Wie die Jungfrau zur Weltmusik kam
Ein Interview mit dem Dissidenten-Mitglied Friedo Josch
In der Weltmusik-Szene sind sie nicht wegzudenken, die Dissidenten, die mit ihren Reisen den deutschen Ruhm an fernen Gestaden mehren. Seit zwanzig Jahren betreiben sie nun ihre Völkerverständigung der eigenen Art, Anlass genug, einen Blick auf die eigene Arbeit zu werfen. Doch die Dissidenten ließen andere diesen Blick werfen und baten Freunde aus der Clubszene, Stücke ihres Repertoires zu remixen. Entstanden ist so "2001: a worldbeat odyssey", ein Best-of-Album, das zwischen dem Gestern und dem Morgen der Dissidenten auch die Elektro-Szene von heute präsentiert: mit dabei sind u.a. Badmarsh, Slop Shop, Lemongrass und Kulisch & Vana.
Wieso wolltet ihr ein Remix-Album zum 20. Bandjubiläum herausbringen?
Friedo Josch: Gedanklich hat sich die Idee dazu schon seit Jahren entwickelt, schließlich ging unsere Ideenproduktion immer in Richtung tanzbar. Remixe sind, wenn sie gelungen sind, was feines, also haben wir uns umgeschaut, wer mit unserem Material etwas anfangen könnte. Bei der Auswahl der Beteiligten hatten wir eine gewisse Affinität zu unserer Arbeit im Sinn. Entweder drehte die sich ums Musikalische oder ums rein Rhythmische, so wie bei Badmarsh. Seine Version von Love Supreme besteht ja nur aus Rhythmen. Auf der anderen Seite steht dann jemand wie Shantel, der Telephon Arab zum größten Teil neu aufgenommen hat und daraus etwas Dissidentenen-Nahes gemacht hat.
Werft ihr mit dem Album auch ein Blick auf die Zukunft der Dissidenten?
Friedo Josch: Von außen betrachtet, erscheint diese Aufnahme jetzt als etwas ganz neues innerhalb unserer bisherigen Arbeit. Von innen, aus der Gruppe heraus aber ist das nicht so, wir sind ja glücklicherweise aus dem Ghetto der sogenannten Weltmusik, das wir einmal mit begründet haben, durch unser ‚97 Album "Instinctive Traveler" ausgebrochen. Auf alle Fälle kommt "2001: A Worldbeat Odyssey" gut an, viele Kollegen sind inzwischen auf uns zugekommen, die auch gerne einen Remix beigesteuert hätten. Das beflügelt uns, bald an Vol. 2 zu arbeiten.
Weltmusik als Ghetto, heißt das, diese Musik befindet sich in einer Sackgasse?
Friedo Josch: Die Weltmusik tot zu reden, halte ich für verfrüht. Entwicklungen kann man nicht voraussehen, vor allem nicht bei kreativen Dingen. Da kann plötzlich ein Punk kommen und die Welt sieht anders aus. Die sogenannte Weltmusik ist ja zum Beispiel gerade durch Ry Cooder und seine Aufnahme mit den Kubanern bekannt geworden. Das hat keiner geahnt, dass diese Musik zu den Herzen der Menschen kommt. Momentan rätseln alle ein bisschen, was als nächstes passiert, wir haben derzeit auch eine ziemliche Inflation an Musik. Die elektronische, tanzbare Musik aber verstehe ich schon als eine Öffnung der Weltmusik, als etwas, das die Kulturen überspannt.
Beispiel "Buena Vista Social Club". Wird hier nicht gerade mit einem Scheinbegriff von "Authentizität" gearbeitet, mit dem dem Publikum Echtheit vorgegaukelt wird?
Friedo Josch: Von den Musikern aus betrachtet ist das tatsächlich authentisch, schließlich spielen die das schon seit 50 Jahren. Ich kann da nichts dagegen haben, dass jemand diese Musik aufnimmt, solange er die Leute fair bezahlt. Nick Gold (Produzent des BVSC, A. d. R.) ist vielleicht nicht der richtige Mensch, um nach Havanna zu gehen und dort aktuellen, revolutionären kubanischen HipHop aufzunehmen. Das dürfen andere machen. Aber der Effekt des BVSC-Erfolges ist ja auch, dass die Menschen ein offenes Ohr für andere Musik aus Kuba bekommen.
Auch die Weltmusik ist inzwischen Teil der großen euroamerikanischen Musikindustrie geworden. Wie seit ihr bei eurer Arbeit damit umgegangen, dass ihr Europäer seid?
