Wer ist Herr im Hause?

Der kolumbianische Friedensprozess entwickelt sich zum Labor zwischen europäischen Diplomaten und US-Militärstrategen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch am Sonntag Mittag mutmaßten die Bewohner in der entmilitarisierten Zone im Süden Kolumbiens, dass der Friedensprozess am Ende sei. Ein Gerücht ging um, nach dem die kommunistische FARC-Guerilla am Tag zuvor alle offenen Rechnungen bei den Läden beglichen habe, die sich in den letzten drei Jahren angesammelt hätten. Bestes Anzeichen für einen bevorstehenden Rückzug in die Berge. Wenig später war allerdings klar, dass man für mindestens zwei weitere Monate mit den Rebellen zusammenleben wird. Nach einer der schwersten Krisen im Friedensprozess zeichnet sich nun ein möglicher Waffenstillstand ab.

Eine diplomatische Offensive unter europäischer Leitung und der UNO ermöglichte am letzten Sonntag ein Abkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens FARC,www.farc-ep.org das bis zum 7. April eine ausgehandelte Feuerpause, ein Ende von Entführungen und eine wirksame Strategie zur Bekämpfung rechter Paramilitärs durch den Staat definieren soll. Dafür wurde die Existenz der entmilitarisierten Zone per Dekret bis zum 10. April verlängert, die eine Grundvoraussetzung für die seit drei Jahren stattfindenden Verhandlungen mit den FARC ist.

Noch eine Woche zuvor standen alle Zeichen auf Krieg (Vgl. Chronik eines angekündigten Krieges) und eine anhaltende Großoffensive der Rebellen ließen Erwartungen auf eine erfolgversprechende Einigung für weitere Verhandlungen schwinden. Um ihre bisherige Strategie von "Friedensverhandlungen inmitten des Krieges" zu unterstreichen, lancierten die FARC Angriffe, bei denen über zwanzig Soldaten ums Leben kamen. Mehrere Strommasten in der Nähe von Metropolen wurden gesprengt und führten zu Energierationierungen in weiten Teilen des Landes. Beobachter gehen davon aus, dass die Rebellen damit nur ihre Stärke unter Beweis stellen wollten.

Allerdings bleibt trotz Abkommens fraglich, wie sich ein völlig auf Krieg eingestelltes Land zu einem verhandelten Frieden durchringen soll. Während man in San Vicente die Sektkorken knallen ließ, erwarten bis an die Zähne bewaffnete Rebellen und Soldaten ein Ende der Verhandlungen, in die nicht einmal mehr jeder neunte Kolumbianer seine Hoffnungen setzt. Denn die letzten drei Jahre der Friedensverhandlungen zeitigten nicht eine einzige politische Lösung. Sie gingen jedoch mit einer nie da gewesenen Militarisierung beider Seiten einher, die aus einem tiefen Misstrauen aus zurückliegenden gescheiterten Friedensverhandlungen resultierten. Ausgerechnet eine Hand voll Europäer mit kubanischer Unterstützung und eine seit dem 11. September weitgehend deklassierte UNO versuchen nun in einem diplomatischen Drahtseilakt, eine militärische Konfrontation zu verhindern.

Verirrte Europäer im Hinterhof der USA?

