Wenn überzogener Feminismus ins Gegenteil umschlägt

Wurstsemmel. Foto: HutchRock. Lizenz: CC0

Eine Diskussion darüber, ob eine Frau ihrem Mann Essen für den Arbeitstag mitgeben sollte, zeigt, wieso der Feminismus immer öfter auf Ablehnung stößt. Statt für freie Wahl zu streiten, gibt es Verhaltensvorschriften

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Blick zurück - von Henkelmännern und Bentoboxen

Für viele Menschen dürfte der Begriff "Henkelmann" fremd klingen, vielleicht sogar unbekannt. Als "Henkelmann" wird ein Metallbehälter bezeichnet, der mit warmem Essen gefüllt und ähnlich wie ein Weckglas verschlossen wurde, so dass das darin transportierte Essen möglichst für eine lange Zeit warm blieb. Ein solcher Henkelmann wurde den größtenteils männlichen arbeitenden Menschen mitgegeben, so dass sie während der Arbeitszeit eine warme Mahlzeit in der Mittagspause zu sich nehmen konnten. Eine Praxis, die zu der Zeit, als Kantinen und Imbissbuden sowie Geschäfte, die Essen zum Mitnehmen ("to go") anbieten, spärlich gesät bis nicht vorhanden waren, gängig war.

Nicht nur der Henkelmann war selbstverständlich, auch die Brotdose (heute Lunchbox genannt) war es, später diente die Thermoskanne nicht nur zum Transport von Kaffee oder Tee, auch Brühe oder kleingeschnittene Spaghetti in Tomaten- oder Tomatenhackfleischsauce, pürierte Suppen oder auch Hackbällchen in Sauce finden ihren Platz darin. Wurde das Brot, das in der Brotdose war, nicht aufgegessen, landete es oft im Viehfuttertrog. In Niedersachsen, wo einer von uns aufwuchs (Bettina), wurde dies "Hasenbrot" genannt, weil es den Hasen gegeben wurde.

Auch den Kindern wurden gefüllte Brotdosen zur Schule mitgegeben, eine Praxis, die in Japan noch heute gängig ist, wo die Bentodosen heutzutage auch bereits fertig gefüllt erworben werden können, von vielen Japanern aber auch noch selbst bestückt werden, gerade auch für Kinder. Diverse Gerätschaften dienen dazu, die enthaltenen Gerichte für die Kinder attraktiv zu gestalten und ihnen so nicht nur Nahrung, sondern auch das Gefühl, die Eltern (meist die Mutter) hätten sich Mühe gegeben und mit Liebe die Box bestückt, zu geben. Reisbällchen werden zu Pandagesichtern geformt, Eier in Herz-, Stern- oder Bärenform gebracht, kleine Würstchen verwandeln sich in Tintenfische und aus Möhren und Rettichstücken werden kleine Kunstwerke. Chara-Ben, wie diese Art der Nahrungsgestaltung genannt wird, ist nicht nur in Japan ein nicht unumstrittener Trend geworden.

Dabei muss eine Bentobox keineswegs lediglich "Gesundes" enthalten oder viel Mühe bereiten. Auch wenn sie in Japan oft einen hohen Anteil an Reis enthält, so sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Dass eine solche Box nicht nur für Kinder geeignet sein muss, ist selbstverständlich. Auch wenn gerade auch viele Männer in Gesprächen mitteilen, dass für sie Essen nicht unbedingt künstlerisch dargebracht werden muss, sondern in der Hauptsache eben als reine Nahrung dient, ist nicht anzunehmen, dass ein herzförmiges Omelett, ein sternförmisches gekochtes Ei oder beispielsweise auch eine Torte in Form eines beliebten Comiccharacters auf Ablehnung stoßen würden.

Wir müssen sparen ...