Friedo Josch: Für uns war alles in erster Linie immer ein Abenteuer. Wir lassen uns vor Ort ja immer auf die Situation ein, orientieren uns, welche Musiker es gibt, mit wem man sich befreunden kann, mit wem zusammenarbeiten. Wir sind ja nicht aufgetreten und haben gesagt, hallo wir suchen hier ein paar Musiker in Tanger und haben hier 1000 Dollar und jetzt spielt doch mal. Wir haben vor allem Abenteuer gesucht. Möglichst weit weg vereisen, was anderes kennenlernen, andere Menschen, andere Kulturen, andere Situationen erleben. Wenn es dann an eine Zusammenarbeit geht, musst du sowieso schauen, wie die Gebräuche und Gepflogenheiten sind. Wie denken sie z.B. in Marokko über Geld. Die Afrikaner haben schließlich einen anderen Umgang mit Geld, auch wenn sich das inzwischen etwas geändert hat, weil viele hier in Europa gelebt und studiert haben. Aber es gab Zeiten, da hieß es. Du bist ein weißer Mann, also reich. Du gibst mir erst einmal eine Million, sonst bist Du schlecht.
Wie schaut ihr jetzt, mit den Erfahrungen von 20 Jahren Arbeit, auf den Beginn zurück?
Friedo Josch: Man ist immer unschuldig, wenn man anfängt. Das waren damals alles Wünsche und Träume, als wir unter dem Namen Dissidenten uns darum kümmerten, Dinge zusammenzufassen, die bisher nicht zusammengepasst haben. Damals mussten wir uns alles selbst erarbeiten, es gab ja keine Strukturen wir heute, wo es weltweit Agenturen gibt. Wenn Du heutzutage erfolgreich bist, wirst Du im Prinzip sofort aufgehoben, vielleicht mit schlechten Verträgen, vielleicht mit guten, wie das Leben so spielt. Aber Du hast Anlaufstellen, und du kannst weltweit unterwegs sein. Als damals Fata Morgana erschien, riefen plötzlich Leute aus Spanien an, weil die Leute dort ausflippten. Keiner von uns hatte das mitbekommen. Wir hatten auch niemanden, den man um Rat fragen konnte, der schon einmal eine Tournee gemacht hatte.
Hat diesbezüglich das Internet Euere Arbeit verändert?
Friedo Josch: In unserem kreativen Tun, also musikalisch betrachtet, kaum. Aber dafür ist jetzt jeder schnell erreichbar. Damals, als das losging, gab es ja gerade mal Telefon oder Telex, aber Telex war ziemlich scheiße. Wir hatten eine Freundin bei der Telekom in der Hauptstelle in Frankfurt, die hat mich manchmal Samstags abends angerufen, dann konnte ich umsonst, das heißt auf Kosten der Telekom mit unserem Agenten in USA eine Stunde telefonieren. Die Gespräche waren damals ja unbezahlbar.
Diese Unschuld, von der Du vorhin sprachst, habt Ihr die immer noch, oder habt Ihr sie irgendwann verloren?
Friedo Josch: Nein, nicht grundsätzlich, weil wir ja nicht viele Platten herausbringen. Natürlich haben wir jetzt mehr Wissen, mehr Erfahrungen und können uns breitere Gedanken machen, als vor 20 Jahren. Aber wir sind an neuen Kreationen, neuen Stücken, neue Erfindungen, neue Alben immer wie die Jungfrau zum Kinde gekommen, da haben wir uns nie ein festes Konzept überlegt oder entscheiden, die nächste Platte machen wir mit dem in dem und dem Land, damit sie erfolgreich wird. Eher im Gegenteil. Das Album "Sahara Elektrik" war soundtechnisch zum Beispiel grauenhaft, völlig mittig, weil wir es nur in einer Nacht abgemischt haben. Später hatten wir da mehr Erfahrung.
Cheb Khaled hat einmal behauptet, die Dissidenten seien damals das Beste gewesen, was dem Raï passieren konnte, weil Ihr den Synthi in diese Musik getragen habt.
Friedo Josch: Das hat er sogar etwas untertrieben. Im Nachhinein denke ich, dass wir damals mit Sahara Elektrik der Raï-Musik den Weg in die Öffentlichkeit geebnet haben. Unser Album war ein riesen Einfluss auf die gesamte Bewegung in Algerien.
Aber wie seht Ihr denn Eure Stellung?
Friedo Josch:Nun, in gewisser Weise waren unsere Sachen so verrückt, dass kein anderer sie nachgemacht hat. Wir haben keine direkten Nachfolger, das finde ich interessant. Ich denke aber schon, dass wir viele Musiker beeinflusst haben.
Empfindet Ihr Euch als Dinosaurier?
Friedo Josch: Wir als die Big Opas? Nein, wir leben hier noch heftig. Auseinandersetzungen gibt es auch, das ist alles noch richtig lebendig. Natürlich werden wir älter. Aber es ist kein schlimmer Gedanke, jetzt schon so lange Musik zu machen und dabei zu sein. Ich persönlich fühle mich manchmal noch wie acht oder sechzehn. Von daher sehe ich unsere Arbeit zeitloser.
Aktuelles Album: Dissidenten remix.ed. 2001: A Worldbeat Odyssey. Exil 0550-2. Vertrieb: Indigo