Wie der Westen den Globalen Süden verliert

Seite 2: Es geht um viel mehr als um die Ukraine

Aber es geht um viel mehr als um geostrategische Ziele, Farbrevolutionen, Kriege und Waffen. Denn auch in anderen Bereichen der Zusammenarbeit hat sich der Westen in den vergangenen Jahren nicht mit Ruhm bekleckert. Die folgende Aufzählung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, soll helfen, einige schwerwiegende Verfehlungen westlicher Politik der letzten Jahre ins Gedächtnis zu rufen:

  • 2018 kündigen die USA ohne Not und einseitig das Atomabkommen mit dem Iran (und fünf weiteren Garantiestaaten).
  • Mit fadenscheinigen Argumenten verwehrt Großbritannien Venezuela die Repatriierung von 31 Tonnen Gold bis heute.
  • Seit 2019 verhinderten die USA die Neubesetzung des Berufungsgerichts der Welthandelsorganisation, das seitdem keine internationalen Handelsdispute mehr beilegen kann.
  • 2022 "konfiszierten" die USA sieben Milliarden US-Dollar afghanischer Devisenreserven, die in den USA gelagert waren.
  • 2022 entwertete Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel das Minsk-Abkommen in einem Interview zu einem westlichen Manöver, das lediglich dazu diente, der Ukraine Zeit zum Aufrüsten zu verschaffen.
  • Im Covid-19-Desaster machte sich der Westen der unterlassenen Hilfeleistung gegenüber dem Globalen Süden schuldig.
  • Der Anteil der Weltwirtschaft, der von – fast ausschließlich westlichen – Sanktionen betroffen ist, steigt stetig. Eine kürzlich veröffentlichte Metastudie bezifferte diesen auf mittlerweile 29 Prozent.

Es kann also nicht verwundern, dass die sogenannte "regelbasierte liberale Weltordnung" in Misskredit geraten ist. Denn bereits der Begriff wurde von westlichen Spin-Doktoren geprägt, weil man sich im Westen schon längst weit vom Völkerrecht als Basis zwischenstaatlichen Handelns verabschiedet hatte.

Dabei geht es im Kampf um die Köpfe, Herzen (und Portemonnaies) im Globalen Süden keineswegs "um die Heuchelei des Westens, wenn er über Demokratie und Autokratie oder über Werte und die regelbasierte Ordnung predigt", wie die South China Morning Post schreibt.

Viel entscheidender sei, dass der Globale Süden immer noch und ständig damit beschäftigt sei "herauszufinden, wie man in der bestehenden liberalen Ordnung realistischerweise überleben kann", während der Westen im "Metaversum seiner Fantasie" schwebe, warnt die führende Hongkonger Zeitung, die dem chinesischen Multimilliardär Jack Ma gehört.

Wer das für übertrieben hält, mag sich zum Beispiel einmal fragen, was angesichts der dreisten Übergriffe gegen Afghanistan und Venezuela derzeit wohl in den Zentralbanken kleinerer und mittlerer Entwicklungsländer diskutiert wird.

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