Wenn die Revolution zweimal klingelt...

...dann ist das Schicksal der iranischen Mullah-Führung besiegelt?

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Muss der amerikanische Präsident seit diesem Wochenende einen fünfsilbigen, fremdländischen Namen auswendig lernen? Wird er Ah-ma-di-ne-dschad jemals öffentlich aussprechen? Immerhin ist der Mann mit dem melodiösen Namen am Freitag zum Präsidenten des Iran gewählt worden und die westliche Welt zeigt sich geschockt: ein Ultra als eingesetzter Handlanger der Mullahs, ein Faschist? Ist Iran auf dem Weg zu einem Taliban-Staat? Was wird sich ändern beim viertgrößten Ölproduzenten der Welt? Was passiert mit dem iranischen Nuklearprogramm?

Ganz genau vermag das noch niemand einzuschätzen. Der Schocksieger sorgt für Wirbel und wilde Spekulationen. Eindeutig ist vor allem, dass die Reformer in Iran verloren haben. Mit einer derartig deutlichen Niederlage hatte keiner von ihnen gerechnet. Wenig verwunderlich, dass dies im ersten Reflex mit üblen Tricks der Mullahs erklärt wird. Immerhin haben sie jetzt nicht nur ein Parlament mit einer ihnen genehmen Mehrheit, sondern auch einen Präsidenten, der ihnen ergeben ist.

Manipulation im großen Stil?

Doch sind die sieben Millionen Stimmen, die Ahmadinedschad mehr als sein Konkurrent erzielte, tatsächlich mit einer Wahlmanipulation hinreichend zu erklären? Wurden die 17 Millionen Wähler des Ultra-Mannes von den "Mad-Mullahs" und ihren Handlangern zum Kreuz an der richtigen Stelle gezwungen? Diese Zahlen machen es zumindest nicht leicht, an eine Manipulation in dieser Größenordnung zu glauben.

Auch wenn Rafsandschani seine Niederlage in einer ersten wütenden Reaktion genau damit erklärte, und in Teilen des Reformlagers von einem Coup die Rede war, der die Wahl gesteuert hat. Dass in den USA Ähnliches gedacht wird, liegt in der Logik ihrer Politik im Nahen und Mittleren Osten. Demokratisch wird vor allem derjenige Staat in der Region genannt, der sich der amerikanischen Version von "Strömung der Freiheit" nicht entgegenstellt.

Doch genau da setzt eine erste Erklärung für das Verhalten der iranischen Wählerschaft an: Antiamerikanismus. Genau zu beziffern ist dieser Einfluss nicht, aber dass es ihn gibt und eine wichtige Rolle bei dieser Wahl gespielt hat, macht schon die Reaktion des Obersten Führers nach den ersten Ergebnissen klar. Chamenei sprach von einer "Demütigung der USA". In vielen Foren der Oppositionellen wurde beklagt, dass der kurz vor der Wahl erfolgte Appell des amerikanischen Präsidenten an die freiheitlichen Kräfte in Iran, eher kontraproduktiv für die iranischen Reformer war. Während die Verhältnisse in den Nachbarländern Irans, im Irak und in Afghanistan, aus der Sicht der USA von der demokratischen "Strömung der Freiheit" erfasst sind, dürften die dort stationierten US-Truppen und der Blutzoll, der dort für Freiheit und Demokratie bezahlt wird, den einfachen Leuten in Iran eher Angst einjagen, als den Wunsch zu nähren, sich diesen Modellen anzuschließen.

Beschränkte Wahrnehmung, beschränkte Mittel

Und genau die sogenannten "einfachen Iraner" hatte keiner aus den Journalisten- und Bloggerkreisen, die den Westen über das Land informieren, im Blick. Man habe sich zu sehr an der Teheraner Elite, an der urbanen, wohlhabenden Schicht und deren Vertreter orientiert und die Armen, die Landbevölkerung nicht berücksichtigt, auf die Einhaltung von Menschenrechten geachtet, aber die große soziale Ungleichheit im Land übersehen, so die ersten selbstkritischen Kommentare iranischer Blogger:

Letzten Endes haben die Wahlen gezeigt, wie beschränkt und irreführend die Perspektiven der Blogger und Journalisten sein können.

Nema Milaninia

Beschränkt waren jedoch nicht nur die Sichtweise der Journalisten und Blogger, die vor allem auf eine Öffnung des Landes hofften, sondern auch die Mittel, so die Einsicht Hossein Derakhshans:

Die Reformbewegung kann über eine bestimmte Bevölkerungsschicht nicht hinaus reichen. Ihr stehen nur Zeitungen und Internet zur Verfügung, mit einer Reichweite von annähernd 5 bis 7 Millionen. Während das Regime ein Monopol aus Fernsehen und Radio hat, können die Reformer nicht einmal die Mehrheit der Mittelklasse erreichen, besonders die Jugend nicht, die nicht mehr liest, die unteren Klassen in ländlichen Gebieten schon gar nicht.

Was wird sich ändern?

