Wie eine Tonbandbotschaft vielen Zwecken dient
Für die US-Regierung ist die angebliche Botschaft von Bin Ladin ein Beweis für die Verbindung von al-Qaida und Bagdad, doch bei genauerem Hinsehen spricht dafür nichts
Die US-Regierung scheint in großen Nöten zu sein, doch noch kurz vor dem Krieg - und der Sitzung des Sicherheitsausschusses - einen "Beweis" für die Verbindung zwischen al-Qaida und dem Hussein-Regime zu präsentieren. Überstürzt wies Außenminister Powell auf ein zunächst noch gar nicht vom Sender al-Dschasira veröffentlichtes Tonband hin, auf dem angeblich - und ausgerechnet - Bin Ladin der US-Regierung noch rechtzeitig zur Hilfe kommt. Er - oder wer auch immer - ruft zum Kampf gegen die Amerikaner und zur Verteidigung des Irak auf, was Powell als Beweis dafür sieht, dass die Terrororganisation eine "Partnerschaft mit dem Irak" unterhält.
Für US-Außenminister ist das Tonband der Beleg für die von der US-Regierung stets behauptete Kooperation von Terrororganisationen und Schurkenstaaten, die den Kampf gegen den Terrorismus mit dem Krieg gegen den Irak verbindet und so letzteren auch als nationale Selbstverteidigung legitimieren soll:
"Diese Verbindung zwischen Terroristen und Staaten, die Massenvernichtungswaffen entwickeln, kann nicht länger übersehen und geleugnet werden. Wie der Präsident sagte: der 11.9. hat alles verändert."
Man könnte allerdings auch andersherum sagen, dass die US-Regierung, nachdem sie den Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit den Kriegsplänen gegen den Irak verbunden hat, dabei mitgeholfen hat, eine indirekte, zumindest durch einen gemeinsame Feind verbundene Nähe der zuvor eher befeindeten Parteien hergestellt zu haben. Dass ein Krieg gegen den Irak auch Terroranschläge von muslimischen Extremisten provozieren und für neuen Zulauf zu Terrororganisationen sorgen wird, die gar nichts mit dem Hussein-Regime zu tun haben, ist das Mindeste, was man erwarten sollte.
Passenderweise berichtete gestern auch FBI-Direktor Robert S. Mueller III dem Geheimdienstausschuss des Senats, dass al-Qaida noch immer am gefährlichsten sei und man mehrere Hundert Extremisten in den USA aufgespürt habe, dei Verbindung mit al-Qaida hätten. Im Falle eines Krieges könne Hussein die Terroristen mit Massenvernichtungswaffen ausstatten. Auch CIA-Direktor George J. Tenet sprang für die Regierung ein und sagte, in Bagdad hätten sich über 20 Mitglieder des Ägyptischen Islamischen Dschihad aufgehalten, der "praktisch ununterscheidbar von al-Qaida" sei. Man habe aus vielen Quellen Hinweise für demnächst geplante Terroranschläge gewonnen. Das kann natürlich alles zutreffen, da durchaus von weiteren Terroranschlägen gegen die USA auszugehen ist, aber der Zeitpunkt des gestiegenen Risikos ist nicht nur mit dem drohenden Krieg gegen den Irak direkt verbunden, sondern ist auch der US-Regierung förderlich, diesen innenpolitisch zu legitimieren. Und Angst war immer schon ein guter Grund für einen Krieg und für eine Stärkung der Regierung.
Wenn nicht der Inhalt des Tonbands dagegen spräche, das al-Dschasira angeblich auf dem üblichen Weg zugekommen sein soll, auf dem der Sender bereits mehrere Bänder von Bin Ladin erhalten hatte, so könnte man annehmen, dass irgendeine Geheimdienstabteilung der USA oder gar das neue Office for Global Communications seine Finger im Spiel haben könnte.
Nachdem Powell seine Beweise vorgelegt hatte, die nicht sehr überzeugend waren, Bush am Tag darauf mehr oder weniger deutlich den Krieg verkündet hatte, Deutschland und Frankreich sich aber nun zusammen mit China und Russland querlegen, die US-Regierung die Sicherheitsstufe nach oben gesetzt hat und alles auf die entscheidende Sitzung des Sicherheitsrats und den Bericht von Blix starrt, hätte es für einen neuen "Beweis", der endlich den 11.9. mit dem Irak, al-Qaida mit Hussein und seinen angeblich vorhandenen Massenvernichtungswaffen verbindet, keinen günstigeren Termin gegeben. Seltsam ist schon, dass man nun bei der US-Regierung nicht ungern auf das Überleben von Bin Ladin stützt, um Hussein zu stürzen. Auch gegen das Verbreiten der Botschaften scheint man jetzt nichts mehr zu haben. Früher rief man die Medien dazu auf, die Botschaften Bin Ladins nicht oder nur stark gekürzt zu senden, weil darin vielleicht versteckte Botschaften enthalten sein könnten. Jetzt, wenn man selbst gerne eine versteckte Botschaft enthüllt, kommt das alles gerade recht.
