Wer sitzt wofür im Rundfunkrat?
Jede Landesregierung bastelt sich ihre Mehrheit im Rundfunkrat, die Bürger und Beitragszahler haben nichts zu sagen
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den gesetzlichen Auftrag, die freie und umfassende Meinungsbildung zu gewährleisten. Die Aufsichtsgremien, wie der Rundfunkrat, sollen dafür Sorge tragen, dass die Rundfunkanstalten ihren gesetzlichen Rundfunkauftrag im Interesse der Meinungsbildungsfreiheit wahrnehmen. Tatsächlich bastelt sich jede Landtagsmehrheit über die entsprechenden Rundfunkgesetze ihre Mehrheit in diesem Gremium. Die Piraten haben nun ihren Sitz im WDR-Rundfunkrat öffentlich ausgeschrieben.
Rundfunkrat als profilträchtiger Nebenjob
Beliebt sind Mitgliedschaften im Rundfunkrat als weitere Sprosse auf der Karriereleiter oder als Anerkennung für langjährige Dienste, vergleichbar mit der sinnfreien Behängung einer meist älteren Person mit einem Bundes- oder Landesverdienstkreuz. Viele der Rundfunkratsmitglieder haben eigentlich gar keine Zeit dafür, dieses Amt neben ihren anderen Funktionen auch noch auszuüben.
So haben SPD und CDU zahlreiche Europa- und Landtagsabgeordnete in den Rundfunkrat entsandt. Vielleicht sind die mit ihrem Parlamentsmandat nicht ausgelastet. Wenn doch, ist es eine Frechheit gegenüber den Gebührenzahlern, in diese Gremien Personen zu entsenden, die für diese Aufgabe gar keine Zeit haben. Auch die Grünen, die es schon mal besser wussten, sind zum Beispiel im Rundfunkrat des WDR durch ihren Landtagsabgeordneten Oliver Keymes vertreten, der gleichzeitig auch noch Vizepräsident des Landtages ist.
Die Funktion im Rundfunkrat verkommt so zum Statussymbol, zum netten, zusätzlichen Eintrag auf der Visitenkarte. Die jeweiligen politischen Mehrheiten im Landtag sorgen durch entsprechende Änderung der Staatsverträge - wenn nötig - stets für die der jeweiligen Regierungsmehrheit entsprechenden Ausrichtung des Gremiums.
Jede Landesregierung bastelt sich ihre Mehrheit im Rundfunkrat
So änderten CDU und FDP während der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers im Dezember 2009 zuletzt das WDR-Gesetz und damit auch die Zusammensetzung des Rundfunkrates.
Damals kamen vier neue Mitglieder des Rundfunkrats (einschließlich Stellvertreter) hinzu. Seit 2009 im Rundfunkrat vertreten ist die Vereinigung der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e.V., der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM), den Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. (eco), der Verband Freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen e.V. sowie die Familienunternehmer - ASU e.V. Landesbereich Nordrhein-Westfalen und die Wirtschaftsjunioren Nordrhein-Westfalen e.V.
Da die Medienpolitik auch im Koalitionsvertrag der derzeitigen rot-grünen Landesregierung steht, darf von einer abermaligen Änderung ausgegangen werden.
Rundfunkratsmitgliedschaft - öffentlich ausgeschrieben
Vor diesem Hintergrund sorgten die Piraten im Landtag Nordrhein-Westfalen für eine echte Überraschung. Ihr medienpolitischer Sprecher Daniel Schwerd, MdL, kündigte an, den der Piraten-Partei als Fraktion zustehenden Sitz im Rundfunkrat des WDR , "nicht an einen Abgeordneten aus unserer Fraktion zu vergeben, wie es bei anderen Fraktionen im Haus üblich ist", sondern "diese Stelle öffentlich auszuschreiben und aus der Mitte der Bevölkerung zu besetzen".
Das ist für uns gelebte Mitmach-Demokratie und ein deutliches Zeichen für mehr Transparenz im Rundfunkrat. Außerdem unterstützt dies unsere generelle Auffassung, dass der WDR-Rundfunkrat völlig von der Politik unabhängig gestaltet werden muss.
Daniel Schwerd
Damit könnte etwas frischer Wind einkehren in den WDR-Rundfunkrat, in dem bisher zahlreiche Mitglieder eher damit beschäftigt sind, möglichst nicht aufzufallen und wieder gewählt zu werden, statt etwa die Positionen der sie entsendenden Organisationen zu vertreten, auch wenn das schon mal unbequem sein kann.. Besonders deutlich wurde das im Konflikt um die weitere Verflachung des WDR-Rundfunkprogramms.
