Westsahara: "Neokoloniale Wende in der deutschen Außenpolitik"
- Westsahara: "Neokoloniale Wende in der deutschen Außenpolitik"
- Die ausweichende Haltung der Bundesregierung
- Unterschied zu Marokkos Position: "Nur in Nuancen" - Energiepolitik sticht alles
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Welche Werte leiten die deutsche Außenpolitik? Ministerin Baerbock nähert sich weiter der Position Marokkos zum völkerrechtswidrig besetzten Gebiet an. Deutschland setzt auf den "enorm wichtigen Partner" für eine dubiose Wasserstoffstrategie.
Der von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock eingeleitete Politik-Schwenk gegenüber dem autokratischen Königreich Marokko geht weiter. Das zeigen die Antworten der Bundesregierung, übermittelt vom Auswärtigen Amt (AA), auf eine Anfrage der Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen, die Telepolis vorliegen. Sie trägt den Titel: "Die Bundesregierung und die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara durch Marokko."
Es war schon auffällig, dass das Auswärtige Amt kurz nach dem Baerbocks Amtsantritt im Januar plötzlich die Basisinformationen auf ihren Webseiten zu Marokko verändert hatte. Insbesondere wurde die Position zu Marokkos Konflikt mit der Westsahara "aktualisiert".
Das von der grünen Baerbock neu geführte Ministerium schwenkte nun ausgerechnet auf die Linie des ehemaligen US-Präsidenten Trump in Richtung Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara ein.
Die Position der Regierung Merkel
Die Merkel-Regierung hatte dagegen noch auf Basis der UN-Resolutionen auf eine "gerechte, praktikable, dauerhafte und für alle Seiten akzeptable Lösung des Konflikts" unter "Achtung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte" gepocht. Berlin hatte sich damit den Zorn aus Rabat zugezogen.
Marokko hatte zwischenzeitlich damit gedroht, "jeden Kontakt mit der deutschen Botschaft in Rabat und allen Stiftungen, die dem deutschen Staat unterstehen," auszusetzen (siehe Westsahara: Marokko im Streit mit Deutschland).
Ampel hofiert den "Autonomieplan"
Von Baerbock und der Ampel-Regierung wurde nun der einseitig von Marokko 2007 vorgeschlagene "Autonomieplan" hofiert. "Der von Marokko 2007 vorgeschlagene Autonomieplan kann einen wichtigen Beitrag leisten, um einer Lösung näherzukommen", hatte das AA auf Anfrage von Telepolis ausdrücklich die neue Haltung bestätigt.
Dass dies den Resolutionen der Vereinten Nationen (UN) zur Entkolonisierung der Westsahara widerspricht, will man im Baerbock-Ministerium anscheinend nicht erkennen. Dort greift man sich aus der letzten Westsahara Resolution (2602) des UN-Sicherheitsrats einfach ein paar passende Worte heraus – so wird in den Vorbemerkungen der Autonomie-Vorschlag als "ernsthafte und glaubwürdige" Bemühung Marokkos bezeichnet, um den Prozess in Richtung einer Lösung voranzubringen.
Daran klammert sich das AA seither wie an einen Nagel, um weiter so zu tun, als suche man nach "einer politischen Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen", was immer wieder als Phrase in den AA-Antworten auftaucht. Die Realität hat mit dem Wiederaufflammen des Kriegs zwischen Marokko und der Westsahara-Befreiungsfront Polisario vor zwei Jahren längst das Gegenteil bewiesen.
Eine Lösung war seit 1991 nie so weit entfernt wie heute. Der von der Bundesregierung hofierte Autonomieplan hat nur Gewalt befördert und der Konflikt droht sich regional auszuweiten, da Marokko Algerien als "wahre Konfliktpartei" bezeichnet.
Sevim Dagdelen, Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss, weist in ihrer Anfrage auf die einseitige Bezugnahme auf Marokkos Plan durch Baerbock in der gemeinsamen deutsch-marokkanischen Erklärung hin. Sie fragte deshalb, warum Baerbock allein im Autonomie-Plan eine "gute Grundlage" sieht, "um zu einer Einigung beider Seiten zu kommen.
Den Vorschlag der Polisario, ebenfalls aus dem Jahr 2007, der vom UN-Sicherheitsrat "zur Kenntnis" genommen wurde, ignoriert man dagegen in Berlin, wie die Antworten auf die Dagdelen-Anfrage zeigen. Angeblich strebe die Bundesregierung weiter einen "praktikablen, dauerhaften und für alle Seiten akzeptablen Lösung des Konflikts" an.
Statt den Polisario-Plan auch nur zu erwähnen, wird erneut nur auf den marokkanischen "Autonomie-Plan" verwiesen. Der wird als "wichtigen Beitrag" herausgestrichen, "um zu einer politischen Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen zu kommen."
Und das Selbstbestimmungsrecht?
Dass der Polisario-Plan weiter konsequent ignoriert wird, macht deutlich, dass man im Baerbock-Ministerium und der Bundesregierung nichts von Plänen hält, die Entkolonisierung der "letzten Kolonie Afrikas", wie die Westsahara gerne genannt wird, auf Basis des Selbstbestimmungsrechts und demokratisch zu lösen.
Dabei hat auch Marokko den UN-Sozialpakt 1979 ratifiziert. Dort heißt es gleich im 1. Artikel eindeutig:
Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
Statt darauf zu drängen, wie es die Merkel-Regierung tat, hintertreibt man das Selbstbestimmungsrecht, das man in der Ukraine mit Waffenlieferungen zu verteidigen vorgibt und stützt mit Marokko einen autoritären Aggressor.
Die Polisario hatte 2007 dagegen auf das einst vereinbarte Referendum gepocht und aufgeführt:
Die Lösung des Konflikts besteht in der Durchführung eines Referendums über Selbstbestimmungsrecht.
In einer "freien und fairen" Abstimmung müsse die Bevölkerung die Möglichkeit haben, "über ihre Zukunft zu entscheiden". Das Referendum war die Grundlage für das Waffenstillstandsabkommen im Jahr 1991 mit Marokko.
Daraufhin wurde die UN-Mission zur Beobachtung eines Referendums über die Unabhängigkeit (Minurso) eingesetzt. Doch der war es in 30 Jahren nicht gelungen, die Abstimmung gegen den Widerstand Marokkos durchzusetzen.
Die Polisario verweist auf etliche UN-Resolutionen zum Friedensplan und zur Selbstbestimmung, "die vom Sicherheitsrat gebilligt wurden". Die Bemühungen zur Durchführung des Referendums scheiterten, "da das Königreich Marokko seine internationalen Verpflichtungen nicht einhielt", resümiert die Befreiungsfront.