Wettrüsten 2.0.: Was schützt uns im zweiten Kalten Krieg?

Seite 2: Atomwaffen als "Weiterentwicklung der Artillerie"

Um also beizubehalten, was man gewohnt war, nämlich die traditionelle Macht- und Drohpolitik, verlegte man sich aufs Leugnen. Man leugnete einfach, dass Nuklearwaffen so gefährlich seien. Falsch sei es zu behaupten, Kernwaffen seien zu schrecklich, um damit Kriege zu führen.

Hatte der Promotor der Wasserstoffbombe, Edward Teller, noch gehofft, dass mit der Superbombe endlich der Weltfrieden erzwungen werden könne7, dachte man nun umgekehrt: Vielleicht wären Nuklearwaffen durchaus für militärische Auseinandersetzungen geeignet und ein besonders raffiniertes Kriegsgerät. Die Idee des begrenzten, des führbaren Atomkriegs war geboren. Nicht der Weltfriede im neuen Zeitalter war nun angesagt, sondern Kriegsführung der besonderen Art.

In welche Richtung es jetzt laufen sollte, hatte unter vielen anderen der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer sofort begriffen. Im Rahmen seiner "Politik der Stärke" waren Atomwaffen, wie er 1957 auf einer Pressekonferenz kundtat, keineswegs etwas Besonderes, sondern "nichts weiter als eine Weiterentwicklung der Artillerie".8

Damit formulierte er genau jene Sichtweise, die seitdem die Planungen der großen Atommächte beherrscht. Wenn US-Präsident Richard Nixon Anfang der 1970er-Jahre davon sprach, das Atomwaffenarsenal habe nur dann einen Sinn, wenn es auch benutzt werden könne9 und Donald Trump diese Aussage 2016 fast wortgleich wiederholte10, so wurde lediglich festgeschrieben, was über die Jahrzehnte innerhalb des militärisch-industriellen Komplexes der USA als selbstverständlich gilt: Nuklearwaffen sind Kriegsführungswerkzeuge und im Zweifelsfall auch einsetzbar. In Russland lief es ebenso.

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Der Atomkrieg wurde also miniaturisiert. Aus der finalen Weltkatastrophe sollte ein überschaubares Getümmel werden. Anstelle der gemeinsamen Niederlage und dem Ende der Zivilisation, vielleicht der gesamten Menschheit, sollten, ganz im Stil der vergangenen Jahrhunderte, der politische Konkurrent bedroht und unter Druck gesetzt und im Zweifelsfall militärische Siege eingefahren werden.

Nichts brauchte sich wirklich zu ändern. Technisch handhabbar sein würde, was aller Nutzbarkeit zu entgleiten drohte. Fleißig wurden jetzt Nuklearwaffen auf das Niveau von Geschossen und Kanonenkugeln heruntergefahren.

Treffsicherheit und Präzision sollten so verfeinert werden, dass zumindest die Behauptung an Glaubwürdigkeit gewann, man könne die Zivilbevölkerung schonen. Gegenteilige Informationen konnte man ignorieren.

Was geschah mit dem atomaren Tabu? Sollte es jemals existiert haben, so war es jetzt überflüssig geworden. Meldungen, auch "begrenzte" Nukleareinsätze könnten Millionen Zivilisten töten, einen "atomaren Winter" im Gefolge habe, weltweite Hungersnöte auslösen, beeindruckten Atompazifisten, aber nicht diejenigen, die Kernwaffen für unverzichtbar hielten.

In zahllosen Manövern wurde nun Atomkrieg trainiert: aufs Praktikable begrenzt, sorgfältig abgesteckt, überschaubar gemacht, eben tauglich für reale Waffengänge. Die letzte einschlägige Übung der NATO, "Steadfast Noon", fand im Oktober 2022 statt. Atomares Tabu?

Atomwaffen – Stolz und Stärke

Weshalb werden dann Unsummen für atomare Rüstung ausgegeben? Will man Gelder in Geräte investieren, die man niemals nutzt? Und die Öffentlichkeit? Umfragen zeigen, dass diese eher keine Tabus kennt. In Russland werden Atomwaffen weithin positiv gesehen.12

Auch in den USA werden sie vorwiegend als konventionelles Kriegsgerät "mit größerer Sprengkraft" betrachtet, so Peter Rudolf.13 "Von einem atomaren Tabu" – so Rudolf weiter – "von einer prinzipiellen Ablehnung des Einsatzes von Atomwaffen, lässt sich zumindest für die amerikanische Bevölkerung nicht sprechen; unter bestimmten Voraussetzungen wäre eine beträchtliche Zahl durchaus für den Einsatz von Atomwaffen".

Auch in den Bevölkerungen anderer demokratischer Länder mit Atomwaffen findet sich nach einer neueren Untersuchung keineswegs eine kategorische Ablehnung von Kernwaffeneinsätzen selbst gegen die Zivilbevölkerung."14

Als Resultat einer großangelegten Umfrage in den USA resümiert der Amerikanist Bernd Greiner: "Tabuisiert ist weniger die Kriegsführung mit Atomwaffen als vielmehr der Gedanke an eine nuklear entkernte Kriegsmaschine."15 Man ist stolz auf diese Supertechnologie, sie ist ein Symbol für Stärke und Kraft.

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