Was europäische Nationen und die UNO in Konflikten wie im Nahen Osten nicht erreichen konnten, fiel ihnen nun kurioserweise im "US-Hinterhof" in den Schoß. Eine diplomatisches Krisenmanagement, das konträr zur US-Außenpolitik steht und zudem einen beachtlichen Etappenerfolg zu verzeichnen hatte. Während man in Washington in den letzten Tagen offen über eine Neufinanzierung von Armee-Bataillonen zur direkten Guerillabekämpfung gesprochen und sich somit weiter auf eine militärische Lösung versteift hatte, gelangen der UNO und den sechs europäischen Länder Norwegen, Schweden, Frankreich, Italien, Spanien und der Schweiz, die neben weiteren lateinamerikanischen Ländern zur so genannten Gruppe der "zehn befreundeten Länder" gehören, eine Annäherung an einen politischen Ausweg. Der Erfolg vom letzten Sonntag, die Friedensverhandlungen laut dem französischen Botschafter mit "Datum und konkreten Vereinbarungen zu verhandeln", diskreditiert die militärische Lösungssuche der USA und stellt die bisherige Hegemonialmacht Washingtons auf den Prüfstand. Diese ist in den neunziger Jahren besonders im wirtschaftlichen Bereich einer gestiegenen europäischen und asiatischen Einflussnahme gewichen. In Ländern wie Chile, Argentinien und Brasilien hat die EU die USA als wichtigster ausländischer Wirtschaftspartner eingeholt, in Kolumbien will man sich nun offenbar zunächst diplomatisch an die Spitze setzen. Dass man nicht mit den USA an einem Strang zieht, hat seine Ursachen. Vergangene Kontroversen im Zusammenhang mit dem Plan Colombia lösten zwischen EU und USA ungewöhnliche Spannungen aus.

Kriegsstrategie contra Friedensdiplomatie

Denn genauso wie die FARC während der Verhandlungen ihre Kriegslogik weiter verfolgten, entwarf die Regierung unter dem konservativen Präsident Andrés Pastrana einen Strategie-Plan, dem von Beginn an nachgesagt wurde, ein Produkt des US-State Departments zu sein. Der 7,5 Milliarden US-Dollar schwere Plan Colombia sah eine umfassende Modernisierung der kolumbianischen Armee vor, der so neue Schlagkraft für den Drogenkampf und gegen die Drogenguerilla eingehaucht werden sollte. Mit 63 neuen Kampfhubschraubern, zwei neuen Armee-Bataillonen nebst hunderten US-Ausbildern und Söldnern wurden in den letzten Jahren die kolumbianischen Streitkräfte von rund 70.000 auf jetzt 135.000 aufgestockt. Während sich die USA dem Militär widmete, sollte die EU in diesem Plan die Finanzierung von sozialen Folgeschäden übernehmen. Sprich entwicklungspolitische Betreuung Tausender Flüchtlinge.

Zum Eklat kam es jedoch, als man auf kolumbianischer Seite bei der Vorstellung des Plan Colombia in Europa offensichtlich versuchte, prekäre Themen wie militärische und chemische Drogenbekämpfung und verstärkter Kampf gegen die Guerilla unter den Teppich zu kehren. Nach Veröffentlichung des über 100 Seiten starken Dokuments in Europa und den USA fanden Studien heraus, dass auf beiden Kontinenten zwei Fassungen existierten: innerhalb Europas hob der Plan die Notwendigkeit sozialer Maßnahmen hervor, während sich die US-Fassung implizit auf den Drogenkampf konzentrierte. Aileen Tickner, Direktorin des Zentrums für internationale Untersuchungen an der Universidad de Los Andes, sprach gar von vier Fassungen. Dabei unterschieden sich die Anordnung der Themen und die Formulierungen enorm. Bei der Herausgabe beispielsweise der deutschen Übersetzung versuchte man seitens der kolumbianischen Botschaft in Berlin den Schaden zu begrenzen. Der Fehler läge bei der schlechten Übersetzung und weniger in inhaltlichen Unstimmigkeiten, entschuldigte sich eine Botschaftsvertreterin.

Am 30. Juni 2000 passierte die US-Finanzierung in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar den US-Kongress. Eine Woche später sollte in Madrid eine internationale Geberkonferenz für den Plan Colombia stattfinden, welche die europäische Unterstützung definieren sollte. Zwar reiste Javier Solana, inoffizieller Außenminister der EU und laut einem US-Funktionär "unser Mann in Europa" zuvor noch nach Bogotá, um grünes Licht für eine uneingeschränkte EU-Unterstützung zu signalisieren. Allerdings wurde er von der damaligen französischen Ratspräsidentschaft eines Besseren belehrt. Statt eines Milliardenpakets wurden Kolumbien EU-Forderungen in Bezug auf eine Finanzhilfe übergeben. Erst eine nachweisbare Verbesserung der Menschenrechtssituation, besonders in Bezug auf den Paramilitarismus würde die gewünschten EU-Gelder bereitstellen. Nur Spanien unter der konservativen Aznar-Regierung billigte als einziges EU-Land 100 Millionen US-Dollar zu, Norwegen als Nicht-EU-Land 20 Millionen.

