Wie die Nato neue globale Regeln schafft

Der Nordatlantikpakt wurde als Verteidigungsbündnis gegründet. Heute kämpft er für die eigenen Interessen. Wo bleibt dabei das Völkerrecht?

Die schon als "hirntot" diagnostizierte Nato zeigt sich wieder erholt und angriffslustig wie in ihren besten Jahren. Dass diese Wiederbelebung ausgerechnet durch Russland geschieht, ist nicht so überraschend, denn die Sowjetunion war überhaupt der Anlass für die Gründung der Nato und Existenzberechtigung bis zum Untergang der Sowjetunion.

Erst danach wandte sich die Nato der Absicherung ihrer ökonomischen und strategischen Interessen zu. Ihre militärischen Missionen verliefen allerdings nicht so erfolgreich, denken wir an Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien. Doch nun ist sie wieder am Ursprung ihrer Aufgabe zurück, der Konfrontation mit Russland.

Von der Territorialverteidigung …

Schauen wir uns den Nordatlantikvertrag an, so wurde die Nato als reines Verteidigungsbündnis im Rahmen des Art. 51 Uno-Charta gegründet, den sie auch in Art. 5 und 6 zitiert. Von Anfang an war der Schutz der Mitgliedstaaten vor einem bewaffneten Angriff des Hauptgegners im Kalten Krieg die zentrale Aufgabe des Bündnisses.

Das hieß Territorialverteidigung. Ein Missionsauftrag, um dem Gegner bei der Demokratisierung seiner Gesellschaft und Aufbau von good governance zu helfen, war damit nicht verbunden.

Die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung und der Verzicht auf jegliche Gewaltanwendung (Art. 1) sowie das Bekenntnis zur Förderung der "Voraussetzungen für die innere Festigkeit und das Wohlergehen" der eigenen Gesellschaften und der Beseitigung der "Gegensätze in ihrer internationalen Wirtschaft" (Art.2) sind Aufgaben, die sich bereits aus der Uno-Charta ergeben.

Diese Begrenzung auf die Territorialverteidigung änderte sich auch nicht, als sich 1991 der Warschauer Pakt auflöste. Auf dem Gipfel von Rom im November 1991 gab die Nato nur ihre Konzeption der flexible response auf und steuerte mit einer Strategie des Dialogs und der Kooperation auf die Osterweiterung ihres Einflusses.

Erst im April 1999, mitten im Krieg gegen Jugoslawien, musste sie ihr strategisches Konzept an die neue Realität anpassen, die sie selbst mit ihrem Überfall auf einen neutralen Staat ohne Mandat des Sicherheitsrats geschaffen hatte. Sie konnte sich auch nicht auf kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der Uno-Charta berufen und musste sich mit etlichen Lügen und falschen Geschichten eine halbwegs plausible Legitimation verschaffen.

… zur Interessenverteidigung

Die wesentlichste Neuerung war, dass man die Verteidigungsaufgabe um eine neue Funktion der Krisenverhütung und Krisenbewältigung außerhalb des Bündnisgebietes ergänzte. Kurz: von der Territorial- zur Interessenverteidigung. Das in Washington verabschiedete Dokument spricht selbst an verschiedenen Stellen von "nicht unter Art. 5 fallende Kriseneinsätze": So heißt es u.a. in Ziffer 47:

Indem sie ihren Beitrag zur Bewältigung von Krisen durch militärische Einsätze leisten, werden sich die Streitkräfte des Bündnisses mit einem komplexen und vielfältigen Spektrum von Akteuren, Risiken, Situationen und Anforderungen auseinanderzusetzen haben, darunter auch humanitäre Notfälle. Einige Krisenreaktionseinsätze, die nicht unter Artikel 5 fallen, können ebenso hohe Anforderungen stellen wie einige kollektive Verteidigungsaufgaben.

Ex-Kanzler Helmut Schmidt erkannte die Bedeutung der Neuerung sofort und schrieb in den Nato-Briefen zum 50-jährigen Jubiläum der Nato1:

Die heutige Debatte über die zukünftigen Aufgaben unserer Allianz geht also – zumal von amerikanischer Seite – über die vertraglichen Dimensionen hinaus. Wenngleich nicht vom Vertragstext gedeckt, kann man sich gleichwohl gut vorstellen, dass das Bündnis im Einvernehmen der Bündnispartner in fremde Kriege, die indirekt oder unmittelbar die Bündnispartner gefährden, eingreift oder sie präventiv verhindert.

