Wer hat meinen Brief geschrieben?
Briefe aus dem Irak nicht echt - US-Zeitungen erhalten identische Idyllenschilderungen von verschiedenen Soldaten
Man mag von der politischen Ausrichtung der amerikanischen Mainstream-Medien halten, was man will (vgl. Die US-Medien stellen sich in Reih und Glied), der investigative Journalismus wird in den USA traditionsgemäß intensiver betrieben als beispielsweise in Deutschland (vgl. Mehr Recycling als Recherchen); für so genannte "Muckraker" (Schmutzaufwühler) stehen nach wie vor Gelder und Preise bereit, während in Deutschland die Rechercheetats schwinden.
So ist der Washingtoner Olympian gemeinsam mit dem Gannett News Service möglicherweise einer konzertierten Aktion auf der Spur, die wohl dem stark angeschlagenen Image des US-Irakeinsatzes auf die Sprünge helfen soll. Es fing damit an, dass das Blatt zwei Briefe von im Irak stationierten Soldaten erhielt, in denen sie in begeistert patriotischem Ton über das erfolgreiche Fortschreiten ihrer Mission berichten. Merkwürdig daran: Bis auf die Unterschrift war der Text der Briefe identisch. Der Olympian fand heraus, dass dieser Formbrief - jeweils mit anderem Unterzeichner - von elf Zeitungen im Land bereits veröffentlicht wurde, und dass viele weitere Versionen dieses einen Briefes auf den Schreibtischen der Herausgeber im ganzen Land liegen.
Sechs der im Zug der Recherche befragten Soldaten gaben laut Olympian zu, den von ihnen unterzeichneten Brief nicht selbst geschrieben zu haben, einer hatte den Brief, der seinen Namen trug nicht einmal selbst unterzeichnet. Ein anderer wusste nichts von dem Brief, der in einer lokalen Zeitung seiner Heimatstadt erschienen war - bis sein Vater ihm dazu gratulierte:
Als ich ihm sagte, dass er so einen schönen Brief geschrieben habe, fragte er: "Was für einen Brief?"
Wieder ein anderer soll gesagt haben, dass er sich zunächst geweigert habe, den Brief zu unterschreiben, weil er mit dem Inhalt nicht einverstanden war; ein Vorgesetzter soll ihm dann den Befehl gegeben haben, seinen Namen unter den Text zu setzten: "Wenn ich einen Befehl bekomme, gehorche ich", zitiert der Olympian den Soldaten, der anonym bleiben möchte. Feldwebel Shawn Grueser erinnert sich, mit einem Offizier aus der Öffentlichkeitsarbeit über seine Arbeit im Irak gesprochen zu haben. Grueser hatte gedacht, es würde sich dabei um das Verfassen eines Pressemitteilung handeln. Einen Brief habe er nicht unterschrieben, die Sache gefällt ihm nicht: "Das sieht jetzt so aus, als hätte man bei einem Test geschummelt und alle bekommen die gleiche Note."
"Die Früchte der Arbeit all unserer Soldaten sind ... klar sichtbar", heißt es in den Briefen, wobei man sich versucht sieht zu spekulieren, dass es richtiger wohl heißen sollte: "Die Früchte der Arbeit all unserer PR-Einheiten sind klar sichtbar".
I have been serving in Iraq for over five months as a soldier with Company A, 2nd Battalion of the 503rd Airborne Infantry Regiment, otherwise known as "The Rock."......Kirkuk ist eine heiße und staubige Stadt mit etwas mehr als einer Million Einwohnern. Die meisten davon haben unseren Einsatz mit offenen Armen begrüßt.... Die Früchte der Arbeit all unserer Soldaten sind in den Straßen von Kirkuk klar sichtbar. Es liegt sehr wenig Dreck in den Straßen herum, Märkte und Geschäfte sind belebt und die Kinder gehen wieder zur Schule. Dies alles ist ein Beweis dafür, dass die Arbeit, die wir als Bataillon und als amerikanische Soldaten leisten, die Lebensbedingungen der Menschen in Kirkuk verbessert. Ich bin stolz auf das was wir hier im Irak tun und ich hoffe, alle Ihre Leser sind es auch
Auszug aus dem Formbrief
Wer hinter den Briefen steht, ist weiterhin nicht klar. Noch versucht das Militär das Ganze als eine Aktion unter Soldaten darzustellen, in welche die PR-Abteilung nicht involviert sei. "Irgendwer, irgendwo" habe dann wohl den Formbrief per Mail an die ganzen Zeitungen des Landes gemailt.
Wie es den US-Soldaten im Irak wirklich geht, lässt sich aus diesem Formbrief nicht herauslesen - außer, dass man ahnt, wie sehr sie manipuliert werden. Wie groß zudem ihre Probleme sind, lässt die Meldung ahnen, dass letzten Monat Psychiater, Psychologen und Sozialarbeitern in den Irak gesendet wurden, um zu untersuchen, warum so ungewöhnlich viele Soldaten Selbstmord begehen. In den vergangenen sieben Monaten nahmen sich 14 Soldaten im Irak das Leben, in mehr als einem Dutzend weiterer Fälle ist laut USA Today die Todesursache ungeklärt. Die Psychologen sollen herausfinden, warum die Zustände in der Golfregion so belastend sind.. 478 von 700 untersuchten Soldaten sind von dem Team bereits zur psychiatrischen Behandlung in die USA zurückgeschickt worden. Deren Briefe zu lesen wäre vermutlich aufschlussreich.