Wie der Ukraine-Krieg die Politik in Deutschland verändert hat

Seite 2: Debatte um Ukraine-Krieg: Mit Schwurblern und Querfront

In gut einer Woche jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal. In Berlin - wie auch in anderen deutschen Städten - sind zum Jahrestag dieses andauernden Krieges zahlreiche Protestaktionen angemeldet.

Eine Veranstaltung dürfte besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Unter dem Motto "Für Verhandlungen statt Panzer" rufen die Publizistin Alice Schwarzer, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Brigadegeneral a. D. Erich Vad zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor auf.

Es wird ein Wettstreit der Proteste. Für den 24. Februar sind bei der Berliner Polizei neun Kundgebungen zum Thema Ukraine angemeldet. Die von Schwarzer, Wagenknecht und Vad für den Tag danach.

Unterstützung und Kritik sind groß. Während am Dienstagabend mehr als 430.000 Menschen ein "Manifest für Frieden" der drei unterzeichneten, mit dem zur Kundgebung mobilisiert wird, hagelt es Kritik von politischen Gegnern.

An Pauschalisierungen mangelt es nicht. So spricht das von der SPD gegründete Infoportal Endstation Rechts im Kontext des Aufrufs, der sich gegen weitere Waffenlieferungen wendet, von "Querfront-Träumen". Eine Lokalzeitung formuliert es als Frage: "Wagenknecht-Schwarzer-Petition: Ist das wirklich schon die Querfront?"

Von diesen Medien und vor allem in sozialen Netzwerken wird kritisch angemerkt, der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla habe den Aufruf unterzeichnet. Was vielen nicht aufzufallen scheint: Das Argument funktioniert auch umgekehrt. Der bekannteste Vertreter des ultrarechten Flügels der AfD, Björn Höcke, den man auf Basis einer gerichtlichen Entscheidung als Faschist bezeichnen darf, hat den Aufruf kritisiert - ebenso wie Außenministerin Annalena Baerbock und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (beide Grüne) sowie der SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth.

Der Vorwurf der Querfront wird zunehmend inhaltslos und diffamierend verwendet. Er ersetzt in gewisser Weise die bequeme Anklage der "Schwurbelei" aus Pandemiezeiten. Obwohl: "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Schwurbler", heißt es in der Anmeldung zu einer Kundgebung am kommenden Wochenende in der Bundeshauptstadt. Und aus der Antifa wurde angemeldet: "Gegen die Querfront aus Terfs, Friedensschwurbel, Nazis und Sonneborn #Lieber TransAlsTransatlantisch - #SektionInterGegenFrontQuer #echsen #AbstandFuerFrieden". Noch Fragen?

Spannender ist ein Twitter-Kommentar des Soziologen Oliver Nachtwey. Er sieht in dem Bündnis Schwarz-Wagenknecht-Vad ein Indiz für die "Neuordnung des politischen Feldes". Doch wer ist hier Bock und wer Gärtner?

Stark veränderte Positionen von Parteien sind nichts Neues. Nachtwey und andere Kritiker des "Friedensmanifests" bleiben eine Antwort auf die Frage schuldig, in welchem Kontext diese neuen Allianzen – hier zum Ukraine-Krieg – entstehen. Nachtwey sieht "Renegaten" am Werk, die sich gegen alles wenden, "was sie neu als ‚linksliberalen Mainstream‘ wahrnehmen".

Nun wäre zu fragen, ob sich die Unterzeichner des Manifests als Teil dieses Linksliberalismus verstanden haben; das wäre eine zwingende Voraussetzung für Renegatentum. Zum anderen und fast noch drängender stellt sich die Frage, ob fast eine halbe Million Unterschriften und kritische Umfragewerte zur Ukraine-Politik nicht doch darauf hindeuten, dass sich der Mainstream selbst verändert hat und wir eine Krise der politischen Repräsentanz erleben.

Die Führung der Grünen hat mit ihrer Politik im Ukraine-Krieg die Verbindung zur westdeutschen Friedensbewegung völlig gekappt. Konkreter noch: Im Wahlkampf 2021 plakatierte die Partei: "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete".

Und die SPD? Ihr begegnen Betroffenen seit der Agenda 2010 mit Argwohn, wenn es darum geht, die Bedürftigen im Land zu schützen. Doch gerade die Verlierer der Schröder’schen Arbeitsmarktreformen leiden nun – ebenso wie die Mittelschicht – unter der kriegs- und sanktionsbedingten Wirtschaftskrise. Das ist ein Hauptgrund für die zunehmende Kriegsmüdigkeit.

Die Unterstützer der ukrainischen Regierung mögen das als unmoralisch abtun, aber die Menschen hierzulande entscheiden auf Basis ihrer Situation, Erfahrungen und Ängste.

Und womöglich sind die erfolgreichsten Renegaten gerade jene, die das Renegatentum nicht für sich beanspruchen. Und vielleicht ist das Wagenknecht-Schwarzer-Manifest mehr eine Reaktion auf die Veränderungen von Staat und etablierten Parteien.

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