Dazu "wäre eine ratifizierungsbedürftige Ergänzung des Nordatlantikvertrages erforderlich". Die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag rügte unverzüglich die unterlassene Beteiligung des Bundestages vor dem Bundesverfassungsgericht, wurde jedoch abgewiesen. Es handele sich zwar um eine Erweiterung des Aufgabenrahmens des Nordatlantikvertrages, aber keine parlamentspflichtige Veränderung des Vertrages.

Juristen verfügen für derart hochpolitische Entscheidungen über eine Reihe von Instrumenten in ihrem Handwerkskasten – von der "authentischen" oder "dynamischen" Interpretation über die implied powers Regel bis zu einem "konkludenten Vertragsschluss" –, die ihnen eine hohe Anpassungsfähigkeit an die politischen Erwartungen und Notwendigkeiten ermöglichen.

Das Gericht hatte allerdings schon vorher 19942 auf Antrag von SPD und FDP der Bundeswehr grünes Licht für Auslandseinsätze out of area im Rahmen der Uno gegeben. Der Streit ging seinerzeit um die Beteiligung deutscher Soldaten an Nato-Überwachungsflügen über Bosnien-Herzegowina 1992. Eine derartige Entscheidung verlange eine vorherige Zustimmung des Bundestages, urteilte das Gericht, und schuf damit den bis heute gültigen Parlamentsvorbehalt.

Mit oder ohne Uno-Mandat?

Mit dieser faktisch unbegrenzbaren Internationalisierung der Einsätze der Bundeswehr mit und im Rahmen der Nato, war aber noch nicht das Problem des fehlenden Uno-Mandats gem. Artikel 39, 42 Uno-Charta gelöst. Es begann eine Diskussion, ob sich die Nato bei ihren Krisenreaktionseinsätzen überhaupt von einem Uno-Mandat abhängig machen wollte. In ihrem Jugoslawien-Einsatz hatte sie darauf bewusst verzichtet. Karl Heinz Kamp, damals Gastdozent am Nato Defense College in Rom, schrieb kurz vor dem Gipfel in Washington3:

Die Nato wird sich in ihrem neuen strategischen Konzept nicht auf Formulierungen festlegen, die eine Einschränkung der militärischen Handlungsfreiheit des Bündnisses – sei es durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder durch die OSZE – bedeuten würden. Ein Mandat einer dieser beiden Organisationen wird deshalb zwar eine wünschenswerte, aber keine zwingende Voraussetzung für ein militärisches Engagement der Nato sein.

So stand es dann zwar nicht im Abschlussdokument, aber es nahm den Konsens der in Washington anwesenden Regierungschefs vorweg. Bundeskanzler Schröder kleidete diese Abkoppelung von den Vereinten Nationen in die Worte4:

Wir waren uns einig, dass es auch in Zukunft nur dann Interventionen geben kann, wenn im Prinzip ein Sicherheitsratsbeschluss vorliegt. Eng begrenzte Ausnahmen können zugelassen werden, dürfen aber nicht die Regel werden und können überhaupt nur in Frage kommen, wenn sich zeigt, und zwar nachweisbar, dass der Sicherheitsrat nicht handlungsfähig ist.

Also mit der Uno, wenn möglich, ohne die Uno, wenn nötig.

Dennoch war ihnen nicht wohl bei diesem offenen Bruch mit der Uno-Charta, und die Bundesrepublik nahm Zuflucht bei einer alten Figur, mit der schon die USA ihre zahlreichen Interventionen ohne UN-Mandat versucht hatten zu rechtfertigen: der "humanitären Intervention".

Sie musste dafür nicht nur einige Geschichten erfinden, um eine humanitäre Katastrophe im Kosovo glaubhaft zu machen, sondern sich auch einer Konstruktion bedienen, die bis heute im Völkerrecht nicht als eine dritte Ausnahme vom Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 Uno-Charta anerkannt ist.

