Wie Spin und Lügen einen blutigen Zermürbungskrieg in der Ukraine anheizen

Seite 2: Mitverantwortung des Westens unter den Teppich gekehrt

Berater von Premierminister Selenskyj haben die Einzelheiten des Besuchs von Boris Johnson am 9. April in Kiew mitgeteilt, die am 5. Mai in der Ukrayinska Pravda veröffentlicht wurden. Sie sagten, Johnson habe zwei Botschaften übermittelt. Die erste war, dass Putin und Russland "unter Druck gesetzt werden sollten, anstatt mit ihnen zu verhandeln". Die zweite lautete, dass, selbst wenn die Ukraine ein Abkommen mit Russland abschließen würde, der "kollektive Westen", den Johnson angeblich vertrat, sich nicht daran beteiligen würde.

Die westlichen Medien haben sich in der Regel nur insofern über diese frühen Verhandlungen geäußert, um sie in Zweifel zu ziehen oder alle, die sie wiederholen, als Putin-Apologeten zu diffamieren, obwohl diverse Quellen wie ukrainische Beamte, türkische Diplomaten und jetzt auch der ehemalige israelische Premierminister die westliche Blockadehaltung bestätigen.

Die Propaganda, mit der Politiker und Medien des westlichen Establishments ihrer eigenen Öffentlichkeit den Krieg in der Ukraine erklären, ist ein klassisches "Weiße-Hüte-gegen-Schwarze-Hüte"-Narrativ, in dem die Schuld Russlands an der Invasion gleichzeitig als Beweis für die Unschuld und Rechtschaffenheit des Westens dient.

Der wachsende Berg an Beweisen dafür, dass die USA und ihre Verbündeten für viele Aspekte dieser Krise mitverantwortlich sind, wird unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt, der immer mehr aussieht wie eine Bebilderung aus dem Buch "Der kleine Prinz", bei der die Königsschlange Boa Constrictor einen Elefanten verschluckt hat.

Noch lächerlicher machten sich westliche Medien und politische Vertreter, als sie versuchten, Russland für die Sprengung seiner eigenen Pipelines verantwortlich zu machen, nämlich der Nord-Stream-Erdgaspipelines, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland leiten sollen.

Nach Angaben der Nato handelte es sich bei den Explosionen, bei denen eine halbe Million Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangten, um "vorsätzliche, rücksichtslose und unverantwortliche Sabotageakte". Die Washington Post zitierte einen anonymen "ranghohen europäischen Umweltbeamten" mit den Worten: "Niemand auf der europäischen Seite des Ozeans glaubt, dass es sich um etwas anderes als russische Sabotage handelt."

Erst der ehemalige Enthüllungsreporter der New York Times, Seymour Hersh, brach das Schweigen. In einem Blogeintrag auf seinem eigenen Substack-Account veröffentlichte er einen spektakulären Whistleblower-Bericht darüber, wie Taucher der US-Navy gemeinsam mit der norwegischen Marine die Sprengsätze im Rahmen einer Nato-Marineübung anbrachten.

Mit einem ausgeklügeltes Signalsender von einer Boje, die von einem norwegischen Überwachungsflugzeug abgeworfen wurde, brachte man sie schließlich zur Explosion. Laut Hersh war Präsident Biden aktiv an dem Plan beteiligt. Er soll den Plan abgeändert haben, um den Einsatz der Signalboje zu ermöglichen, so dass er persönlich den genauen Zeitpunkt der Operation diktieren konnte, die am Ende drei Monate, nachdem der Sprengstoff angebracht wurde, ablief.

Das Weiße Haus hat den Bericht von Hersh vorhersehbar als "völlig falsch und frei erfunden" abgetan, aber nie eine vernünftige Erklärung für diesen historischen Akt des Umweltterrorismus angeboten.

Präsident Eisenhower sagte bekanntlich, dass nur eine "wachsame und sachkundige Bürgerschaft" sich "vor der Dominanz von unberechtigtem Einfluss durch den militärisch-industriellen Komplex schützen kann, sei er erwünscht oder unerwünscht". Das Potenzial für den verhängnisvollen Aufstieg einer fehlgeleiteten Macht ist vorhanden und wird fortbestehen".