Am 24. Oktober 2000 gab eine zuständige EU-Kommission bekannt, 124 Millionen US-Dollar für Kolumbien bereitzustellen. Allerdings wurden diese Gelder nicht mehr im Zusammenhang mit dem Plan Colombia erwähnt, was eine diskrete Ablehnung bedeutete. "Die EU wird den Friedensprozess begleiten und unterstützen, aber der Plan Colombia interessiert uns nicht," kündigte Cesare de Montis, damals in der Kommission für die Länder des Andenpakts zuständig, an. Das Geld wurde für eine Zeitspanne bis 2006 veranschlagt, wobei der Löwenanteil bisher zur Armutsbekämpfung, Wirtschaftsförderung und zu sozialer Entwicklung eingesetzt wurde.

Direkte US-Unterstützung zur Guerillabekämpfung

So spalteten sich die beiderseitigen Aktivitäten in Kolumbien in eine EU-Friedensdiplomatie und US-Militärstrategie. Die Vermittlungsbemühungen im Friedensprozess mündeten unter europäischer Unterstützung im am Sonntag verabschiedeten Abkommen, während die USA vor zwei Wochen die letzten Kampfhubschrauber lieferten und die beendete Ausbildung der Spezialeinheiten bekannt gab. Der kolumbianische Botschafter in Washington, Luis Alberto Moreno, berichtete in einem Interview von einer Umdefinierung der US-Militärhilfe in eine direkte Guerillabekämpfung. Demnach berate die Bush-Administration derzeit einen solchen Vorschlag, der in der kommenden Woche dem Kongress vorgelegt werden soll. Ziel ist die Aufstockung und Umstellung der 2. Brigade von 800 auf 4.000 Soldaten in eine Spezial-Einheit, die gegen Subversive vorgehen soll. Die FARC stehen neben der kleineren Kuba-orientierten ELN und den paramilitärischen AUC seit September auf der US-Liste für ausländische Terrorgruppen. Just zum Auftakt neuer erfolgversprechender Gespräche lässt sich eine Verschärfung der US-Politik gegenüber dem Friedensprozess verfolgen.

Ein Editorial der New York Times deklarierte am Montag die US-Politik gegenüber Kolumbien "nicht sehr hilfreich für einen Frieden", man könne aber durch eine Änderung der Militärhilfe die kolumbianische Armee wenigstens dazu zwingen, "sich von ihren brutalen Alliierten, den Paramilitärs zu distanzieren." Ob sich aber die USA ausschließlich auf eine militärische Nebenrolle beschränken lassen, bleibt zu bezweifeln. Bis zum 6. Februar will sich die Verhandlungskommission zwischen FARC und Regierung auf eine dauerhafte und aktive Präsenz internationaler Beobachter bei den Verhandlungen in der entmilitarisierten Zone festlegen. Sie sollen bei Problemen während der Gespräche vermitteln und die Möglichkeit von Provokationsversuchen in der Zone verringern. Gemeint sind Übergriffe von rechten Paramilitärs auf die Bevölkerung sowie militärische Aktivitäten der Armee, welche die FARC zu einem neuerlichen Einfrieren der Gespräche veranlassen könnten, was das endgültige Ende des Friedensprozesses besiegeln würde. So groß die Euphorie unter den Diplomaten derzeit ist, so groß ist auch das Risiko, dass der kleinste Zwischenfall eine neue blutige Epoche im kolumbianischen Bürgerkrieg auslösen könnte. "Die Zukunft des Landes steht auf dem Spiel", sagte der UN-Sonderbeauftragte James Lemoyne während der Verhandlungskrise. Daran geändert hat sich nichts.