In Schulen und Kindergärten sind Brotdosen heutzutage seltener anzutreffen - Schulen bieten oft selbst Essen an oder es ist möglich, in näher gelegenen Geschäften etwas zu erwerben. Auch der Henkelmann und die Thermoskanne sind oftmals eher Dinge "aus einer anderen Zeit", die jedoch nunmehr öfter wiederkehren, wenn das Geld knapp wird. Wenn es ans Sparen geht, was oftmals, auch wenn es als Sparen bezeichnet wird, lediglich eine Verringerung der Ausgaben bedeutet, erkennen viele, dass das schnell nebenher gekaufte Essen "to go" finanziell oft nicht gerade preisgünstig ist und besinnen sich wieder auf die alte Tradition des Essenmitnehmens.

Als Beispiel dafür, wie auch schnelles selbstgemachtes "Essen to go" preislich durchaus lohnenswert ist, sei hier einmal eine Wurstsemmel (österreichisch für Wurstbrötchen) erwähnt.

Beim heimischen Supermarkt schlägt eine solche Semmel, bestehend aus Brötchen, ca 4 Scheiben Extrawurst (ca. 50g) und einem Teil einer Essiggurke mit 1,60 Euro zu Buche. Extrawurst kostet, je nach Hersteller, im günstigen Fall ca. 10 Euro pro Kilo (geschnitten), ein Glas Essiggurkenscheiben kostet ca. 1,30, ein Brötchen kostet 0,37 Cent. Da die Herstellungskosten zeitlich gesehen vernachlässigbar sind (Brötchen aufschneiden, Extrauwurstscheiben auflegen, 2-3 Essiggurkenscheiben auflegen) würde der Preis eines Brötchens somit bei ca. 1 Euro liegen, 0,60 Cent könnten durch das eigene "Zubereiten" gespart werden bzw. würden nicht anfallen.

Gerade wenn Familien mit spitzem Bleistift rechnen müssen, bietet es sich daher an, auf das eigene Zubereiten von "Essen to go" auszuweichen. Es wäre anzunehmen, dass eine Frage, was denn als Abwechslung zu mitgegebenen Sandwiches sich noch als "Essen to go" für den Ehemann eigne, zu einer Fülle von Rezepten führen wird.

Eine solche Überlegung hat sicherlich auch Maddie, eine australische Ehefrau und Mutter dazu geführt, im Internet zu fragen, welches Essen andere Mütter denn ihren Gatten zur Arbeit mitgäben, sie hätten jedenfalls Sandwiches langsam satt. Die Redaktion innerhalb der über 26.000 Mitglieder zählenden Facebookgruppe waren unerwartet.

Ich erziehe schon die Kinder und wasche die Wäsche, das reicht

Orchestriert von der Feministin Polly Dunning sah sich Maddie einer Vielzahl von Kommentaren ausgesetzt, die sie, nur weil sie einerseits ihrem Mann das Essen mitgab, aber auch davon ausging, dass andere Ehefrauen dies ebenso täten, als rückständig und dumm bezeichneten.

Die Kommentare reichten vom einfachen "Also, mein Ehemann kriegt das selber hin" über "Ich gebe meinem Ehemann das mit, was er mit mitgibt: Nichts", "Unser Tipp ist: hör auf, ihm das Essen mitzugeben" bis hin zu Anmerkungen, sie sei ein rückständige Ehefrau aus den 50ern oder gar ein Sklave."

Für Maddie war dies befremdlich. Ihre Reaktion auf Facebook wirkte schon defensiv und erklärend, fast rechtfertigend, wenn sie ihre eigene Situation beschrieb, als ginge es ihr darum, zu erläutern, warum sie die Sandwiches bzw. den Lunch für ihren Mann zubereitet, anstatt den Anfeindenden einfach zu erklären, dass sie dies nichts anginge. Sie erläuterte nicht nur, dass ihr Mann und sie Geld sparten, um sich ein Haus zu kaufen, sie lobte auch ihren Mann, der, trotz der physisch sehr anstrengenden Arbeit, im Haushalt mithelfe, jeden zweiten Tag das Abendessen zubereite und auch nachts aufstehe, um sich des Buben im Haus anzunehmen. Ihren Groll ob der Welle der Vorverurteilung merkt man, wenn man liest, wie sie letztendlich feststellt, dass ihr Mann sein Mittagessen verdiene, sie ihn liebe und es deshalb das Mindeste sei, dass sei ihm ein verfluchtes Sandwich mache.