Am Beispiel einschneidender Streichungen im Bereich Politik und Musik hatte sich eine Initiative Radio Retter (Weichspüler beim WDR) gebildet, die über 18.000 Unterzeichner unter ihrem Offenen Brief sammelte, in dem sie sich für die Beibehaltung der politischen Journale aussprach. Sie forderte, die kulturelle Berichterstattung, Rezension und Kritik zu verstärken und die Schaffung neuer Sendeplätze (statt weiterer Streichungen), "um somit der leider berechtigten Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk entgegentreten, die von Verarmung, Verflachung oder gar der Verdummung der Programme spricht."
Die Initiative fand breite Unterstützung, auch seitens der Gewerkschaft verdi und von den für Schriftsteller (VDS) und Journalisten (dju) zuständigen Berufsgruppen. Verdi führte mit der Initiative Radio Retter auch gemeinsame Veranstaltungen durch. Doch im Rundfunkrat stimmten die meisten verdi-Vertreter für die Vorlage der WDR-Leitung und damit gegen die öffentlichen Erklärungen von verdi.
Muslime statt Freikirchen, Migranten statt Vertriebenenverbände
Im Landtag von Baden-Württemberg streitet sich derzeit die grün-rote Koalition mit der CDU-Opposition über die künftige personelle Zusammensetzung des SWR-Rundfunkrates. Im Landtag brachte die CDU einen Antrag ein, den Vertriebenenverbänden weiterhin Sitz und Stimme im Rundfunkrat des SWR zu gewähren.
Weil in der Logik der CDU und der Vertriebenenverbände Vertreibung sozusagen erblich ist, kommt die CDU auf die stolze Zahl von über "1,3 Millionen Mitgliedern" der verschiedenen Verbände der Heimatvertriebenen, allein in Deutschland. "Vertreibung" ist demnach erblich. Die CDU konstruiert für die Vertriebenen sogar einen "gesetzlichen Anspruch für einen Sitz im Rundfunkrat". Im Landtag Baden-Württemberg stellten sie einen Antrag, in dem es heißt:
Ein Anspruch der Verbände der Heimatvertriebenen auf Sitz und Stimme im Rundfunkrat, lässt sich insofern auch aus § 96 Bundesvertriebenengesetz herleiten. Dort heißt es: "Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern....
Außer den Vertriebenen sollen auch evangelische Freikirchen weiterhin über eigene Vertretungen im Rundfunkrat verfügen.
Dem gegenüber beabsichtigen die Landtage und Landesregierungen von Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz, den Staatsvertrag zum Südwestrundfunk zu reformieren und wollen "dabei auch dem Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Die Vorschriften über die Zusammensetzung des Rundfunkrats (§ 14 SWR-Staatsvertrag) sollen deshalb überarbeitet werden."
In einer Antwort der grün-roten Landesregierung an die CDU-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg heißt es dazu:
Die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind pluralistisch zusammengesetzt und sollten die Gesellschaft möglichst breit abbilden. Allerdings sind einige Gruppierungen, deren Größe und Bedeutung in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, bisher nicht vertreten. Dazu zählen beispielsweise die etwa 600.000 Menschen muslimischen Glaubens in Baden-Württemberg. Die Landesregierung plant, auch diesem Umstand Rechnung zu tragen und in derartigen Bereichen neue Entsenderechte vorzusehen.
Um mehr Staatsferne des gemeinsamen Senders SWR zu dokumentieren, wollen die Landesregierungen in Stuttgart und Mainz künftig auf die bisher übrigen direkten Vertreter der Landesregierungen im Rundfunk ersatzlos verzichten.
Sächsischer Heimatschutz und andere Vereine
Ein Blick in die einzelnen Rundfunkräte der verschiedenen ARD-Anstalten und das nähere Befassen mit deren Entsendeorganisationen wirft Fragen auf, etwa warum im MDR-Rundfunkrat der Vertreter eines Vereins namens "Sächsischer Heimatschutz e. V., Sachsen" sitzt.
Ein Blick auf deren Homepage bestätigt den ersten Eindruck. Für die Selbstdarstellung wurde eine Schrift ausgewählt, die sich in den 30ziger Jahren des letzten Jahrhunderts ebenso großer Beliebtheit erfreute wie heute noch bei Neonazis. Der "Heimatschutz" beeilt sich zu erklären, dass unter "Heimatschutz" überhaupt gar nichts Rechtes zu verstehen sei. Zitat: "Heute stellen wir fest, dass es - nicht nur in Sachsen - Versuche von rechtsextremen Parteien und Organisationen gibt, unsere Ziele zu vereinnahmen und den Begriff Heimatschutz im Sinne von unsäglicher Blut-und- Boden-Theorie zu missbrauchen..."
