Wer gesehen wird, hat schon verloren

Seite 2: Kriegsspiele und Krieg

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Genau dieser Punkt könnte der vielleicht eigentlich innovative dieses Films sein, der sich ansonsten recht nahtlos in technik-skeptizistische und -pessimistische Werke à la "Plug and Pray" (Dafür werden wir alle exkommuniziert) einreiht: Welches Ethos bringt eigentlich die Maschine selbst mit? Muss es ein von Menschen programmiertes sein oder besitzt sie vielleicht bereits eine Agenda? Diese Frage blitzt immer wieder auf - vor allem im Off-Kommentar der Filmemacherin; beantwortet wird sie allerdings nie.

Bild: Bildersturm Film

Philosophen wie der bereits genannte Herfried Münkler, Peter W. Singer (wohlgemerkt: nicht der Utilitarist - der schreibt sich ohne w!), Ronald Arkin und Daniel Stratman sind mehr damit beschäftigt, die ethischen Konsequenzen des Einsatzes dieser Technologien zu prognostizieren und zu bewerten; nicht aber das Ethos der Maschine selbst. Ist sie (im Nietzscheanischen Sinne) vielleicht einfach nur amoralisch oder erscheint mit ihr nicht vielleicht doch ein neuer Agent und damit die Notwendigkeit einer dialogischen Ethik zwischen ihm und den Mensch auf?

Angesichts der Todesdrohung, die von den hier vorgestellten Maschinen ausgeht, erscheint die Frage zynisch - bestenfalls irrelevant. Aber es gibt Roboter ja nicht nur im Kriegseinsatz ...

Der Film zieht sich deshalb lieber auf bekanntes "kritisches" Terrain zurück … und es fehlt ja noch die zweite titelgebende Konstituente: die Spiele. Dave Anthony, der Kopf hinter der "Call of Duty: Black Ops"-Reihe und zwischenzeitlich politischer Berater wird ihr Stichwortgeber. Zu Beginn werden bereits die Schwierigkeiten für den Ungeübten, den Joystick eines unbemannten Fernlenk-Aufklärers zu verwenden, in Großaufnahme inszeniert. Später wird der Joystick zur Synekdoche der postheroischen Fernsteuerung erklärt.

Dann blendet der Film mehrfach Szenen einer 3D-Shooter-Lanparty ein (wie es sie seit der günstigen und schnellen Vernetzung von heimischen Spielcomputern ja eigentlich gar nicht mehr geben dürfte), in denen sich die "Krieger" in virtuellen Schlachten austoben. Anthony und Singer sind sich sicher: Hier wird schon einmal für den späteren Einsatz am Trigger der Kriegsdrohne trainiert.

Einer der "Gassenhauer" der Computerspielkritik betritt damit die Szenerie des Films. Mittlerweile weiß man längst, dass das, was man durch Shooter mit militärischen Sujets lernt, auf ganz anderen Gebieten angesiedelt ist: eher Gehorsam und militärische Disziplin als Tötungsenthemmung und Joysticktraining stehen da auf dem/im Programm.

Input-Hermeneutik

Interessanter als die Frage, was der Film durch wen und in welcher Reihenfolge sagt (davon kann sich jeder Zuschauer ja selbst ein Bild machen), ist die Frage nach dem ästhetischen Verfahren, mit dem das Gesagte und Gezeigte zu einer Aussage komponiert wird. Wie diese Aussage lautet, ist, wie geschrieben, bereits seit dem ersten Bild unzweideutig klar.

Bild: Bildersturm Film

Die Konstruktionsmethode lässt sich am besten mit dem beschreiben, was Wolfgang Welsch als "Input-Hermeneutik" markiert: In Peter Weiss’ eigenen "Leseanweisungen" für seine Texte, die er an den Leser heranträgt und damit im Prinzip auch sagt, wie sie zu verstehen seien, wird das Verhältnis von Künstler und Rezipient auf den Kopf gestellt und der künstlerische Ausdruck mit der ideologisch engagierten Aussage vertauscht.

Die Mittel dazu bleiben freilich dennoch ästhetischer Natur. (Und man unterstellt sicherlich nicht zu viel, wenn man hier Beziehungen zur Sophistik sieht.) Welsch sieht derlei Input-Hermeneutik im diametralen Widerspruch zur Freiheit der Kunst und der Kunstinterpretation.

Das gilt natürlich nicht nur für Literatur, sondern auch für Filme. Jurschicks "Krieg & Spiele" hat zwar - das deutet bereits die Gattungsbezeichnung "Dokumentarfilm" an - eher den Anspruch etwas auszusagen als etwas darzustellen. Der Zuschauer soll die Beziehungen zwischen den "neuen" Technologien verstehen - und zwar so verstehen, wie sie die Dokumentarfilmerin verstanden oder zumindest komponiert hat.

Dass dokumentarische Medieninhalte nie objektives Wissen widerspiegeln, ist dem medienkompetenten Zuschauer klar. Dass sie zur Authentisierung ihrer Darstellungen inszenatorische Tricks verwenden, ebenso. Jurschick geht in der Nutzung der Input-Hermeneutik aber noch einen Schritt weiter. Es sind die oft hohlen, bedeutungsschwanger eingesprochenen und zumeist im Modus der Frage formulierten Off-Kommentare der Autorin selbst, die nicht bloß eine semantische Soundbridge zwischen den thematisch nicht immer gleich als zusammenhängend wahrzunehmenden Sequenzen des Films schlagen sollen.

Wer gesehen wird, hat schon verloren (13 Bilder)

Bild: General Atomics

Sie transportiert darin auch ihre "Philosophie": Wir wissen nicht, was durch die Drohnentechnologie, durch die Robotik, durch die KI-Forschung und durch die Computerspiele-Entwicklung auf uns zukommt. Aber es deuten sich ethische Probleme an und all das verheißt nichts Gutes.

Das klingt wie das ewige Klagelied der "Generation der Alten" vor dem unverstandenen Neuen. "Krieg & Spiele" hätte die Chance gehabt, einmal neue Fragen aufzuwerfen; die Personage stand - gerade in Form der Protagonisten aus Geistes- und Sozialwissenschaften - vor der Kamera. Wenn man allerdings eine Frage stellen will, dann muss man nicht nur wissen, wer und was das Befragte ist, sondern auch, was das Gefragte sein könnte.

Das sollte angesichts der wirklich wichtigen ethischen Positionen am Beginn eines Zeitalters autonom handelnder technischer Agenten nicht immer wieder der gleiche anthropozentrische Utilitarismus sein - selbst wenn er ästhetisch noch so geschickt verpackt ist, wird er langsam langweilig, weil er keine Antworten gibt, sondern nur ideologische Grenzen markiert.