Wer wen warum "Extremist" nennt: Plädoyer für eine sachbezogene Debatte
Auf den Buchauszug "Extremismusforschung: Blick auf einen wissenschaftlich-staatlichen Komplex" folgten harte Vorwürfe gegen den Autor. Hier nimmt er Stellung
Am 11. Mai erschien hier eine Replik von Armin Pfahl-Traughber auf einen Auszug aus dem Buch "Strammstehen vor der Demokratie. Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik", das Sarah Schulz und ich gemeinsam verfasst hatten. Der Auszug war wenige Tage zuvor auf Telepolis erschienen. Da ich den Buchauszug als Alleinautor verantworte, richten sich die Vorwürfe gegen meine Person. Pfahl-Traughber wirft mir unter anderem vor, "einer rigorosen Gesinnung verpflichtet" zu sein, spricht von "Fehldeutungen" und "bewussten Manipulationsversuchen", unterstellt mir "strukturelle Gemeinsamkeiten zu Konspirationsvorstellungen" und konstruiert eine Nähe zur Neuen Rechten.
Das sind harte Anschuldigungen, die nicht belegt werden und eher Mittel eines polemischen Streits denn einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind. Ich möchte diese Anschuldigungen nicht völlig unwidersprochen stehen lassen. Viel mehr allerdings liegt mir an einer inhaltlichen Diskussion um das Für und Wider der Extremismusforschung.
Armin Pfahl-Traughber ist ein renommierter Wissenschaftler und gehört ohne Zweifel zu den differenziertesten Extremismusforschern. Aus seiner Replik schließe ich, dass der Auslöser seiner Verstimmung folgende Passage war:
Der Verfassungsschutz erlitt durch den NSU-Komplex ein großes Glaubwürdigkeitsproblem und wird von vielen Wissenschaftler:innen kritisiert. Auffällig ist, dass die wenigen Sozialwissenschaftler:innen, die den Verfassungsschutz verteidigten, der Extremismusforschung zuzurechnen sind. Neben Backes und Gereon Flümann, dessen Zweitgutachter Jesse war, sind das die ehemaligen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Pfahl-Traughber, Grumke und van Hüllen.
Meine Aussage bezog sich auf die Debatten nach dem Bekanntwerden des NSU-Komplexes und ist entsprechend auch in der Vergangenheitsform geschrieben. Ich unterstelle Armin Pfahl-Traughber keine pauschale Verteidigung des Verfassungsschutzes, wie er aus der obigen, von ihm falsch zitierten Passage folgert.
Konkret stützt sich meine Kritik an ihm auf einen Artikel aus dem Jahr 2015, erschienen im Jahrbuch Extremismus und Demokratie unter dem Titel "Die Nicht-Erkennung des NSU-Rechtsterrorismus". Anlass dafür war wiederum ein Artikel des Journalisten Andreas Speit in der Tageszeitung taz, in dem Speit folgende These begründet hatte:
Vor drei Jahren flog der NSU auf. Die Sicherheitsbehörden versagten, weil ihre Extremismustheorie nicht zwischen rechts und links unterscheidet.
(Andreas Speit, taz, 3. November 2014)
In seinem Artikel weist Pfahl-Traughber diesen Vorwurf zurück und verteidigt das gängige Analysevorgehen der Behörden: die Orientierung am Extremismuskonzept. Er schreibt:
Demnach bestanden bei der Nicht-Erkennung des NSU durchaus analytische Defizite. Diese hatten aber mit der vergleichenden Extremismusforschung nichts zu tun. Gerade der Mangel an einschlägigen Betrachtungen in diesem Sinne erklärt zu erheblichen Teilen die kritikwürdigen Fehlannahmen.
(Armin Pfahl-Traughber, Jahrbuch Extremismus und Demokratie 2015)
Zudem hält er die Einschätzung des Verfassungsschutzes von 2010, dass "in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar" waren für "falsch und richtig zugleich", da es angeblich keine rechtsterroristischen Strukturen jenseits der NSU-Zelle gegeben habe. Diese Ausführungen von Pfahl-Traughber sind Anlass, den Artikel als eine Verteidigung der Verfassungsschutzbehörden zu interpretieren.
Wenn Geheimdienstler inkognito in Debatten eingreifen
Ich bedaure, dass Pfahl-Traughber in seiner Replik keine Auseinandersetzung mit den von mir herausgearbeiteten Problemen der Extremismusforschung, ihre Nähe zu staatlichen Institutionen und Analysekategorien, sucht. Mich würde zum Beispiel interessieren, wie er es einschätzt, dass ein Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes, der mit zentralen Akteuren des NSU-Komplexes in Kontakt stand, vermutlich unter falschem Namen und ohne seinen beruflichen Hintergrund kenntlich zu machen, Artikel veröffentlicht, in denen er die Geheimdienste in Schutz nimmt. Dazu sagt er nichts.
Die öffentlich ausgesprochene Einladung, meine inhaltlichen Einwände gegen die Extremismusforschung in Form eines Artikels im "Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung" zur Diskussion zu stellen, stimmt mich positiv. Doch diese Darstellung liegt bereits vor: Im Jahr 2019 habe ich eine ausführliche Genese des Antiextremismus veröffentlicht und im gleichen Jahr meine Kritik an den Grundlagen der Extremismusforschung im Jahrbuch Extremismus und Demokratie dargelegt. Dem habe ich gegenwärtig nichts hinzuzufügen.
Die Argumente liegen vor und eine wirkliche Auseinandersetzung damit von Seiten der Extremismusforschung steht noch aus. Einem Nachdruck meiner Kritik an der Extremismusforschung im Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung bin ich offen gegenüber. Gerne kann die inhaltliche Auseinandersetzung um das Für und Wider der Extremismus auch in einem öffentlichen und dokumentierten Streitgespräch stattfinden.
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