Who’s Next? Obdachlosigkeit vs. Weihnachtsidylle

Seite 2: Studierende und ehemals Obdachlose unter einem Dach

Ein Beispiel ist das österreichische Projekt VinziRast-mittendrin, wo Studenten und ehemalige Obdachlose zusammenleben. "Ein besonders interessantes Beispiel", sagt Talesnik, "weil es sozusagen experimentell ist: Die Lage in der Innenstadt, die gute Kombination von Studenten und Obdachlosen", ferner die Zimmer als Privaträume, aber auch die öffentlichen Räume im Gebäude, also Café und Garten sowie ein Keller, in dem Workshops stattfinden.

Es sein ein "Long Term"-Projekt und der Aufbau soll zum Verweilen einladen: "Das Problem ist nicht ein Dach über dem Kopf, sondern dass die Leute bleiben", sagt Talesnik, man könne das Gebäude "educational experience" nennen.

Das könnte für beide Seiten passen: Wer nämlich denkt, dass "man" mit ehemals Obdachlosen nicht gut zusammenleben könnte, wird durch die Zahlen eines Besseren belehrt. Die Studenten flüchten nämlich nicht nach einer oder zwei Wochen.

Im Gegenteil: "Man kann grob sagen, dass die StudentInnen im Durchschnitt ein bis zwei Jahre bleiben, manche bis zu drei Jahren", so Renate Hornstein, Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit bei VinziRast.

Es scheint fast, als wolle sie sich dafür entschuldigen, dass die Studenten nicht während ihrer gesamten Studienzeit dort wohnen bleiben – "tendenziell verändert sich ihr Lebenswandel einfach schneller, als jener von ehemals obdachlosen Menschen oder von Bewohner:innen mit Fluchthintergrund.

Sie reisen mehr, machen fallweise ein Auslandssemester, wollen irgendwann mit der Partnerin oder dem Partner zusammenziehen... Sie sind flexibler, wendiger, haben meist ein sehr gutes soziales Netz (etwas, was die anderen Zielgruppen meist erstmal aufbauen müssen) und selbst ihre großen Entscheidungen treffen sie manchmal ganz spontan. Auch werden sie oft noch von ihren Eltern finanziell unterstützt."

Die ehemals Obdachlosen bleiben länger, und das ist eben gewollt: "Die anderen beiden Zielgruppen sind tendenziell bedachter/langsamer in ihren Entscheidungen, wohnen länger bei uns, weil sie schon zwei, drei oder mehr Jahre brauchen, um sich eigenständig zu fühlen und einen Wechsel in eine eigene Wohnung auch finanziell zu schaffen. Meist ziehen sie danach in Gemeindewohnungen, wir helfen dabei, Anträge dafür zu stellen." Dies sei "eine grobe Tendenz" – und macht Hoffnung.

Die Ausstellung "Who’s Next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt" wurde von Daniel Talesnik für das Architekturmuseum der Technischen Universität München (TUM) konzipiert und von den Student:innen Ella Neumaier, Ilyas Kerem Yilmaz, Ann-Kathrin Gügel, Theresa Thanner und Anna-Maria Mayerhofer unterstützt. Die Gestaltung der Ausstellung realisierte Carmen Wolf, die Grafik Kathryn Gillmore. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg ist die zweite Ausstellungsstation.

Parallel zur Ausstellung zeigt das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt eine Fotoserie über Obdachlosigkeit in Tokio von Ulrike Myrzik und Manfred Jarisch im Hinz&Kunzt-Haus (Minenstraße 9, 20099 Hamburg). Diese Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.