Wer ist Spitzenreiter im "Raum der Flows"?

Doors of Perception 6, 11. bis 13. November 2000, Amsterdam

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Jamie King lässt , das vom 11. bis 13. November in Amsterdam stattfand, Revue passieren und fragt sich, ob das 21. Jarhundert den Aufstieg einer neuen herrschenden Klasse in der Informationsökonomie bringen wird.

Früher tauchte immer wieder die Vorstellung auf, dass den Computerfreaks, den "Geeks" (ob sanftmütig oder nicht) bald "die Erde gehören wird". Diese Idee, die ihren Ursprung möglicherweise in Douglas Couplands Roman Microserfs aus dem Jahr 1995 hat, hat beträchtlich an Wert gewonnen, seit der neu formierte "Dot-Com-Sektor" in den Ausläufern des 20. Jahrhunderts weltweit zum Liebling der Finanzmärkte wurde. Couplands Prophezeihung schien erfüllt, als Bill Gates, oberster Herrscher über alle Geeks, mit seinen Microsoft-Aktien zum reichsten Mann der Welt erklärt wurde; überall rieben sich Nerds bei dem Gedanken, dass sie nach all den Jahren als Pariahs jetzt plötzlich wie von Zauberhand an die Spitze der sozio-ökonomischen Schicht aufsteigen würden, freudig die Hände.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts scheint Couplands Ausspruch allerdings etwas wackelig, die Geeks vielleicht ein wenig enttäuscht. Wie Lawrence Lessig in einer Vielzahl von Essays ständig argumentiert, wird im Online-Leben immer ein Code das ordnende Faktum sein, und diejenigen, die wissen, wie man ihn manipuliert und massiert, werden auch in den nächsten Jahren ihren Job nicht verlieren - zumindest nicht, bis der Code gelernt hat, sich selbst zu schreiben.

Trotzdem hat sich keine Klasse der Programmier-Könige entwickelt, es gibt nur hochbezahlte, mobile Arbeitskräfte, die sich lateral von Back-end-System zu Back-end-System bewegen, und die auf ihren persönlichen Konten zwar womöglich Nullen anhäufen, aber selten in der Firmenhierarchie aufsteigen. Eric Schmidt, CEO von Novell, kann gerne glauben, dass die Bezeichnung Geek eine Ehre ist, aber er weiß auch, dass er als Geek die Ausnahme unter den leitenden Angestellten ist - im Großen und Ganzen lassen sich die Fähigkeiten eines Geeks eben nicht in die Chefetage übertragen. "Man muss einen Weg finden, [Programmierer] zu befördern, ohne sie zu Managern zu machen", sagt Schmidt, "weil sie als leitende Angestellte einfach nicht wirklich taugen." In der Tat ist Novell so weit gegangen, eine "zweifache Karriereleiter" aufzubauen - eine für Programmierer und eine für alle anderen -, die den "Geek-Angestellten" hohe Gehälter und den Respekt der Kollegen verschafft, sie aber gleichzeitig von der Verantwortung in Fragen der Strategie und Geschäftsführung fernhält.

Und doch bietet die in den letzten Jahren des 20. Jahrunderts begründete Neue Ökonomie, obwohl sie unter dem Hagel von bizarr hirnverbrannten Dot-Komödien schwankt, Herausforderungen im Verständnis und der Handhabung von Informationsflüssen, für deren Bearbeitung die Geeks einzigartig plaziert scheinen. Wenn nicht die Programmierer sich vom Schreiben der Servlets auf den Entwurf konstruktiver Systeme verlegen, wer dann?

Der neue Kandidat für die bevorstehende Beherrschung der Erde möge vortreten: der Designer. Dieses Jahr spielte das eigentliche Thema "Leichtigkeit" bei der Doors-of-Perception-Tagung in Amsterdam wirklich die zweite Geige im Vergleich zum Gefühl, dass sich der Stern der Designer in der Welt der Information sehr am Aufstieg befindet. Unbestreitbar gab es eine Stimmung von Selbstvertrauen und Prahlerei, der Rick Robinson, Chief Experience Officer der Internet Strategieberater und "Solution Provider" Sapient, Ausdruck verlieh. Designer, bestätigte Robinson, fände man jetzt nicht mehr vor ihren Monitoren, wo sie die Firmenbroschüre setzen, sondern als Leiter der Strategie- und Innovationsabteilungen in den Sitzungszimmern - mit anderen Worten, sie haben das Sagen.

