfD im Bundestag, Alice Weidel, mit ihrer aktuellen Forderung an, das Asylrecht angesichts der Situation in Afghanistan auszusetzen. Der AfD-Politiker Thino Chrupalla, mit dem sich Weidel die Spitzenkandidatur bei der kommenden Bundestagswahl teilt, wiederholt mit seinem Gerede von einem drohenden Kontrollverlust an den Außengrenzen ein Motiv, das die Rechten seit Jahren anbringen.
Der AfD-Ko-Fraktionschef Alexander Gauland plädierte im Deutschlandfunk sogar dafür, den radikalislamischen Taliban einfach zu glauben, wenn sie sagen, dass sie den afghanischen Ortskräften deutscher Hilfsorganisationen keine Gewalt antun werden. Er sprach sich dafür aus, nur die Ortskräfte der Bundeswehr in Deutschland aufzunehmen. "Die Taliban haben ja gesagt, dass sie die Leute nicht verfolgen werden", so Gauland.
Doch nicht nur die AfD versucht angesichts der Situation in Afghanistan mit der Warnung vor einen neuen unkontrollierten Flüchtlingszustrom erneut Ängste zu schüren. Auch die rechtspopulistische Initiative "Ein-Prozent" lamentiert mit bedrohlichem Unterton: "Afghanistan ist gefallen und die Massen haben sich in Bewegung gesetzt. Sie kommen! Ihr Ziel: Deutschland." Auf der rechten Internetplattform PI-News wird bereits vor "afghanischen Zuständen in Deutschland" gewarnt.
Wie man die AfD stärkt, wenn man ihr die Themen wegnimmt
Rechte aller Couleur versuchen mit dem Schüren solcher Ängste wieder in die Offensive zu kommen und große Teile der Union wollen das Thema nicht diesen Rechten überlassen. Sie spielen selbst auf der Klaviatur mit. Der Politologe Albrecht von Lucke erklärt im Deutschlandfunk, dass die Angst der Parteien der AfD in die Hände spielt. Hier zeigt sich einmal mehr, wie berechtigt die Warnung war, dass man die Rechten nur stärkt, wenn man deren Themen und Parolen übernimmt.
"2015 darf sich nicht wiederholen" ist so ein rechtes Mantra, das durch Unionspolitiker jetzt in den Wahlkampf eingeführt wird. Damit liegen sie Trend anderer konservativer Parteien. So will die griechische Regierung Flüchtlinge vor Europa stoppen. Die mit den Grünen in einer Koalition regierenden österreichischen Konservativen wollen sogar weiterhin Migranten nach Afghanistan abschieben.
Die Taliban sind selbst eine Fraktion der internationalen Rechten
Nicht nur mit der verstärkten Kampagne gegen Migration reagieren die unterschiedlichen rechten Kräfte auf die Machtübernahme der Taliban. Sie sehen sich damit auch in ihren Weltbild bestätigt. Schließlich handelt es sich bei Taliban um eine islamistische Rechte, die mit ihren Kampf gegen westliche Freiheiten, gegen Frauenrechte und Minderheiten durchaus Sympathien bei anderen Rechten in aller Welt haben, auch wenn sie als islamistisches Feindbild dienen.
Doch zahlreiche Rechte haben immer wieder betont, dass sie der Islamismus nur in Europa stört. Nach den ethnopluralistischen Weltbild vieler Rechter sind die Taliban Teil der afghanischen Kultur - und folglich können sie das Land beherrschen. Demgegenüber wird in diesen Tagen zu wenig daran erinnert, dass es auch in Afghanistan einmal eine linke Bewegung gab, die sich für die Emanzipation der Frauen stark machte, für Bildung und für ein Gesundheitssystem eintrat.
Nach der Aprilrevolution von 1978 versuchte die afghanische Linke diese Ziele auch im Land umzusetzen und traf auf enormen Widerstand der islamistischen Reaktion. Zum geopolitischen Zankapfel wurde das Land, nach dem die Linksregierung, weil sie im Land in der Defensive geraten war, die Rote Armee zur Hilfe holte.
Es ist sicher richtig, über den Voluntarismus zu reden, der viele Maßnahmen der linken Regierung prägte. Es ist aber falsch, wie Emran Feroz im Jahr 2018 lediglich von einen kommunistischen Putsch und einer kommunistischen Terrorherrschaft zu sprechen. Vielmehr wäre es eine sinnvolle Aufgabe, diese linke Geschichte mit all ihren Fehlern nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dass wäre auch ein Stück Geschichtsarbeit gegen rechts.
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