Aber dasselbe trifft natürlich auch auf Bin Ladin oder jenen Kräften aus dem islamistischen Fundamentalismus zu, die den Irak-Konflikt ihrerseits für einen Kreuzzug gegen den ungläubigen Westen und den gerade stattfindenden Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, mit der dabei entstehenden religiösen Stimmung ausnutzen könnten, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dort hatte der saudi-arabische Mufti Sheikh Abdul Aziz Bin Abdullah am Montag zur Einheit der Muslime gegenüber dem "Feind" aufgerufen, der ein arabisches Land nach dem anderen unterwerfen wolle.
Bin Ladin führt einen eigenen Krieg
Verwunderlich freilich ist schon, wie die US-Regierung mit diesem Aufruf an die Iraker, sich gegen den "Kreuzzug" der Ungläubigen zur Wehr zu setzen, meint, eine Verbindung zwischen dem Bin Ladin, sollte es er wirklich sein, und Hussein belegen zu wollen. Der Sprecher macht schon ganz am Anfang deutlich, dass es bei dem Kampf um die "Aufrichtigkeit der Absichten" geht und "nicht um den Sieg von nationalen Minderheiten oder um die Hilfe für ungläubige Regime in allen arabischen Ländern, wozu auch der Irak gehört". Arabische Medien ist dieser Unterschied zwischen der Verteidigung des Irak und der des Hussein-Regimes sofort deutlich, den die US-Regierung zukitten will. Den Kreuzfahrern ginge es darum, die "ehemalige Hautstadt des Islam zu besetzen, den Reichtum der Muslime zu rauben und eine Marionettenregierung einzusetzen, die Washington und Tel Aviv wie alle anderen verräterischen arabischen Regierungen gehorchen, um die Gründung eines Großisraels vorzubereiten".
Ganz deutlich dürfte doch sein, dass der Sprecher, sollte die Übersetzung korrekt sein, sich gleichfalls auf einem Kreuzzug gegen die Amerikaner und gegen die arabischen Regierungen befindet. Bin Ladin oder die islamistischen Fundamentalisten wollen nicht nur die die Ungläubigen aus dem muslmischen Ländern vertreiben, sondern einen großen, möglichst alle muslimischen Länder umfassenden Gottesstaat etablieren. Dabei stören Regime wie die in Saudi-Arabien oder Irak. Man ruft also nicht zur Unterstützung des nicht-religiösen Hussein-Regimes auf, sondern zum Kampf gegen die Amerikaner für die muslimische Sache. In diesem Sinne beuten diese beiden Kriegsparteien, die US-Regierung und die Terrorgruppe al-Qaida, den Irak-Konflikt jeweils auf ihre Weise aus.
Die Freiheit der Interpretation
Es kann keine Rede davon sein, dass Hussein und al-Qaida durch einen "gemeinsamen Hass" verbunden seien, wie dies Powell in seiner Präsentation vor dem Sicherheitsrat und nach Bekanntwerden des Tonbands Richard Boucher, der Sprecher des US-Außenministeriums sagte:
"Das ist wirklich das, was Bin Ladin auf diesem Band bestätigt hat. Auf dem Band sagt er, es mache nichts, ob Menschen Sozialisten seien, man werde dennoch mit ihnen zusammen kämpfen, um alles zu zerstören, was wir können. ... Er bedroht jeden in der arabischen Welt außer Saddam Hussein. Er sagt tatsächlich, dass er mit Saddam Hussein kämpfen will. ... Wir achten sehr sorgfältig darauf, den Fall auf sichere Grundlagen zu stellen und nichts zu übertreiben, aber dies bestätigt, dass Bin Ladin und Saddam Hussein einen gemeinsamen Grund zu finden scheinen."
