Wer stoppt die Waldvernichtung?

Nach den Horrormeldungen der letzten Tage steigt der Erwartungsdruck auf der morgen beginnenden Konferenz der UN-Biodiversitätskonvention

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"Wir dachten, es gäbe noch große, intakte Urwaldflächen. Jetzt wissen wir, dass diese vermeintlich unberührten Waldgebiete nur noch als Mythos existieren." Mit diesem Statement bestätigte Jonathan Lash, der Präsident des World Resources Institute (WIR) die schlimmsten Befürchtungen eingefleischter Pessimisten. Nach einem Bericht des vom WIR initiierten Global Forest Watch (GFW) geht die weltweite Zerstörung der Wälder auch zehn Jahre nach der hoffnungsvollen Umweltkonferenz von Rio unvermindert weiter.

Ab 2005 wird es in Sumatra keine Wälder im Tiefland mehr geben. Foto: Forest Watch Indonesia

Im Laufe der Untersuchung erstellten die Forscher mit Hilfe digitaler, satellitengestützter Datenerfassung aktuelle Karten von Chile, Venezuela, Indonesien, Russland, Zentralafrika und Nordamerika, worauf überdeutlich zu erkennen ist, dass sich der Zustand der großen Waldgebiete noch weit verheerender darstellt als bisher angenommen wurde. Und eine Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, der GFW geht davon aus, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten noch einmal 40 Prozent aller derzeit intakten Waldregionen verschwunden sein werden.

Als wenn die aktuelle Situation nicht schon dramatisch genug wäre. Schließlich sind heute bereits rund zwei Drittel der ehemaligen Urwaldflächen dem Erdboden gleichgemacht, und vom bescheidenen Rest befinden sich lediglich 20 Prozent in großen zusammenhängenden Gebieten, die nicht nur für zwei Drittel aller landlebenden Tier- und Pflanzenarten, sondern auch für eine Vielzahl indigener Völker als Lebensgrundlage dienen. Seit Jahren sind Bergbau und Holzgewinnung und der damit einhergehende Straßenbau als Hauptursachen der Waldvernichtung ausgemacht, doch diese Erkenntnis führt weder in den am stärksten betroffenen Ländern, noch bei den Importnationen zu einschneidenden Konsequenzen.

Beispiel Russland: Das Riesenreich mit einer Gesamtfläche von 17.075.400 Quadratkilometer spielt eine Schlüsselrolle für die internationale Klimaentwicklung, weil hier rund ein Viertel der globalen Waldflächen beheimatet ist. Davon befinden sich allerdings nur noch 25 Prozent in ihrem natürlichen Zustand. Die anderen drei Viertel existieren nicht mehr als zusammenhängende Gebiete und sind vollständig oder teilweise den Folgen der Zivilisation zum Opfer gefallen.

Beispiel Indonesien: Pro Jahr werden im "State of the Forest" zwei Millionen Hektar Wald vernichtet, 70 Prozent der Holzgewinnung stammt aus illegalen Rodungen. In den vergangenen 50 Jahren schrumpfte die gesamte indonesische Waldfläche von 162 Millionen Hektar auf unter 100 Millionen. Togu Manurung, der Direktor des "Forest Watch Indonesia" ist von diesen Zahlen allerdings keineswegs überrascht: "Das indonesische Wirtschaftswunder der 80er und 90er Jahre basierte auf einem ökologischen Kahlschlag und flächendeckender Korruption. Unsere Untersuchen geben derzeit wenig Anlass zu Optimismus, auch wenn erste Anzeichen für ein Umdenken sichtbar sind."

Beispiel Nordamerika: Die großen Waldgebiete in Kanada und Alaska sind vielfach auf "Flecken" von weniger als 200 Quadratkilometer reduziert worden, und in den restlichen 48 Staaten gelten nur sechs Prozent der Wälder als relativ unzerstört. Überdies ist Kanada weit davon entfernt, seinen Status als weltgrößter Nutzholz-Exporteur freiwillig aufzugeben. Stattdessen wurde das Budget des "Canadian Forest Service" zwischen 1995 und 1998 von 219 Millionen Dollar auf 93 Millionen Dollar zusammengestrichen. Dirk Bryant, der Initiator des GFW, macht für den Gesamtzustand nicht nur "Fehler in der Bewirtschaftung", sondern auch "Korruption und Missmanagement" verantwortlich.

Bei der 6. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biologische Vielfalt, die vom 7. bis zum 19. April in Den Haag stattfindet, werden diese und viele andere Probleme nun wohl auf der Tagesordnung stehen. Damit die Veranstaltung über ein politisches Schaulaufen hinauskommt und endlich die 1992 in Rio de Janeiro getroffenen Vereinbarungen in die Praxis umsetzt, wollen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace im Vorfeld der Konferenz noch einmal alles daran setzen, um die Weltöffentlichkeit aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Greenpeace-Urwaldexperte Martin Kaiser erwartet von Deutschland sogar eine Vorreiterrolle in dieser Frage:

"Bundeskanzler Schröder muss die deutsche Verantwortung für den internationalen Urwaldschutz endlich annehmen und den Urwaldgipfel zur Chefsache machen. Da Deutschland als Holzimportland die Rodung der letzten Urwälder mit zu verantworten hat, erwarten wir von Schröder konkrete finanzielle Angebote an die internationale Staatengemeinschaft."

Greenpeace verlangt von den Industrieländern jährlich 17 Milliarden Euro für den Klimaschutz, Deutschland soll in diesem Rahmen 1,7 Milliarden Euro übernehmen. Doch auch den Umweltaktivisten ist klar, dass Staat und Wirtschaft aller Voraussicht nach nicht bereit sind, diese Summe in einen globalen Urwald-Fond einzuzahlen und außerdem noch dafür Sorge zu tragen, dass urwaldschädliche Subventionen und Kredite in ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklungsprojekte umgeleitet werden.

Deshalb setzt Greenpeace auf den Druck der Öffentlichkeit. Zum einen durch eine bundesweite Email-Aktion, die Kanzler Schröder dazu bringen soll, seinem vor zehn Jahren ökologisch durchaus bewussten Amtsvorgänger nachzueifern und die Rettung der letzten großen Urwaldgebiete durch eine Finanzspritze vorleistend in Gang zu bringen. Zum anderen durch die konkrete Ansprache bestimmter Projekte, die einzelne Unternehmen zwingen soll, zu ihrer bisherigen Praxis Stellung zu beziehen.

Jüngstes Beispiel ist die Westdeutsche Landesbank, die für den Bau der OTS-Pipeline in Ecuador einen Kredit von 1,02 Milliarden Euro übrig hatte. Um täglich 450.000 Barrel Rohöl über 500 Kilometer quer durch Ecuador zu transportieren, sollen sieben Schutzgebiete und vier Pufferzonen für bedrohte Tier- und Pflanzenarten durchquert und eine Million Hektar Urwald für neue Konzessionsgebiete im noch nicht traktierten Amazonasgebiet freigegeben werden. Weil die WestLB nach Ansicht von Greenpeace in Ecuador gegen internationale Umweltschutzabkommen verstößt und obendrein noch die eigene Satzung - in der von "Achtung des Gemeinwohls" die Rede ist - verletzt, hat die Organisation Aufsichtsbeschwerde beim Finanz-, Wirtschafts- und Innenministerium in Nordrhein-Westfalen eingereicht.

Natürlich kann man jetzt erst einmal abwarten, wie sich das Ganze entwickelt. Andererseits: Warum sollten wir dem Kanzler nicht wenigstens eine Email schicken?