Wer kürt gute Wissenschaft?

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Die Wahl zum Wissenschaftsblog des Jahres ist angelaufen. Doch was bringt ein Beliebtheitswettbewerb, wenn auch noch Äpfel mit Birnen verglichen werden?

Der Wissenschaftsjournalist Reiner Korbmann (Wissenschaft kommuniziert) hat eine Reihe von Informationsangeboten für die Wahl zum Wissenschaftsblogs des Jahres nominiert. Mein Blog Menschen-Bilder ist nun zum zweiten Mal in Folge dabei. Vor einem Jahr schon wunderte ich mich darüber, bei den "normalen" Blogs gelistet zu werden und nicht bei den kritischen "Blogteufelchen".

Die unterschiedlichen Kategorien – letztes Jahr u.a. auch eine für Corona-Blogs – hat Reiner Korbmann inzwischen aufgegeben. Auf seiner Liste für 2021 stehen 30 deutschsprachige Wissenschaftsblogs zur Wahl. Leserinnen und Leser sind dazu aufgerufen, davon bis zu drei auszuwählen.

Neben der Vorauswahl des Wissenschaftsjournalisten können sie auch einen eigenen Vorschlag angeben. Wie aussichtsreich das ist, wenn Besucher der Seite stets nur die ursprünglichen 30 angezeigt bekommen, steht auf einem anderen Blatt.

So weit, so gut. Da es um Wissenschaft geht, könnte man sich erst einmal fragen, was hier überhaupt gemessen wird. Oder mit anderen Worten: Wie valide (wie gültig) ist das Auswahlverfahren eigentlich?

In einer freien Gesellschaft steht es natürlich jedem frei, Listen für alles Mögliche aufzustellen. (Doch bitte keine "Todeslisten", die seit dem 22.9.2021 strafrechtlich verboten sind!)

Es handelt sich also um einen Publikumswettbewerb: Wer nach der Vorauswahl die meisten Stimmen bekommt, der gewinnt. Die Blog-Autorinnen und Autoren werden von Initiator Korbmann ausdrücklich dazu aufgerufen, Werbung für den Wettbewerb zu machen.

Gewinnen wird also derjenige, der erst von dem Wissenschaftsjournalisten vorgeschlagen wurde und dann die meisten Stimmen bekommt. Über die Qualität der Blogs ist damit aber nichts ausgesagt, sondern vor allem über deren Popularität.

Korbmann schreibt allerdings, damit "die besten und beliebtesten" Wissenschaftsblogs zu finden. Feste Kriterien dafür gibt es nicht. Seine Liste soll eine gewisse Vielfalt der verschiedenen Disziplinen darstellen – und keine inaktiven Blogs enthalten.

Masse oder Jury?

Ein alternatives System wäre das Aufstellen einer Jury. Das wird bei den heute so beliebten Castingshows gemacht. Idealerweise sind die Kriterien, nach denen die Jury bewertet, transparent und nachvollziehbar.

Auch dann wird aber immer ein menschlicher oder subjektiver Faktor bleiben, wie ein Jurymitglied ein bestimmtes Kriterium auslegt und inwiefern seine oder ihre eigenen Qualitätskriterien auch eine Rolle spielen, bewusst oder unbewusst.

Ein Gutachtersystem ist auch in der Wissenschaft die Regel, denken wir ans Peer-Review der veröffentlichten Fachartikel oder die Berufung von Professorinnen und Professoren. Idealerweise kürzen sich persönliche Interessen in so einem Verfahren heraus.

In der wirklichen Welt sind aber natürlich auch Wissenschaftler Menschen und haben sie bestimmte Vorlieben, ordnen sie sich bestimmten Schulen oder Denkrichtungen zu und lehnen sie andere ab. Man könnte hier auch von Interessenkonflikten sprechen. Immerhin geht es um Geld, Macht und Aufmerksamkeit in einem Hyperwettbewerb um sehr knappe Ressourcen.

Dass die Aufstellung für die Regeln eines Wettbewerbs eine "Wissenschaft für sich" ist, kann man auch am bekannten Eurovision Song Contest sehen, in dem alljährlich die "beste" europäische Musik gewählt wird: Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine Kombination einer Vorauswahl in den teilnehmenden Ländern, einer Jury- und einer Publikumswahl.

