Wie Ostdeutsche zu Kranken erklärt werden

Seite 3: Die Ostdeutschen wurden auf die Couch gelegt

Ansonsten wurde pathologisiert und psychologisiert, statt analysiert. Die Ostdeutschen wurden auf die Couch gelegt. Die Westdeutschen auch?

Auch Jessy Wellmer erzählt im Film fortwährend von ihren Gefühlen und findet irgendwelche Dinge "schwer erträglich". Aber sie und diese Gefühle werden nicht auf die Couch gelegt und analysiert und mit irgendwelchen Erfahrungen begründet, etwa dass man sich als "Kind der Wende" gewisse Enttäuschungen nicht eingestehen kann oder Ähnliches.

Wenn die Leute bei einer Demonstration ihr gegenüber misstrauisch sind, fragt sich Wellmer nicht, warum. Stattdessen erklärt der Westen den Ostdeutschen, wie sie zu denken haben.

Alles dies dient der von Anfang an im Kommentar der Autorin festgelegten Rationalisierung der Russlandfeindschaft und Infragestellung aller Differenzierung oder gar Verständnisses gegenüber Russland.

Undenkbar wäre dagegen ein Themenabend mit dem Titel "USA, Biden und wir Westdeutsche" und der Frage: "Warum tickt der Westen gegenüber den USA anders als der Osten? Woher kommt diese einschränkungslose Liebe zu den USA? Wieso will man Kriege, Aufrüstung und Folter nicht zur Kenntnis nehmen?"

Programm für Westdeutsche

Dieser Abend erscheint insofern für die aktuelle deutsche Gesellschaft und ihre Medien als symptomatisch, als dass er die Sehnsucht nach einem monolithischen Feindbild artikuliert: Russland als Feind und China als zukünftiger Feind verkörpern die Fantasie einer starken Macht, die "uns" mit einer eisernen Hand bedroht.

Eine Sehnsucht nach Entkomplizierung der Welt, nach Eindeutigkeit der Sinnprozesse. Sie verkörpern, mit Slavoj Žižek gesprochen, die "Idee von einem lückenlosen, mächtigen großen Anderen".

Dies war ein Themenabend für Westdeutsche, um ihnen die DDR zu erklären und dieses merkwürdige Ostdeutschland. Es war kein Programm für Ostdeutsche, um ihnen irgendetwas erklären und es ist auch kein Programm für Gesamtdeutschland, um einen möglichen Kompromiss auszuloten, etwas zu lernen oder aufeinander zuzugehen. Es war auch kein Programm, das irgendetwas vermittelt.

Denn einen Kompromiss darf es hier nicht geben, sondern nur Überzeugung, Überredung, zur Not Überwältigung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.