Ich will weder Sie noch mich mit Beweisen für diese Verlagerung langweilen - es ist nur eine Arbeitshypotheses, sie können selber die Netze nach Beispielen für den Designer-als-CEO (Robinson ist nur einer davon) auswerfen. Die Präsentationen bei den diesjährigen Doors boten allerdings eine reichhaltige Spur anekdotischer Beweise. Wie Ole Bouman, Architekturhistoriker und Chefredakteur des Magazins Archis, aufzeigte, denken Designer und Architekten seit jeher über die Flüsse, die "Flows" (von Daten, Menschen, Dingen) in der Welt nach: das war natürlich immer schon eine ihrer Hauptaufgaben. Jetzt sind sie plötzlich gefragt, um ganz neue Modi für diesen sogenannten "Raum der Flows" zu entwerfen, in dem man die effektive Konstruktion von Information für unerlässlich hält. Heute ist die Metapher des Raums das Paradigma für das Verständnis von Netzwerken und jetzt sind natürlich diejenigen an der Reihe, die sich auf den Raum spezialisiert haben.

Diese Hypothese wird mit Sicherheit die Danny O' Briens und David Greens dieser Welt verärgern, deren Need To Know ständig über den Aufstieg des Designer-Typus (komplett mit dreiviertellangen Hosen, Buddhaglatze, Motorroller und nutzlosen WAPAcessoires) in der Neuen-Medien-Industrie Englands lamentiert. Es beschleicht einen das Gefühl, einige Geeks würden glauben, dass es nur denjenigen zustehen soll, in dieser Industrie zu arbeiten (oder eigentlich zu denken), die sich mit einer Unix-Box auskennen und keine Scheu davor haben, an den CGI-bins herumzufummeln. Unwahr: nicht nur leiden Programmierer häufig unter einem völligen Mangel an Kommunikationsfähigkeiten, sondern sie sind, obwohl extrem versiert in den Details des Codes, oft auch unfähig, ihr Wissen in einen breiteren strukturellen, sozialen, politischen oder ökonomischen Kontext zu stellen. (Wenn sie es doch tun, können die Resultate allerdings, wie zum Beispiel im Fall eines Richard Stallman, zugegebenermaßen gewaltig sein).

Und genau hier kommt der Designer ins Spiel. Als Hani Rashid, Gründer des New Yorker Architekturteams Asymptote, das neue Projekt der Firma für die New Yorker Börse präsentierte, wurde das Doors Publikum Zeuge, wie die Annäherung eines Architekten an die Nutzbarkeit sich auf den "virtuellen Raum" des Marktes übertragen lässt. Für Rashid verändert die Informationstechnologie tatsächlich unsere Art, Räumlichkeit wahrzunehmen und zu konstruieren, was Asymptote die Überarbeitung architektonischer Prinzipien in der Sphäre der Daten erlaubt. Lisa Strausfeld von InformationArt, eine weitere hochspezialisierte Architektin-wird-Informations-Designerin, präsentierte ebenfalls ihre Arbeit zur Visualisierung von Information für Quokka Sports, einen live Renn-Viewer für deren Championship Auto Racing Teams. Das innovative Interface, das Strausfeld für die Auswertung der Renndaten produziert hatte, demonstrierte wieder eine Annäherung, die die Stärke des Designerauges für Informationssysteme zeigte.

Dieser "Raum der Flows" ist so etwas wie Neuland für den Designer, wie der Organisator der Tagung und 'First Perceptron' John Thackara in seiner Eröffnung des Events andeutete.

"In diesem neuen 'Bereich des Designs'", sagte Thakara, "ko-existieren das Reale und das Virtuelle, Materie und Information. Der Raum der Flows ist dort, wo die Kommunikations- und die physischen Netzwerke - Materie und Information - interagieren. Die Denkweise des Designs kann, kombiniert mit dem Internet, die Produktionsprozesse - sogar die ganze Struktur und Logik einer Industrie - neu formen."

