Wie der Globale Süden das All erobern will

Start der indischen Rakete PSLV-C25. Bild: isro.gov.in

Nur Indien und Iran können derzeit Cargo-Raketen ins All schießen. Doch die internationale Zusammenarbeit ist rege. Weshalb die Zahl der Weltraum-Nationen bald sprunghaft ansteigen könnte.

Im Frühjahr 2023 nannten über 80 Länder Satelliten ihr Eigen, die nun in der Erdumlaufbahn kreisen. Eine entsprechende, nach Startdaten geordnete Liste bei Wikipedia beginnt selbstverständlich mit dem historischen Start von Sputnik von 1957. Ihr – vorläufiges – Ende findet die Tabelle mit der Lancierung zweier albanischer Flugkörper, die in den USA gebaut und auch von dort gestartet worden sind.

Deutlich kleiner fällt die Liste der Länder aus, die selbst Satelliten fertigen und das Knowhow dazu besitzen. Und sehr überschaubar ist momentan die Zahl der Staaten, die über Raketen verfügen, mit denen sie aus eigener Kraft ins All vordringen können.

"Bestätigte Fähigkeit zum orbitalen Start" heißt das im besten Technokratendeutsch – und dieser Fähigkeit können sich im Globalen Süden derzeit lediglich Indien und der Iran rühmen.

Ballistische Raketen reichen für Orbitalstarts nicht aus, weshalb etwa Pakistan nicht zu den weltraumfahrenden Nationen gehört.

Indien: Erster bemannter Weltraumflug für 2024 geplant

Indien ist mit seinen Raumfahrtbemühungen von allen Ländern des Globalen Südens am weitesten fortgeschritten. Bereits vor zehn Jahren verschaffte sich Delhi mit einem Mars-Orbiter vom südindischen Weltraumbahnhof Bengaluru aus den Respekt der Fachwelt. Der Orbiter war bis 2022 aktiv, doppelt so lange wie geplant.

Zudem war die Mission mit Kosten von umgerechnet nur 73 Millionen US-Dollar sagenhaft günstig.

Inzwischen plant die Indian Space Research Organisation (Isro) aber deutlich größer: Für 2024 ist der erste bemannte Raumflug geplant.

In Bengaluru stehen derzeit fünf Raketentypen zur Verfügung, die Nutzlasten ins All transportieren können. Die größte davon hat mehr als drei Stufen und zwei Booster und trägt die Typenbezeichnung LVM3-HLVM3..

Die Rakete ist groß genug, um Menschen in den erdnahen Orbit zu befördern. Auch die Kapsel, die künftig die Astronaut:innen beherbergen soll, ist seit 2019 fertig und wurde schon im All getestet.

Satellitenstarts sind in Bengaluru längst Routine und erregen nur noch öffentliche Aufmerksamkeit, wenn neue Technik zum Einsatz kommt. Sie machen im Jahr 2020 fast die Hälfte des Umsatzes der indischen Raumfahrtindustrie von umgerechnet knapp zehn Milliarden US-Dollar aus.

Weitere aktuelle Projekte der Isro sind der Mondrover "Chandrayaan 3", eine Mission zur Venus noch in diesem Jahr und ein wiederverwendbarer Raumgleiter ("Reusable Launch Vehicle", RLV).

Auch das unbemannte Fluggerät absolvierte seinen letzten Testflug im April 2023 erfolgreich und gilt in Indien als wichtiger Baustein für den Aufbau einer eigenen Raumstation im erdnahen Orbit.

Indische Fernziele und internationale Kooperation

Damit sind bereits wesentliche Fernziele Delhis in der Raumfahrt angesprochen: Man will wiederverwendbare Raketen bauen, die auch Menschen transportieren können, und eine eigene Raumstation im All installieren, die bis 2035 realisiert werden soll.

