Wie Indien und China auf den Ukraine-Krieg reagieren

Seite 2: Was Chinas Vorgehen von Indien unterscheidet

So hat sich der ehemalige Premierminister Manmohan Singh sich gegen den Kauf von günstigem russischem Öl oder Rohstoffen ausgesprochen. Er schrieb:

Langfristig wird Indien mehr von einem ungehinderten Zugang zu den westlichen Märkten für indische Exporte im Rahmen der bestehenden Handelsordnung profitieren als von verbilligten Rohstoffen und bilateraler Währungsvereinbarungen, die eine neue parallele globale Handelsstruktur schaffen sollen.

Diese Sichtweise geht ohne weitere Fragen davon aus, dass der US-dominierte Westen ein strategisches Interesse am Aufbau Indiens als Gegengewicht zu China hat. Dazu gehört der in Indien vorherrschende Glauben, dass der "freie Westen" den Krieg gegen die autokratische Achse Russland-China gewinnen wird.

Und an dieser Stelle kommt China ins Spiel. Kurz gesagt, China unterstützt Russland nachdrücklich und vermeidet gleichzeitig eine unnötige Verstrickung in das westliche Sanktionsregime.

Hochrangige Regierungsvertreter der USA hegen anhaltendes Misstrauen angesichts Chinas langjähriger Unterstützung für Russland, gestehen gleichzeitig aber ein, dass sie aus Beijing bislang weder eine offene militärische und wirtschaftliche Unterstützung für Russland noch systematische Bemühungen erkennen, Russland bei der Umgehung der bestehenden Sanktionen zu helfen.

Das Beste, was der Westen derzeit erreichen kann, ist, Beijing in einen erzwungenen Balanceakt zwischen Russland und dem Westen zu zwingen.

Präsident Biden, der in der Ukraine-Frage außerordentlich aktiv ist, hat bisher keine direkte Hilfe Chinas für Russland erwähnt. Unlängst erklärte US-Außenminister Antony Blinken vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats, dass China als Verbündeter Russlands mit einem "erheblichen Reputationsrisiko" zu kämpfen hätte und dass "wir im Moment keine nennenswerte Unterstützung Chinas für Russlands militärische Aktionen sehen".

Bidens anstehende Reise nach Japan und Südkorea, seine Erste als Präsident, ist in diesem Kontext entscheidend.

Doch die Fakten sprechen für sich. Russlands Erdgasexporte nach China sind in den ersten vier Monaten des Jahres um 60 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2021 gestiegen.

Gazprom erklärte indes, dass die russischen Gaslieferungen nach China über die neuen Fernost-Routen bis zum Jahr 2026 rund 48 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreichen könnten, verglichen mit rund zehn Milliarden Kubikmetern im Jahr 2021.

In der Zwischenzeit arbeitet Gazprom auch an Plänen für eine weitere Pipeline – die Sojus-Wostok-Pipeline –, die von Russland über die Mongolei nach China verlaufen soll. Das würde bedeuten, dass jedes Jahr weitere 50 Milliarden Kubikmeter Gas nach China geleitet werden könnten.

China, der größte Energieverbraucher der Welt, bleibt bei seinem Standpunkt, dass es die Sanktionen ablehnt und den Handel mit Russland, die Erdöl- und Erdgas-Industrie eingeschlossen, fortsetzen wird.

Die weltweite Nachfrage ist nach wie vor hoch, und die Preise für Erdgas, Erdöl und Kohle sind seit letztem Jahr stark gestiegen. Russlands Probleme bei der Erschließung der Weltmärkte könnten die Preise noch weiter in die Höhe treiben.