Aber auch der Landesverband der Verfolgten des Naziregimes und der Antifaschistinnen und Antifaschisten Sachsen-Anhalt sowie die Vereinigung der Opfer des Stalinismus- Sachsen sind dort vertreten. Ebenfalls mit Sitz und Stimme im Rundfunkrat: Vertreter der Landesregierungen der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Auch der NDR-Rundfunkrat setzt sich aus mehreren Landesrundfunkräten zusammen. Aus Mecklenburg-Vorpommern entsandt sitzt seltsamerweise eine Vertreterin von Haus & Grund-Besitzer Mecklenburg-Vorpommern im Rundfunkrat, während aus Schleswig-Holstein ein Mitglied des Mieterbundes entsandt wurde. Beides ein Hinweis auf die Berufung der Rundfunkratsmitglieder entlang der Verbände, die typischerweise auch bei den Landtagen registriert sind.
In keinem Rundfunkrat sitzen jedoch Vertreter gesellschaftskritischer Gruppen wie Pro Asyl oder Bewegungen wie etwa attac.
ZDF als Spielball der CDU
Das ZDF wird seit seiner Gründung von führenden CDU-Politikern als eine Art Haussender behandelt. Adenauer hatte diesen zweiten Fernsehsender als Gegenpol gegen den vermeintlichen "Rotfunk" in Hamburg (NDR) und WDR in Köln geplant. Die Mitgliederliste des ZDF-Fernsehrats ist, ausgehend vom Gebot der Staatsferne des öffentlich rechtlichen Rundfunks, besonders gruselig.
Sämtliche Landesregierungen und das Bundeskanzleramt sind dort vertreten. Mitglied des Fernsehrats ist auch Erika Steinbach, MdB, Präsidentin des Bunds der Vertriebenen. Tatsächlich verhalten sich Politiker, und im Fall des ZDF solche von der CDU, häufig so, als handele es sich bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten um eine weitere Bühne für ihr meist inhaltsneutrales parteipolitisches Gezänk.
Ein Beispiel war dafür die Ablehnung der Vertragsverlängerung für den damaligen ZDF-Chefredakteur Nikolas Brender durch die CDU-Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat, angeführt vom damaligen Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Koch machte Brender für sinkende Zuschauerzahlen in der politischen Berichterstattung verantwortlich. Die Personalie Brender wurde, wie so oft, wenn es inhaltlich eher um nichts geht, von zahlreichen Journalisten sowie von SPD und Grünen zum schwerwiegenden Fall parteipolitischer Einflussnahme auf das ZDF hoch stilisiert. Tatsächlich war Brender als Mensch mit eigenen Überzeugungen bekannt und für die Parteipolitiker nicht berechenbar.
Immerhin wurde im Zuge dieser Auseinandersetzung noch mal deutlich, wer in den anderen ARD-Anstalten regiert. So trat der frühere Intendant des SWR, Peter Voß, aus der CDU aus, welcher er offenbar auch als Intendant sowie zuvor als stellvertretender ZDF-Chefredakteur angehört hatte.
Die grundsätzliche Reduzierung der investigativen Sendungen im ZDF, etwa die ersatzlose Streichung von Sendungen wie "Kennzeichen D", konnte ohne merkbare öffentliche Reaktion geschehen.
Über die Arbeit des ZDF-Fernsehrats wird kaum berichtet. Wenn etwas bekannt wird, sind es meist Beispiele für Einflussnahmen der CDU und deren Beschwerden etwa über die Bildsprache eines Beitrags über Atomkraftwerke im letzten politischen Magazin des ZDF, Frontal 21.
Es bleibt die Frage, warum nicht die Beitragszahler - also alle Bürger - in einer Wahl Vertreter für die Rundfunkräte wählen können. Schließlich müssen sie auch alle mit ihrem Geld die Rundfunk- und Fernsehanstalten finanzieren. Dann könnten sich die Rundfunkräte zu einem lebendigen Gremium entwickeln, in dem nicht Parteiproporz und Karriereleitern die vermeintliche "Kontrolltätigkeit" bestimmen. Die öffentliche Ausschreibung des "Piratensitzes" im WDR-Rundfunkrat könnte ein erster Schritt sein.