Die dafür notwendige Trägerrakete muss allerdings erst noch entwickelt werden. Doch wenn das indische Raumfahrtprogramm weiterhin so planmäßig verläuft wie bisher, ist eine Realisierung in den nächsten zwölf Jahren nicht ausgeschlossen. Bereits vor sieben Jahren wurde 2024 als Termin für den ersten bemannten indischen Raumflug genannt.

Hintergrund der indischen Bemühungen ist das Wissen um die Erfolge des großen Konkurrenten China. Die atlantische Fraktion in Delhi und den indischen Massenmedien favorisiert natürlich die Kooperation mit den USA.

Es wurde sogar schon spekuliert, ob die von den USA ins Leben gerufene Quad-Allianz zwischen den USA, Indien, Japan und Australien nach dem absehbaren Ende der Internationalen Raumstation ISS ein solches Projekt fortführen könnte.

Doch scheint die Isro keineswegs einseitig ausgerichtet zu sein, denn kürzlich wurde auch ein hochrangiges Treffen mit der saudischen Weltraumkommission vermeldet.

Weltraumprogramm: Russland und Iran kooperieren

Das Weltraumprogramm des Iran verdient besondere Beachtung, weil es trotz der breit angelegten westlichen Sanktionen Erfolge zu verzeichnen hat. Die Teheran Times publizierte eine Timeline, nach der die Iranische Weltraumagentur (Isa) seit 2005 Satelliten ins All bringt – darunter auch Eigenbauten.

Bei dem 600 Kilogramm schweren Satelliten "Khayyam", den die Isa ebenfalls 2022 fertig gestellt hatte, war noch die Hilfe Russlands nötig, um den Flugkörper erfolgreich zu starten.

"Khayyam" soll alle sechs Stunden hochauflösende Bilder des iranischen Staatsgebietes senden, die verschiedenste Informationen liefern sollen - von der Grenzüberwachung bis hin zu landwirtschaftlichen Aufklärungsdaten.

Ende letzten Jahres haben Moskau und Teheran einen förmlichen Vertrag zur zivilen Zusammenarbeit im All ratifiziert. Künftig möchte Iran Satellitenstarts auch an Nachbarländern verkaufen.

Rein militärische Projekte werden allerdings nicht über die Isa abgewickelt, denn die iranischen Revolutionsgarden verfügen über ein eigenes Weltraumprogramm.

Ohne "bestätigte Fähigkeit zum orbitalen Start"

Von den größeren Ländern im Globalen Süden, die bisher noch über keine "bestätigte Fähigkeit zum orbitalen Start" verfügen, bauen die meisten schon selbstständig Satelliten, die in der Regel zur Erdbeobachtung, also zur Informationsbeschaffung über das eigene Territorium genutzt werden.

Eine derartige Plattform hat etwa Südafrika unlängst geschaffen.

Auch Brasilien ist derzeit noch auf fremde Hilfe angewiesen, um eigene Projekte in der Erdumlaufbahn zu verwirklichen. Aber das soll sich ändern: Eine dreistufige Trägerrakete für Mikrosatelliten wird in Zusammenarbeit mit Deutschland gebaut, eine kleine Serie von Trägersystemen in Kooperation mit Russland.

Doch ist die Brics-Zusammenarbeit keine Einbahnstraße: So unterstützt Brasilien Russland etwa bei der Kalibrierung von Glosnass, dem russischen GPS.

Gleichzeitig hat Brasilia ein Programm aufgelegt, das speziell auf die Zuarbeit zu den US-Artemis Missionen zugeschnitten wurde.

Es gibt weitere Staaten mit Weltraumambitionen im Globalen Süden, die hier jedoch nur der Vollständigkeit halber genannt werden können. Dazu zählen unter anderem Argentinien, Indonesien, Kasachstan, Pakistan und die Türkei.

Es ist also zu erwarten, dass die Zahl der weltraumfahrenden Nationen zumindest mittelfristig deutlich zunimmt.