Wetterderivate: Wie Unternehmen sich gegen Wetterrisiken absichern
Wetterrisiken bedrohen Unternehmen zunehmend. Ein neues Finanzprodukt verspricht Abhilfe gegen Hitze, Regen oder Kälte. Doch der Handel birgt auch Tücken.
Der Kapitalismus macht alles zur Ware und letztlich sorgt er dafür, dass alles in einem Geldwert ausgedrückt werden kann. So oder ähnlich hat es Karl Marx schon im 19. Jahrhundert geschrieben. Was er nicht ahnen konnte: In unserer Zeit erhält sogar das Wetter einen Geldwert.
Das geschieht etwa in Form von Wetterderivaten, die an der Chicago Mercantile Exchange (CME) gehandelt werden können. Weil das Wetter immer unberechenbarer wird und das Wetter etwa in der Landwirtschaft, im Tourismus oder in der Energieversorgung von ökonomischer Bedeutung ist, wollen sich Unternehmen zunehmend gegen ein finanzielles Risiko absichern.
Schutz vor häufigeren Wetteranomalien
Im Gegensatz zu Versicherungen gegen Naturkatastrophen wie Wirbelstürme bieten Wetterderivate Schutz vor weniger schweren, aber häufiger auftretenden Wetteranomalien. Und sie funktionieren dabei ähnlich wie Aktienoptionen.
Bei Aktienoptionen sichert eine Vertragspartei der anderen zu, Aktien etwa zu einem bestimmten Preis abzunehmen oder ihm die Aktien zu einem festgelegten Preis zu liefern. Auf diese Art können sich Händler gegen fallende oder steigende Kurse absichern.
Bei Wetterderivaten ist es ähnlich: Käufer erhalten eine Zahlung, wenn bestimmte Wetterfaktoren von der vereinbarten Norm abweichen. Der Betreiber eines Solarparks könnte dann eine Entschädigung erhalten, wenn zu viele bewölkte Tage die Stromerzeugung beeinträchtigen. Oder ein Landwirt erhält eine Zahlung, etwa wenn Hitze die Ernte verdorren lässt.
Börsenhandel und maßgeschneiderte Verträge
Wetterderivate, die sich zum Beispiel an der Temperatur orientieren, können an der CME gehandelt werden. Sie nutzen Heiz- und Kühlgradtage als Parameter und zahlen aus, wenn die Temperaturen von Durchschnittswerten abweichen.
Das Gros der Wetterderivate wird jedoch außerbörslich direkt zwischen Käufern und Verkäufern gehandelt. So lassen sich die Verträge passgenau an individuelle Bedürfnisse anpassen, etwa indem mehrere Auszahlungsauslöser kombiniert werden. Ein Gasversorger kann sich so gegen verschiedene Wetterbedingungen absichern, die den Gasverbrauch und damit seine Einnahmen schmälern würden.
Rasantes Marktwachstum trotz Anfängen
Der Markt für Wetterderivate wächst rasant. Laut CME Group stieg das durchschnittliche Handelsvolumen börsennotierter Produkte im vergangenen Jahr um über 260 Prozent, berichtet Bloomberg. Schätzungen zufolge könnte der Gesamtwert aller Wetterderivate bis zu 25 Milliarden US-Dollar betragen.
Dabei steckt die Anlageklasse noch in den Kinderschuhen. 1997 startete der außerbörsliche Handel, später kamen börsennotierte Produkte hinzu, zunächst nur in den USA. 2004 erweiterte die CME ihr Angebot um erste asiatische Märkte wie Tokio und Osaka.
Den jüngsten Aufschwung verdanken Wetterderivate dem zunehmend unberechenbaren Wetter und dem Druck von Investoren. Diese verlangen von Unternehmen vermehrt, Klimarisiken offenzulegen und Pläne zu deren Bewältigung vorzulegen.
Studien warnen, dass die Folgen des Klimawandels die Weltwirtschaft härter treffen könnten als bisher angenommen. Ein Temperaturanstieg von einem Grad Celsius könnte die globale Wirtschaftsleistung laut Bloomberg demnach dauerhaft um bis zu zwölf Prozent einbrechen lassen – vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise 1929.
Neue Technologien treiben Marktentwicklung
Dass immer mehr solcher Derivate auf den Markt gelangen, wird durch Wettersatelliten ermöglicht. Sie liefern immer genauere Wetterdaten, mit denen auch komplexe lokale Phänomene erfasst werden können. Auf diese Weise lassen sich für jeden Käufer maßgeschneiderte Wetterderivate erstellen und verkaufen.
Verbreitet sind solche Kontrakte in erster Linie in den USA und einigen anderen Industriestaaten, besonders in den Bereichen Energie und Landwirtschaft. Aber auch im Nahverkehr kommen sie zum Einsatz, etwa wenn sich Verkehrsunternehmen gegen zu kalte Winter absichern wollen.
In den kommenden Jahren könnten sie aber auch in Entwicklungsländern an Popularität gewinnen. Indien ermöglichte kürzlich den Handel mit Wetter als ersten Schritt zu eigenen Derivaten. In Afrika bleiben Wetterderivate trotz ihres Potenzials zur Bewältigung von Klimarisiken dagegen noch eine Randerscheinung.