Während die Reformer entsprechend zu den Hoffnungen, die sie gehegt haben, vom neuen Präsidenten jetzt eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation befürchten, also eine härtere Gangart gegen Regimekritiker, sehen andere die entscheidende Veränderung im "Management der staatlichen Ölindustrie". Ahmadinedschad hat damit Wahlkampf gemacht, der "Öl-Mafia", verantwortlich für die "Monopolisierung der Ölreserven" das Handwerk zu legen:

Ich werde den Mafias der Macht und den Gruppen, die unser Öl im Griff haben, die Hände abschneiden. Das Volk muss seinen Anteil am Ölgeld im täglichen Leben sehen...Das größte Kapital des Landes sind heute die Ölindustrie und die Ölvorkommen. Die Atmosphäre, die unsere Verträge, Produktion und Exporte bestimmt, ist nicht klar. Wir sollten das klarstellen.

Was und wen Ahmadinedschad mit genau gemeint hat, harrt noch der Klarstellung; einige Vermutungen zielen auf Personen aus dem Geschäftskreis um den steinreichen Rafsandschani. Ob Ahmadinedschad allerdings so schalten und walten kann, wie es seine markanten, populistischen Töne versprechen, ist noch fraglich. Ayatollah Chamenei hat Rafsandschani nach der Wahl für seinen Einsatz gelobt und ihn gebeten, in der Politik zu bleiben. Der listige Macchiavelli dürfte nicht von einem Tag auf den anderen aus seiner mächtigen Position in Iran zu drängen sein; sein Reichtum ist auch den Mullahs einiges wert. (Und Rafsandschani hat in seiner Erregung über die Niederlage wohlweislich die Mullahs nicht als Kampagnenführer erwähnt).

Die große Zugnummer im Wahlkampf von Ahmadinedschad war das Versprechen, die Ärmeren unter den Iranern am Ölreichtum teilhaben zu lassen, ob diese Rechnung aufgeht, wird von Kennern des Landes bezweifelt. Als alleiniges Rezept gegen die steigende Arbeitslosigkeit, die mehr und mehr die Jugend " 70 Prozent der Iraner sind unter 35 " betrifft, taugt der laute Aktionismus mit den Öleinnahmen wahrscheinlich nicht. Scheitert Ahmadinedschad, der mit seinen sozialen und kulturellen Versprechen an die Revolution von 1979 anknüpfen will, so fällt mit ihm das ganze Regime, so heißt jetzt die Hoffnung des Reformlagers:

Es gibt da eine schmerzliche Ironie in der Tatsache, dass Ahmadinedschad vom Kern des Regimes kommt - und von ihm unterstützt wird -, der letztlich alle Machtebenen seit der Revolution kontrolliert hat. Die mögliche Unfähigkeit seine Wahlversprechen in den nächsten vier Jahren einzuhalten, wird eine kritische Herausforderung an das Zentrum der revolutionären Elite in Iran stellen.

Härtere Töne, gleiches Spiel

Mit Ahmadinedschad haben die ultrakonservativen Kräfte in Iran einen ergebenen Angestellten als Präsidenten. Seine Spielräume werden ihm von den Mullahs und den außenpolitischen Bedingungen vorgegeben. Ahmadinedschad hat sich bislang nicht gerade als außenpolitischer Experte hervorgetan. Die Qualität, welche das Regime von ihm erwartet, wird in der Demonstration von Härte und Unnachgiebigkeit liegen, in den donnernden Tönen Richtung großer Satan. Er wird sich unbeeindruckt gegenüber Drohungen aus dem Westen zeigen, wie er es in der Frage nach Irans Nuklearprogramm bereits bewiesen hat; das Heft für die Außenpolitik behalten allerdings diejenigen in Irans Machtzentrum, die es schon vorher hatten. Sie haben jetzt einen besseren Lautsprecher für ihre Botschaft und keinen störenden Noise mehr aus dem moderaten Lager. Der Antiamerikanismus der Mullahs wird noch stärker betont, der regionale Herrschaftsanspruch deutlicher herausgestellt:

In unserer Prioritätenliste sind die Beziehungen zu unseren unmittelbaren Nachbarn am wichtigsten, gefolgt von Ländern, die einmal zum persischen Imperium gehört haben. Dann kommen die muslimischen Staaten und dann die Staaten, die Iran nicht feindlich gesonnen sind.

Die USA stehen also ganz weit hinten in dieser Liste, offizielle Beziehungen mit ihnen sollen erst wieder aufgenommen werden, wenn Iran seine Interessen sorgfältig überdacht habe. Faktisch ist es aber so, dass Iran und die USA schon allein wegen des Irak in einer Dauerbeziehung stehen, die ständige Verhandlungen erfordert. Nur dass von denen kaum etwas an die Öffentlichkeit gerät; scheint, als ob beide Seiten den Feind für die große Politik nötig haben. In Wirklichkeit dürften nur wenige Realpolitiker in Irans Establishment Interesse an einem allzu radikalen Kurs haben; man ist auf, wenn auch heimliche, Hilfe aus dem Westen angewiesen.

Die große Konkurrenz zwischen Iran und den USA spielt sich ohnehin auf dem Energiesektor ab (vgl. Die längste Schlange der Welt). Wie am Samstag gemeldet wurde, stellen sich die USA gegen eine geplante Gas-Pipeline, die von Iran nach Pakistan und Indien führen soll. Da Indien als Gegenleistung für den Verzicht von Außenministerin Rice Kernkraftanlagen versprochen worden sind, will dies nun die pakistanische Regierung auch. Die USA lehnen den Bau der Pipeline ab, da die Einnahmen dem iranischen Nuklearprogramm zugute kommen könnten.