Atommacht Nato

Die neue Aufgabe der Krisenbewältigung weitete nicht nur den territorialen Horizont der Einsätze über die Bündnisgrenzen hinaus, sondern vervielfältigte auch die Art, die Gefahren und die Bedrohungen durch Krisen, auf die reagiert werden musste. So sollte rechtzeitig zum 60-jährigen Jubiläum des Bündnisses im April 2009 eine neue Überarbeitung des Strategischen Konzeptes der Nato verabschiedet werden.

Eine hochrangige Gruppe von Militärs, zu der auch der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärkomitees, Klaus Naumann, gehörte, erarbeiteten dazu Vorschläge, die den Aktionsradius erweitern und die Schlagkraft erhöhen sollten.5

Vor allem ging es um das Atomwaffenprogramm des Iran, welches unbedingt verhindert werden muss. In dem Papier, das die Gruppe vorlegte, heißt es (S. 45):

Eine iranische Nuklearwaffenkapazität wäre eine außerordentliche strategische Gefahr. (Das Land) würde damit eine Region dominieren, die über große Öl- und Gasreserven verfügt.

Und weiter (S. 95ff.):

Die Gefahr einer weiteren Verbreitung ist akut. … Diese Entwicklung muss unter allen Umständen verhindert werden. … Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen muss im Arsenal der Eskalation das ultimative Instrument bleiben, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern.

Und der Büroleiter des damaligen EU-Außenberaters Javier Solana, Robert Cooper, wird mit den Worten zitiert6:

Vielleicht werden wir eher als alle anderen Atomwaffen einsetzen, aber ich würde mich hüten, das laut zu sagen.

Man stelle sich den Wahnsinn vor, die Verbreitung von Atomwaffen durch den Einsatz von Atomwaffen zu verhindern. Als wenn es nie ein Gutachten des IGH gegeben hätte, welches gerade 12 Jahre zuvor den Besitz und den Einsatz von Atomwaffen für rechtswidrig erklärt hatte. Auch das Schlupfloch, welches die Richter gelassen hatten, da sie sich nicht entscheiden konnten, ob der Einsatz von Atomwaffen bei einer existentiellen Bedrohung erlaubt sei, legalisiert eine solche Ersteinsatzstrategie nicht.

Die Nato hat sich von dieser Perspektive nie distanziert, ihre Vormacht USA vertritt den Ersteinsatz von Atomwaffen ohnehin offiziell. Die USA haben ihre Atomwaffen in fünf Nato-Staaten stationiert. Ein Abzug wird nicht diskutiert. Auch das Konzept der "nuklearen Teilhabe", welches die Stationierungsstaaten nicht nur in die Planung, sondern auch in den Einsatz der Waffen einbezieht, steht nicht zur Debatte.7 Damit wird die Nato faktisch zur Atommacht.

Counter-insurgency gegen "irreguläre Aktivitäten"

Fast jede strategische Äußerung der Nato beginnt mit der Entfaltung eines Tableaus neuer Gefahren, Krisen und Bedrohungen. So auch eine neue 2010 beschlossene Doktrin für militärische Kriseneinsätze, die nicht unter Art. 5 Nordatlantikvertrag fallen.8 Die Diagnose ist nicht neu, wenn es darin heißt:

Unsicherheit und Instabilität im Euro-Atlantischen Raum und um ihn herum, regionale Krisen in der Peripherie der Allianz, die sich schnell entwickeln könnten. Einige Länder im und um den Euro-Atlantischen Raum herum sehen sich ernsthaften wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schwierigkeiten gegenüber. Ethnische und religiöse Rivalitäten, territoriale Streitigkeiten, unzureichende oder gescheiterte Reformversuche, der Missbrauch der Menschenrechte und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und sogar regionaler Instabilität führen.

Die daraus resultierenden Spannungen könnten zu Krisen führen, die die Euro-Atlantische Stabilität gefährden, zu menschlichem Leid und zu bewaffneten Konflikten. Solche Konflikte könnten die Sicherheit der Allianz betreffen, indem sie in benachbarte Länder überschwappen, einschließlich Nato-Länder, oder sie könnten in anderer Art die Sicherheit anderer Staaten betreffen.