The least I can do is make him a bloody sandwich. I love my man, he deserves to eat lunch and we can’t afford to eat out.

Polly Dunnings Ansicht, was es bedeute, eine Mutter zu sein, wirkt so, als würde, sobald ein Kind da ist, jegliches, was für den Partner getan wird, diese herabsetzen. Mutter zu sein, so Polly, die selbst mehrere Kinder hat, sei eine Rolle, die Frauen spielen. Diese bedeute jedoch nicht, irgendetwas für den Partner zu sein, schließlich sei die Mutter ja nicht die Mutter des Partners. Etliche Frauen gaben nicht nur Rezepte weiter, sie eilten auch Maddie zu Hilfe bzw. verurteilten die teilweise schon hasserfüllt wirkenden Kommentare der anderen.

So etwas macht eine moderne Frau nicht

Sicherlich kann die gesamte Episode als etwas angesehen werden, was einige Frauen unter Toleranz und Feminismus verstehen, und als Einzelepisode abgehakt werden. Doch so einfach ist es nicht. Die sogenannte "dritte Welle des Feminismus" hat sich, anders als die vorherigen, bei vielen Männern und Frauen gleichermaßen als etwas herausgestellt, das von der Grundidee, nämlich der freien Wahlmöglichkeit für Frauen, wie sie ihr Leben gestalten wollen, abgerückt ist und stattdessen frühere Verhaltensvorschriften durch neue zu ersetzen versucht (bzw. diejenigen angreift, die sich diesen nicht anschließen).

Die Art und Weise, wie dabei schon auf simpelste Bezeichnungen wie "Hubbie" (eventuell vergleichbar mit Göttergatte, Kleidung, Make-Up und dessen Nutzung oder unrasierte Beine - nicht nur werden teilweise banale Dinge zu einem Anzeichen für oder gegen Feminismus aufgebläht - es gilt, je nach Gusto, dann auch, die Agierenden wahlweise rigoros anzufeinden oder rigoros zu bejubeln. Die Grauzonen sind genauso verschwunden wie die Fähigkeit, sich freundlich auszudrücken.

Die "Shitstorms", wie sie heutzutage heißen, was im Endeffekt nichts anderes bedeutet als ein Drauflosstürmen als Gruppe, um den anderen mit Beleidigungen und mehr zu begegnen, sind trauriger Alltag geworden und es gilt ein "für oder gegen uns". Gerade bei vielen, die sich als Feministinnen sehen, sind dabei andere Frauen, so sie gegenteilige Ansichten vertreten, sofort zum Feind gehörig und werden dementsprechend angegangen. Dabei wird nicht nachgefragt, sondern nachgetreten, nicht diskutiert, sondern gedisst. Statt mehr Toleranz zu zeigen, gilt die Intoleranz denen, denen sie zur Last gelegt wird, die insofern ja "selbst schuld" sein sollen.

Diese Verhaltensweisen sind es, die letztendlich den Feminismus auch immer stärker in Verruf bringen. Eine Bewegung, die sich einst für mehr Toleranz und Miteinander einsetzte, ist nunmehr von vielen nur noch Grund dafür, jene Verhaltensweisen zu zeigen, die einst abgelehnt wurden und deren Abschaffung Ziel war. Dies führt aber dazu, dass der Rückhalt schwindet und die ursprünglichen Ziele immer schwerer zu erreichen sind. Wenn schon harmlosen Frage ob wohl andere Ehefrauen, die ihren "Hubbies" auch den Lunch zur Arbeit zubereiten, Rezepte hätten, zu einem Dauerfeuer an Anfeindungen führt, wie soll sich dann eine gemeinsame Basis für schwerwiegende Probleme und deren Lösungen finden lassen?

Der moderne Feminismus sollte zurück zu seinen Wurzeln finden und vor allen Dingen auch wieder Werte wie Toleranz und Akzeptanz hochhalten, vor allen Dingen aber sollte er eines: zuhören, nachfragen und konstruktiv und ohne einschüchternde Techniken agieren. Alles andere ist kontraproduktiv.