Was also sollten aufgeklärte amerikanischer Bürger über die Rolle wissen, die unsere Regierung beim Anheizen der Krise in der Ukraine gespielt hat – eine Rolle, die von den Konzernmedien unter den Teppich gekehrt wurde? Das ist eine der wichtigsten Fragen, die wir in unserem Buch "War in Ukraine: Making Sense of a Senseless Conflict" zu beantworten versucht haben. Die Antworten enthalten u.a.:

  • Die USA brachen ihr Versprechen, die Nato nicht nach Osteuropa auszuweiten. 1997, als die Amerikaner noch gar nichts von Wladimir Putin gehört hatten, wandten sich 50 ehemalige Senatoren, pensionierte Militärs, Diplomaten und Wissenschaftler in einem Schreiben an Präsident Clinton und stellten sich gegen die Nato-Erweiterung. Sie bezeichneten sie als einen politischen Fehler von "historischem Ausmaß". Der Elder Statesman George Kennan verurteilte sie als "den Beginn eines neuen Kalten Krieges".
  • Das Friedensabkommen von Minsk II aus dem Jahr 2015 führte zu einer stabilen Waffenstillstandslinie und einer stetigen Verringerung der Opferzahlen. Aber die Ukraine versäumte es, Donezk und Luhansk wie vereinbart, Autonomie zu gewähren. Angela Merkel und Francois Hollande gestehen nun ein, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs Minsk II nur unterstützten, um der Nato Zeit zu verschaffen, das ukrainische Militär zu bewaffnen und auszubilden, damit es den Donbass mit Gewalt zurückerobern kann.
  • In der Woche vor der Invasion dokumentierten OSZE-Beobachter im Donbass eine enorme Eskalation an Einschlägen rund um die Waffenstillstandslinie. Die meisten der 4.093 Explosionen innerhalb von vier Tagen ereigneten sich in den von Rebellen kontrollierten Gebieten, was auf einen Beschuss durch die ukrainischen Regierungstruppen hindeutet. Beamte der USA und Großbritanniens behaupteten, es handele sich um Angriffe unter "falscher Flagge" – als ob die Streitkräfte von Donezk und Luhansk sich selbst beschießen würden –, so wie später behauptet wurde, Russland habe seine eigenen Pipelines in die Luft gejagt.
  • Nach der Invasion unterstützten die USA und Großbritannien die Friedensbemühungen der Ukraine nicht, sondern blockierten oder verhinderten sie von Anfang an. Der britische Premierminister Boris Johnson sagte, man habe nun eine Gelegenheit, Russland "unter Druck zu setzen". Man wolle möglichst viel davon profitieren. US-Verteidigungsminister Austin erklärte, Ziel sei es, Russland zu "schwächen".

Was würde eine aufmerksame und sachkundige Bürgerschaft davon halten? Wir würden Russland weiter klar für den Einmarsch in die Ukraine verurteilen. Aber was dann? Wir würden sicherlich verlangen, dass die politisch und militärisch Verantwortlichen der USA uns die Wahrheit über diesen schrecklichen Krieg und die Rolle unseres Landes darin mitteilen.

Wir würden verlangen, dass die Medien die Wahrheit an die Öffentlichkeit weitergeben. Eine "aufmerksame und sachkundige Bürgerschaft" würde dann sicherlich von ihrer Regierung einfordern, dass sie diesen Krieg nicht weiter anheizt und stattdessen sofortige Friedensverhandlungen unterstützt.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Online-Magazin Common Dreams. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Medea Benjamin ist die Mitbegründerin von CODEPINK und der Menschenrechtsgruppe Global Exchange. Seit mehr als 40 Jahren setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit ein. Sie ist Autorin von zehn Büchern, darunter "Drone Warfare: Killing by Remote Control", "Kingdom of the Unjust: Behind the US-Saudi Connection" und "Inside Iran: The Real History and Politics of the Islamic Republic of Iran". Ihre Artikel erscheinen regelmäßig in Zeitungen wie Znet, The Guardian, The Huffington Post, CommonDreams, Alternet und The Hill.

Nicolas J. S. Davies recherchiert für "CODEPINK: Women for Peace" und ist Buchautor, u.a. von "Blood On Our Hands: the American Invasion and Destruction of Iraq. Zusammen mit Medea Benjamin hat er gerade "War in Ukraine: Making Sense of a Senseless Conflict" veröffentlicht.