Neu ist auch nicht, dass die Nato diesem allgemeinen, im Prinzip grenzenlosen und vollkommen unspezifischen Krisenszenario mit Maßnahmen entgegentreten soll, die sich weder an Artikel 5 Nato-Vertrag noch an das Gewalt- und Interventionsverbot des Art. 2 Ziff. 4 und Ziff. 7 Uno-Charta halten müssen. Der Verweis auf Art. 7 des Nato-Vertrags, der "die in erster Linie bestehende Verantwortlichkeit des Sicherheitsrats für die Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit" betont, ist in diesem Zusammenhang ein plumpes Täuschungsmanöver.

Neu ist hingegen, dass die Nato in Zukunft auch "irregulären Aktivitäten" begegnen soll. Darunter versteht sie "die Nutzung von Bedrohung, von Gewalt durch irreguläre Kräfte, Gruppen oder Individuen, die oft ideologisch oder kriminell motiviert sind, um Wandel zu erreichen oder zu verhindern als Herausforderung von Regierungsfähigkeit und Autorität." Es wird kein Unterschied zwischen Aufständischen und Terroristen gemacht.

Die Nato begibt sich damit in den klassischen counter-insurgency-Kampf, wie wir ihn aus den Kriegen gegen den Vietcong in Vietnam und die Sandinisten in Nicaragua kennen. Sie erweitert damit ihren Horizont für militärische Operationen weltweit und ermächtigt sich, faktisch in jede Bürgerkriegsauseinandersetzung der Staaten militärisch einzugreifen.

Die USA haben es 2014 vorgemacht, als sie ohne Sicherheitsmandat und ohne selbst angegriffen worden zu sein, in Syrien in den Kampf des IS gegen die Regierung in Damaskus eingriffen. Präsident Obama erklärte damals – ganz Herr über den völkerrechtlichen Wolken –, dass er sich auch nicht um eine Zustimmung der Regierung in Damaskus für diese Verletzung der syrischen Souveränität bemühen werde.

Die Doktrin hat keine große Aufmerksamkeit erzeugt. Das mag daran liegen, dass die Nato nicht daran interessiert war, diese weltweite Eingriffs- und Kriegsermächtigung allzu laut und offen zu propagieren. Denn sie enthält für alle schwächeren Staaten die unverhohlene Drohung der Intervention, wenn sich deren Politik zu stark von den Interessen der USA und ihrer Verbündeten entfernt oder sich gerade gegen sie stellt.

Wenige Jahre zuvor hatte Carlo Masala vom Nato Defense College die Drohung in die Worte eines humanitären Kolonialismus gekleidet9:

Protektorate sind in. Von Bosnien über Kosovo, nach Afghanistan bis in den Irak, das Muster westlicher Interventionspolitik ist immer dasselbe. Nach erfolgreicher militärischer Intervention werden die "eroberten" Gebiete in Protektorate umgewandelt und die westliche Staatengemeinschaft ist darum bemüht, liberale politische Systeme, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft in diesen Gebieten einzuführen.

Libyen-Intervention als responsiblity to protect

Die mangelnde Aufmerksamkeit mag auch daran liegen, dass dieses Interventionsmodell bereits bekannt war und praktiziert wurde. Denn schon 2011 hatte die Nato in Libyen in die Auseinandersetzung von Rebellen mit Gaddafi eingegriffen. Auf der Seite der Nato waren es vorwiegend die USA, Frankreich und Großbritannien. Die Rebellen wurden von der Libyen Islamic Fighting Group (LIFG), einer islamistischen Organisation angeführt.

Die Proteste hat Gaddafi im Februar 2010 mit Gewalt niederschlagen lassen und damit einen Bürgerkrieg entfacht. In einer ersten Resolution 1970 verhängte der Sicherheitsrat am 26. Februar zunächst nur Sanktionen gegen die Regierung Gaddafis. Als die Kämpfe eskalierten, verschärfte der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1973 am 17. März 2010 die Sanktionen und ermächtigte die Mitgliedstaaten, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Zivilpersonen zu schützen".

