Wie die Wahlen in Österreich die Ukraine-Politik der EU verkomplizieren könnten
Seite 2: Neutralität genießt weiterhin großen Zuspruch
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- Neutralität genießt weiterhin großen Zuspruch
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Österreichs neutraler Status ist der Schlüssel zum Verständnis seiner Außenpolitik. Nach der Annexion durch das nationalsozialistische Deutschland im Jahr 1938 erlangte Österreich seine Souveränität erst 1955 durch ein Abkommen mit den ehemaligen Alliierten zurück.
Ein unabhängiges Österreich war sowohl für die USA als auch für die UdSSR akzeptabel, solange es auf eine Vereinigung mit Deutschland verzichtete und neutral blieb.
Am 26. Oktober 1955 verabschiedete das österreichische Parlament die Neutralitätserklärung. Dieses Datum ist der österreichische Nationalfeiertag und unterstreicht die Bedeutung der Neutralität für die nationale Identität Österreichs.
Während des Kalten Krieges trug die Neutralität Österreichs dazu bei, dass die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) ihren Sitz in Wien nahmen. Wien ist auch Sitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und einer der vier Hauptsitze der Vereinten Nationen.
Jüngste Umfragen zeigen, dass die Neutralität bei rund drei Vierteln der österreichischen Bevölkerung nach wie vor beliebt ist. Der Krieg in der Ukraine hat diese Zahlen nicht wesentlich beeinflusst. Schwarz argumentiert, dass in Österreich "das außenpolitische Denken weitgehend nach Brüssel ausgelagert wurde und jedes Thema, das zu einer potenziell unangenehmen Diskussion über die Neutralität führen könnte, um jeden Preis vermieden wird".
Die Bedeutung der österreichischen Neutralität ist heute aber sicherlich wesentlich diffuser als während des Kalten Krieges. Als EU-Mitglied ist Österreich Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Seit 1995 nimmt Österreich auch an der NATO-Partnerschaft für den Frieden teil.
Die jüngsten Entwicklungen haben Österreich der Nato näher gebracht. Im Juli 2023 trat Österreich der von Deutschland geführten Sky Shield Initiative bei, deren Ziel es ist, die europäische Luftverteidigung angesichts des Krieges in der Ukraine zu stärken.
Die FPÖ lehnt diesen Schritt ab, während die ÖVP ihn in der Regierung gefördert hat.
Die breite Zustimmung zur Neutralität bedeutet nicht unbedingt, dass die Österreicher ihre Armee klein halten wollen. Eine knappe Mehrheit befürwortet eine Erhöhung der Militärausgaben, und die Regierung hat bereits Schritte in diese Richtung unternommen.
Im Jahr 2022 gaben nur drei EU-Länder anteilsmäßig weniger für ihre Armeen aus als Österreich. Damals gab Wien 0,8 Prozent des BIP für Verteidigung aus. Heuer werden es fast ein Prozent sein. Schwarz geht davon aus, dass das derzeitige Bekenntnis zu 1,5 Prozent des BIP bis 2028 unabhängig von der Zusammensetzung der nächsten Regierung beibehalten wird.
80 Prozent des Gases kommt aus Russland
Im Vergleich zu anderen EU-Ländern unterhält Österreich trotz der großangelegten Invasion der Ukraine im Februar 2022 weiterhin bedeutende Beziehungen zu Russland. Die Raiffeisen Bank International (RBI) ist die größte westliche Bank, die noch in Russland tätig ist.
Die österreichische Regierung setzte sich im Dezember 2023 erfolgreich dafür ein, dass die RBI vom 12. Sanktionspaket der EU gegen Russland ausgenommen wurde.
Seitdem üben die Europäische Zentralbank und die US-Behörden weiterhin Druck auf die RBI und die Wiener Regierung aus.
Dennoch stammten 2024 mehr als die Hälfte der Gewinne der RBI aus dem Geschäft in Russland und Weißrussland. Obwohl es das erklärte Ziel der Bank ist, sich "stark aus diesen Märkten zurückzuziehen", gibt es keinen klaren Weg, wie die Gewinne zurückgeführt werden sollen. Die Situation wurde Anfang September noch komplizierter, als ein russisches Gericht den möglichen Verkauf der russischen Tochtergesellschaft der RBI blockierte.
Abgesehen von den Bankverbindungen ist Österreich stark von russischem Gas abhängig. Dieses Jahr hat die Alpenrepublik monatlich mindestens 80 Prozent ihres Erdgases aus Russland importiert. Der Anteil ist höher als in den letzten beiden Jahren. In dieser Hinsicht stellt Österreich das Gegenbild zu Deutschland dar, das seine Energieversorgung seit 2022 schrittweise von Russland weg diversifiziert hat.
Österreichs neue Sicherheitsstrategie
Obwohl vor den Wahlen keine Zeit mehr für eine parlamentarische Verabschiedung bleibt, hat sich die österreichische Regierung kürzlich darauf geeinigt, die aktuelle Nationale Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2013 zu überarbeiten.
Damals wurde Russland als "Partner" bezeichnet. In der neuen Strategie wird Moskau jedoch als "Bedrohung" definiert und die Notwendigkeit betont, die Energieabhängigkeit Österreichs von Russland zu verringern.
Schwarz argumentiert, dass "es eine gute Chance gibt, dass diese Strategie mehr oder weniger in ihrer jetzigen Form verabschiedet wird", wenn die nächste Regierung nicht die FPÖ einschließt. Es wird viel mehr Unsicherheit über die nächste nationale Sicherheitsstrategie und die österreichische Außenpolitik im Allgemeinen geben, wenn die FPÖ in die Regierung eintritt, insbesondere wenn sie den Kanzler stellt.
Die Wahlen am 29. September werden die Verhandlungsstärke der verschiedenen Parteien bestimmen, aber es wird erwartet, dass die Gespräche zur Regierungsbildung einige Zeit in Anspruch nehmen werden.
Die EU wird den Verhandlungen besondere Aufmerksamkeit widmen, in der Hoffnung, dass die neue österreichische Regierung die EU-Sanktionen gegen Russland und die Militärhilfe für die Ukraine nicht erschweren wird.
Marc Martorell Junyent Schriftsteller und Forscher aus München. Er hat unter anderem im London School of Economics Middle East Blog, Middle East Monitor, Inside Arabia, DAWN, Jacobin, Responsible Statecraft und Global Policy veröffentlicht.
Dieser Text erschien zuerst bei unserem Partnerportal Responsible Statecraft auf Englisch.