Wer will es schon Krieg nennen?
Programmentwurf mit Interpretationsspielräumen: Partei Die Linke debattiert über Friedens- und Sicherheitspolitik
Einen Tag, nachdem die Partei Die Linke ihren Entwurf für ein Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 vorgelegt hat, zeichnen sich erste Änderungsanträge ab. Vor allem über Friedens- und Sicherheitspolitik dürfte vor und auf dem für Juni geplanten Parteitag heftig diskutiert werden.
Alexander Neu, dem Obmann der Linken im Verteidigungsausschuss des Bundestags, sind die Haltelinien zu schwammig formuliert: "Mich irritiert in dem Entwurf die Formulierung, wonach wir 'eine Beteiligung der Bundeswehr an NATO-Kriegseinsätzen' ablehnen. Was ist mit EU- oder UN-Kriegseinsätzen - soll hier ein Hintertürchen geöffnet werden? Die Linke lehnt Kriegseinsätze generell ab", erklärte Neu am Dienstag gegenüber Telepolis. "Um terminologische Missverständnisse zu vermeiden, sollten wir den Begriff 'Auslandseinsätze' statt 'Kriegseinsätze' verwenden, da 'Kriegseinsatz' nicht definiert ist", so Neu weiter.
Der sicherheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Matthias Höhn, hatte zuvor im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) genau vor dem Gegenteil gewarnt: Einen "kategorischen Ausschluss jedweder deutscher Hilfe bei friedenserhaltenden UN-Missionen" halte er nicht für richtig, da die Vereinten Nationen gestärkt werden müssten. Letzteres steht im Programmentwurf auf Seite 111 ("UNO und internationale Zusammenarbeit stärken"), aber fünf Seiten zuvor heißt es darin auch: "Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden". Ein "kategorischer Ausschluss" jedes nur denkbaren Auslandseinsatzes in Zukunft ist das noch nicht, aber zumindest der scheidende Ko-Parteichef Bernd Riexinger erklärte dazu auf Nachfrage des RND: "Wir sind grundlegend gegen Militäreinsätze der Bundeswehr. Sie dienen nicht der Herstellung von Frieden und Demokratie."
K.O.-Kriterium für SPD und Grüne
Damit vertritt Riexinger eine Haltung, mit der eine "rot-rot-grüne" Koalition im Bund unmöglich sein dürfte, wenn Die Linke nicht mit Abstand die stärkste Kraft wäre. Denn für SPD und Grüne steht und fällt "Regierungsfähigkeit" mit der Bereitschaft, die Bundeswehr im Ausland einzusetzen - obwohl Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) es nicht einmal "Krieg" nennen wollte, als 1999 deutsche Tornados im Rahmen der NATO-Operation "Allied Force" Ziele in Jugoslawien bombardierten. "Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen", erklärte Schröder seinerzeit.
Insofern kommen Alexanders Neus Bedenken nicht von ungefähr. Wer fordert, Die Linke solle im Rahmen der UNO Auslandseinsätze befürworten, übersieht seiner Meinung nach "die Machtverhältnisse in und um die UNO". Deren Gewaltmonopol sei, wenn es denn einmal zu einem Beschluss des Sicherheitsrates kam, "zumeist im Interesse einer oder mehrerer Großmächte" umgesetzt worden. "Nicht aber, um dem Gründungsgedanken der UNO und dem Geist eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit gerecht zu werden."
Im aktuellen Kräfteverhältnis sei es zutreffender, von einem Gewaltoligpol der Großmächte als von einem Gewaltmonopol der UNO zu sprechen, so Neu. Deshalb sei die Zustimmung zu UN-geführten oder rein UN-mandatierten, "aber von interessengeleiteten Großmächten militärisch umgesetzten Einsätzen" eben kein "Gegenentwurf zu dem Wild-West-Denken der Cowboys dieser Welt", wie Matthias Höhn es formuliere. "Es wäre nur eine Teilnahme an diesem 'Wild-West-Denken' mit einem UNO-Feigenblatt."
Soziales und Systemfrage
Andere Kapitel im Entwurf des Wahlprogramms "Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit" sind innerparteilich weit weniger umstritten: Die Linke fordert darin eine solidarische Mindestrente in Höhe von 1.200 Euro und eine Kindergrundsicherung sowie einen Mindeststundenlohn von 13 Euro. Zugleich will sie das steuerrechtliche Existenzminimum von zur Zeit nur 9.750 Euro im Jahr auf 14.400 Euro erhöhen. Der öffentliche Nahverkehr soll "gut ausgebaut und kostenfrei" werden, damit Klimaschutz nicht die unteren Einkommensgruppen und bisherige Berufspendler belastet.
Ermöglicht werden soll das nicht nur durch eine Abkehr von der "Schuldenbremse". Auch die Systemfrage wird an mehreren Stellen thematisiert. Für erschwingliche Mobilität und mehr Lebensqualität will Die Linke laut Programmentwurf "die großen Konzerne entmachten und die Produktion an sozialen und ökologischen Zielen ausrichten". Auf Seite 57 heißt es: "Demokratische öffentliche und genossenschaftliche Eigentumsformen können in Zukunft im Mittelpunkt einer nichtkapitalistischen Wirtschaftsweise stehen." Für die nächste Zukunft wird auf Seite 107 zumindest versprochen: "Den entfesselten Raubtierkapitalismus wollen wir endlich an die Leine nehmen."
Wie glaubwürdig es ist, ein anderes System zu fordern, wenn man im bestehenden System nicht ausschließen will, das Militär ins Ausland zu schicken, darüber gibt es offenbar mehr als eine Meinung.