Zudem verfügte er eine Flugverbotszone und untersagte den Einsatz ausländischer Besatzungstruppen. Das war der Startschuss für eine "Koalition der Willigen" mit Angriffen gegen die Luftverteidigung der Regierung. Ende März übernahm die Nato unter Führung von Frankreich und Großbritannien die Operation.

Die Nato hatte damit eindeutig Partei ergriffen für die Rebellen und schon bald das Mandat der Sicherheitsrats überschritten. Denn bereits im April erklärten die drei Regierungen den "Regime Change" zum offiziellen Kriegsziel.10 Sie lieferten Kriegsmaterial an die Rebellen und unterstützten sie durch Ausbildungspersonal und den Einsatz von Spezialkräften zur Zielerkennung. Die militärische Intervention wurde erst mit der Ermordung Gaddafis im Oktober 2011 eingestellt.

Dies alles lief unter der PR-Devise der sog. Schutzverantwortung, der responsibility to protect, um die Intervention humanitär zu verbrämen. Dieses Konzept war erst vor einigen Jahren in der Uno entwickelt worden, ermächtigt aber die Mitgliedstaaten zu keinen militärischen Schritten außerhalb der vom Sicherheitsrat erteilten Mandate.

Deutschland hatte sich, genauso wie die Bric-Staaten Russland, China, Indien und Brasilien, der Stimme enthalten. Außenminister Westerwelle war damals von den Medien heftig gescholten worden. Er hatte vor den Konsequenzen der militärischen Parteinahme gewarnt, die dramatisch sein könnten.

Joschka Fischer teilte großspurig aus, Westerwelle habe das "vielleicht größte Debakel seit Gründung der Bundesrepublik" angerichtet. Der Gescholtene behielt leider Recht. Die Nato hat in Libyen ein Chaos angerichtet, das bis heute das Land paralysiert.

Nato im Ukraine-Krieg

Blicken wir zum Schluss noch kurz auf den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine. Politik und Medien ist es offensichtlich gelungen, die eigene Verantwortung der Nato für die Eskalation der Beziehungen zwischen ihr und Russland, die schließlich zum Krieg führen musste, aus der Öffentlichkeit zu halten.

Natürlich müssen wir die völkerrechtswidrige Intervention und den Krieg der russischen Armee verurteilen. Sie sind genauso wenig akzeptabel wie all die Interventionen der USA und der Nato, die wir bisher verurteilt haben. Die aktuellen Anstrengungen etlicher Nato-Staaten, die Ukraine in ihrer Verteidigung zu unterstützen, möchten zwar nicht als Kriegsbeteiligung wahrgenommen werden, was sie aber sind.

Die Lieferung schwerer Waffen mit einer umfangreichen Ausbildung der Soldaten am Gerät und die offensichtlichen elektronischen Hilfen der USA zur Identifizierung und Eliminierung ausgewählter Opfer und Kriegsmaterial (Schlachtschiffe) überschreitet eindeutig das Neutralitätsgebot im Krieg. Sie lassen sich als kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 Uno-Charta rechtfertigen, müssen aber dem Uno-Sicherheitsrat gemeldet werden.

Zudem ermöglichen sie Russland, militärisch zu reagieren und die Staaten anzugreifen. Das ist eine äußerst gefährliche Situation, vor der vielfach, aber bisher vergeblich gewarnt wird, weil sie in einen dritten Weltkrieg abgleiten kann. Ihren Plan, auch die Ukraine und Georgien als Protektorate in ihr Nato-Reservat einzugliedern, haben die Staaten nicht aufgegeben.

Fassen wir zusammen: Die Nato hat sich von einem strikten Verteidigungsbündnis zu einer weltweit operierenden Ordnungsmacht mit überlegener militärischer Feuerkraft entwickelt. Die faktische Dominanz der USA in diesem Bündnis hat nicht nur dazu geführt, dass die anderen Staaten als "Vasallen" (Brzezinski) den Ordnungsvorstellungen und militärischen Abenteuern der USA folgen, sondern dass sie sich auch dem Völkerrechtsnihilismus der US-Regierung angepasst haben nach dem Motto: Völkerrecht, wenn möglich, Krieg wenn nötig. Die Frage ist also nicht, wo bleibt das Völkerrecht, sondern, wohin mit der Nato?