Thakara hat natürlich eine einzigartige Position, um Veränderungen in der Designindustrie wahrnehmen zu können. Er hat kürzlich das Netherlands Design Institute verlassen, um die Doors-Tagung als Privatveranstaltung zu organisieren, und befindet sich im Epizentrum der Informationsdesign-Mafia (und ich meine das ehrlich auf die nettest mögliche Art), die die Computer Related Design-Abteilung (CRD) des Royal College of Art, das NDI, das Media Lab des MIT ebenso einschließt wie IDEO, die Knowledgelabs von NCR und ähnliche Firmen. Bei Doors of Perception hatte man jedenfalls das Gefühl, dass in dieser Gemeinschaft jetzt mit höheren Einsätzen gespielt wird. Gillian Crampton-Smith, früher Leiterin der CRD-Abteilung, hatte ganze 10 Minuten, um dem Publikum ihr neues in Italien beheimatetes Interaction Design Institute (IVREA), gesponsert von Olivetti und Telekom Italia, schmackhaft zu machen. In der Zwischenzeit verkündete Janet Abrams, selbst eine zeitweilige Direktorin der Doors-Tagung und Herausgeberin des Magazins IF/THEN: Design Implications of New Media, dass sie engagiert worden war, um an der University of Minnesota ein Institut für Informationsdesign aufzubauen, das sich "der Erweiterung des öffentlichen Verständnisses für die Rolle des Designs im alltäglichen Leben widmen" und einen Multimedia-Kommunikationsversuch starten solle, um "die Herausforderung anzunehmen, 'intelligente Alltagsprodukte' zu entwerfen"; es stehen bereits $1.1 Millionen zur Verfügung, und wenn man nach der Erfahrung der CRD-Abteilung am RCA gehen kann, wird Abrams kaum Probleme haben, finanzielle Unterstützung von kommerziellen Quellen aufzutreiben, falls und wenn es nötig ist.

Es ist also keine Überraschung, dass Doors 6 von einer Stimmung des gesunden Optimismus durchdrungen war. Philips Electronics gab gedruckte, offene Einladungen für die Arbeit in ihren Desginlaboren in Holland aus; Visitkarten wurden mit nie zuvor gesehener Häufigkeit ausgetauscht. Trotzdem führte ich ein Gespräch mit Stewart Butterfield, Vortragender und Neue-Medien-Designer, Gründer des 5k design project und selbsternannter "Gewinner der Dot-Com-Lotterie", der seine Zeit jetzt damit verbringt, herumzufliegen, Vorträge zu halten und in todschicken Hotels zu wohnen.

"Ich habe über diese räumliche Metapher als Möglichkeit nachgedacht, die Struktur des 'digitalen Inhalts' und unsere Interaktion damit zu beschreiben," sagte er mir. "Ich möchte wissen: wo hat sie ihren Anfang genommen, wie hat sie sich so fest etabliert? Denn eigentlich ist das alles Blödsinn."

Nachdem ich mich in den letzten vier Jahren damit beschäftigt habe, stimmte ich ihm gerne zu. "Cyberspace", "die virtuelle Realität", "der Raum der Flows" - alle diese Begriffe suggerieren in unterschiedlichem Ausmaß Räume, die irgendwie von der alltäglichen Welt separiert sind - und unsere Nutzung dieser Begriffe im Verständins der Online-Erfahrung war, wie ich bereits oft argumentiert habe, instrumental in der Schaffung eines inkohärenten, zusammengeflickten "Ortes" im Netzwerk, inklusive all seiner unpassenden Metaphern wie den "Pages", "Home", "Surfer", "Portal" und ähnlichem. Den Rest der Tagung habe ich mich gefragt, ob die vermeintliche Rolle der Designer und Architekten als Hauptstrategen der Informationsökonomie vielleicht nur solange Sinn macht, solange diese räumliche Metapher sich hält.

Cyberspace, der Großvater der "verräumlichenden" Online-Metaphern, fiel in letzter Zeit vor allem durch seine Abwesenheit in den Gesprächen über Neue Medien auf, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Grund dafür, wie Butterfield zu argumentieren schien, darin liegt, dass die Vorstellung bereits so in unserem Denken verankert ist, dass wir den Begriff nicht mehr brauchen. Wenn man mich nach einem Rat für die Doors-Design-Mafia fragen würde (nicht, dass das wahrscheinlich ist), würde er folgendermaßen ausfallen: nutzt eure Zeit an der Spitze, um eure Gedanken auf etwas zu konzentrieren, das über den "Raum der Flows" als einen separierten Raum hinausgeht - dieses Konzept befindet sich, ebenso wie der Begriff der ihm zugrundeliegt, auf dem Abstieg. Weigert euch, Fast-Food-Architektur als Spielpaltz für die Neuen Medien zu machen. Entwerft uns stattdessen lieber einen Ausweg aus der müden räumlichen Metapher. Ihr werdet natürlich anfangen, euren Abstieg in der Firmenhierarchie zu entwerfen. Aber allen anderen wird es dafür besser gehen.