Dessen Regeln wurden zuletzt 2008, 2009, 2010, 2012, 2013, 2014, 2016 und 2018 geändert. Es scheint also eine komplexe Materie zu sein und jede Lösung wieder neue Probleme aufzuwerfen.

Im Übrigen ist sogar das deutsche Wahlrecht für den Bundestag umstritten und erfährt es hin und wieder Änderungen. Dabei geht es in diesem Fall um die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger auf höchster Ebene!

Äpfel und Birnen

So hoch muss man den Hammer beim "Wissenschaftsblog des Jahres" sicher nicht hängen. Doch ein wesentlicher Kritikpunkt ergibt sich beim näheren Blick auf die Liste der 30, die Reiner Korbmann hier (wieder einmal) ausgewählt hat:

Dort konkurrieren nämlich Blogs individueller Autorinnen und Autoren, beispielsweise Nicola Kuhrts Medwatch, Stefan Rahmstorfs Klimalounge oder eben Menschen-Bilder, mit Blogs von Autorenkollektiven, etwa der Archäologischen Forschung Hallstatt mit fast 30 Autorinnen und Autoren, bis hin zu Blogs ganzer Forschungseinrichtungen oder gar Netzwerke. Beispiele für Letztere sind der Blog des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums, des Forschungszentrums Jülich oder gar des ganzen Netzwerks der Helmholtz-Gemeinschaft.

Unter den nominierten Bloggerinnen und Bloggern finden sich zudem reine Hobbyschreiber ebenso wie professionelle (und bezahlte) Journalisten oder PR-Leute. Und wer hat wohl die besten Chancen, bei einem Publikumswettbewerb zu gewinnen? Freilich derjenige mit dem größten Netzwerk!

So fanden sich dann unter den ersten drei Plätzen für den Wissenschaftsblog des Jahres 2020 der Zukunftsblog der ETH-Zürich, der 2017 und 2019 sogar auf dem ersten Platz landete, und Wissenschaft aktuell, was eher ein allgemeines Portal für Wissenschaftsnachrichten ist und es ebenfalls häufiger unter die ersten drei schaffte. Nicht unterschlagen werden soll hier aber, dass 2020 Miss Jones der Archäologin, Geesche Wilts, auf dem ersten Platz landete.

Wozu das alles? Wenn es um den meistgelesenen deutschsprachigen Wissenschaftsblog geht, könnte man schlicht die Zugriffszahlen nehmen. Dafür gibt es unabhängige Mediendienste.

Marketing oder Qualität?

Auch schon bei ähnlichen Wahlen des "Wissenschaftsbuchs des Jahres" ist mir vor Augen bekommen, dass bestimmte Institutionen Rundmails herumschicken, um ihre Favoriten zu bewerben. Das dürfte ebenfalls mehr über Macht und Marketing aussagen als über die Qualität der Bücher.

Profiteur bei den Wissenschaftsblogs ist auf jeden Fall Reiner Korbmann. Auf dessen Blog finden sich die Beiträge über seinen Wissenschaftspreis jedenfalls auf den Spitzenplätzen der meistbesuchten Seiten. Es sei ihm gegönnt, kann man doch mit Wissenschaftsjournalismus oft kaum mehr als einen Blumentopf gewinnen.

Ob man sich an diesem Spiel beteiligen soll, mag jeder für sich selbst entscheiden. Ich werde jedenfalls niemanden dazu aufrufen, für mich zu stimmen. Und wir leben, wie zuvor erwähnt, in einer freien Gesellschaft.

Die Folgen etwa des Pisa-Wettbewerbs sind von ganz anderer Art. Da hat sich die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung (OECD) selbst zur Schirmherrin der Schulsysteme ernannt – und wie viele Schulen, Journalisten und Politiker gingen ihr auf den Leim?

Oder denken wir an den Ranglisten der Universitäten, an denen man heute nicht mehr vorbeikommt. Es ist Teil unserer sozialen Wirklichkeit, dass solche Wettbewerbe und Ranglisten wirken und mal mehr oder weniger bedeutende Entscheidungen beeinflussen.

Kritische Leser sollten sich ihre eigenen Gedanken machen: Was für Kriterien sind das? Wer hat sie festgelegt? Wie wurde die Reihenfolge festgelegt? Wer verdient daran? Das ist wahrscheinlich das Maximum, das man in einer freien und angeblich aufgeklärten Gesellschaft erreichen kann.