Boucher vergaß natürlich hinzuzufügen, dass der Sprecher deutlich sagte, dass ein "Sieg für die Ungläubigen" nicht zugelassen werden dürfe. Der Krieg gegen den Irak wird als ein Krieg gegen alle Muslime bezeichnet, eben auch als erster Schritt für die vermeintliche Errichtung eines Großisraels. Es gehe bei diesem Kampf nur um den Glauben und um Allah:
"Und unter diesen Umständen verstößt es nicht gegen die Interessen der Muslims, mit den Sozialisten im Kampf gegen die Kreuzfahrer überein zu stimmen, selbst wenn wir glauben, dass die Sozialisten ungläubig sind. Die Sozialisten und die Herrscher haben schon vor langer Zeit ihre Legitimität verloren, und die Sozialisten sind Ungläubige, egal, wo sie sich befinden, ob in Bagdad oder Aden."
Das ist, wenn man so will, Realpolitik, etwa auf derselben Stufe wie die Feststellung von Bush, dass jeder, der nicht "für uns" ist, als Feind gilt. Schließlich ist man auch in der Allianz der "zivilisierten" Staaten gegen den internationalen Terrorismus wie einst im Kalten Krieg offen für fast alle Verbündeten. Neben der Verteidigung des Irak werden die Muslime noch dazu aufgerufen, sich auch zu Armeen zusammen zu schließen und arabische Vasallenregierungen der USA in Jordanien, Marokko, Nigeria, Pakistan, Jemen oder Saudi-Arabien zu stürzen. Diese nämlichen seien am reifsten für eine Befreiung.
Warum man die "Kräfte des Bösen" nicht fürchten muss
Der Sprecher weist noch darauf hin, dass die Kämpfer im Dschihad auch keine große Angst vor den Amerikaners haben müssten, was sich in Afghanistan gezeigt habe. Den Luftangriffen könne man am besten begegnen, indem man zahlreiche Gräben aushebe, diese tarne und sich darin verstecke. Dann würden viele der teuren Bomben ihr Ziel verfehlen. Wie die Amerikaner angreifen, habe sich in Tora Bora sehen lassen, wo sich etwa 300 Mudschaheddin zurückgezogen und 100 Gräben auf einer Quadratmeile ausgehoben hatten. Die Amerikaner hätten dann Tag und Nacht diese Quadratmeile bombardiert. Sie hätten sich aber nicht getraut, auf dem Boden einzumarschieren, was die "Feigheit und Furcht und Lüge" der "Kräfte des Bösen" zeige. Nur 6 Prozent der Mudschaheddin seien getötet, 2 Prozent verletzt worden:
"Wenn so die ganzen internationalen Streitkräfte des Bösen ihre Ziele nicht auf einer Quadratmeile und gegenüber einer kleinen Gruppe von Mudschaheddin mit sehr bescheidenen Möglichkeiten erreichen konnten, wie sollen diese bösen Kräfte dann einen Sieg über die muslimische Welt erreichen?"
Der Sprecher rät zum Guerillakampf in unwegsamen Gelände oder in Städten. Dort würden die Präzisionsbomben, die ein deutliches Ziel benötigen, scheitern. Geraten wird auch zu Selbstmordanschlägen. Und gewarnt wird jeder, der im Irak oder in anderen arabischen Ländern der USA in irgendeiner Weise, auch nur verbal, hilft, Muslime im Irak zu töten. Der erweise sich als Ungläubiger und könne getötet werden.
Interessant ist, dass der Sprecher auf dem Band auch darauf hinweist, dass der "amerikanische Feind" sich vorwiegend auf die psychologische Kriegsführung und Macht der Medien stütze, mit denen sich die Menschen verführen und die Schwächen - "Furcht, Feigheit und fehlender Kampfgeist der amerikanischen Soldaten" - verbergen lassen.
Bekanntlich hatten die Taliban alle Medien in Afghanistan verboten. Andererseits sind Terroranschläge nicht nur weltweite Medienereignisse, sondern für die Medien inszenierte Spektakel, um viele Menschen in Angst und Schreck zu versetzen und gleichzeitig Anhänger für die eigene Bewegung zu werben, indem man zeigt, welche Macht von ihr ausgeht. Seit dem 11.9. bestand das Wirken von al-Qaida - offenbar ein bestenfalls loses, eher durch Einzelpersonen verbundenes Netzwerk von Gruppen - zudem weitgehend aus medialen Botschaften, die weitere Anschläge androhten. Hier spielen Terroristen über Medienbotschaften mit den innen- und außenpolitischen Law-and-Order-Politikern eng zusammen. So also herrscht Medienkrieg, bis er zur blutigen Wirklichkeit wird.