Wie entwickelt sich die Lebenserwartung der Deutschen?

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In Europa bieten die Mittelmeerländer gute Perspektiven. Deutschland ist das Schlusslicht in Westeuropa

Im weltweiten Mittel stieg die Lebenserwartung seit 1900 von etwa 30 auf mittlerweile rund 71 Jahre. Eine verbesserte medizinische Versorgung hat über viele Jahre die Lebenserwartungen steigen lassen. Dank besserer Ernährung und Hygiene, sauberem Trinkwasser und Zugang zu medizinischem Fortschritt verloren einst todbringende Infektionskrankheiten ihren Schrecken. Ein Nebeneffekt der längeren Lebenszeit war das verstärkte Auftreten von bislang noch nicht heilbaren Krankheiten wie etwa verschiedene Arten der Demenz, die nicht nur, aber verstärkt im höheren Alter ausbrechen.

Wenn jetzt Infektionskrankheiten wie die seit zwei Jahren andauernde Coronavirus-Pandemie durch die Lande ziehen, sind in erster Linie ältere Bevölkerungsgruppen gefährdet, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters öfter an Vorerkrankungen leiden. So verwundert es wenig, dass die Coronavirus-Pandemie die Lebenserwartung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gedrückt hat.

Deutschlandweit ging die Lebenserwartung nirgendwo so stark zurück wie bei Männern in Sachsen, wie sich in den Daten des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigt. Für Schleswig-Holstein zeigten sich im Vergleich 2020 zu 2019 sowohl für Männer wie für Frauen, dass die Lebenserwartung leicht gestiegen ist.

Insgesamt ist die Lebenserwartung in Deutschland von 2019 auf 2020 im internationalen Vergleich nur wenig gesunken. Das BiB hat für einzelne Regionen Deutschlands ermittelt, wie sich die Lebenserwartung im Kontext der Coronavirus-Pandemie zwischen 2019 und 2020 verändert hat.

Entwicklung der Lebenserwartungen mit Corona

Vor der Pandemie nahm die Lebenserwartung in Deutschland durchschnittlich jedes Jahr um etwa 0,1 Jahr zu. Zwischen 2019 und 2020 ist die Lebenserwartung dagegen gefallen und zwar bei Männern um 0,3 Jahre und bei Frauen um 0,1 Jahr. "Die Lebenserwartung wird selbstverständlich nicht nur durch Covid-19 beeinflusst", erklärt Dr. Pavel Grigoriev, Leiter der Forschungsgruppe Mortalität am BiB.

Detaillierte Sterbestatistiken zeigen aber, dass Covid-19 in vielen Ländern 2020 einen erheblichen Einfluss auf die Lebenserwartung hatte.

Pavel Grigoriev

Günstiger als in Deutschland hat sich in Europa die Lebenserwartung in Teilen von Nordeuropa entwickelt, wie anhand der Zahlen für Norwegen zu sehen ist. In Nordeuropa hat nur Schweden größere Rückgänge bei der Lebenserwartung verzeichnet. Was leicht zu erklären ist, denn Schweden hatte verglichen mit den anderen nordeuropäischen Ländern geringere Eindämmungsmaßnahmen ergriffen.

Die Lebenserwartung der Deutschen vor Corona

Dass ein ausgebautes Gesundheitswesen keine Garantie für eine hohe Lebenserwartung darstellt, zeigt sich am Beispiel Deutschland. Die Deutschen hatten vor Corona die niedrigste Lebenserwartung unter den Westeuropäern. Das geht aus der Auswertung einer WHO-Studie hervor, für die alle weltweit verfügbaren Quellen zur Sterberate zusammengetragen wurden.

Deutschland leistet sich eins der teuersten Gesundheitssysteme und ist trotzdem bei der Lebenserwartung Schlusslicht in Westeuropa. Würde man die Effizienz des Gesundheitssystems an der Lebenserwartung der versorgten Bürger bemessen, wäre das Ergebnis für Deutschland verheerend. Mit rund 5.000 Euro pro Kopf gönnt sich das Land in der Euro-Zone nach Luxemburg die höchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf und Jahr und dennoch gibt es kein Land in Westeuropa, in dem die Menschen früher sterben.

Griechenland gibt nur rund 2.000 Euro pro Kopf und Jahr aus, seine Menschen leben jedoch länger als die Deutschen. Egal, wie man es dreht und wendet, die Bilanz wird nicht besser, auch wenn man den Vergleich auf einer anderen Ebene führt.

Deutschland lenkt 11,3 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts ins Gesundheitssystem, das sind immerhin 2,3 Prozentpunkte mehr als der OECD-Durchschnitt und wird dabei nur noch von den USA mit 17,2 Prozent und der Schweiz mit 12,4 Prozent übertroffen. Bei den Schweizern scheint sich das auch zu lohnen, denn sie leben deutlich länger als die Deutschen.

Mit dem Aufwand für das Gesundheitssystem kann die vergleichsweise niedrige deutsche Lebenserwartung offensichtlich nicht begründet werden. Liegt es daran, dass die finanziellen Mittel, die Deutschland in sein Gesundheitssystem steckt, eher suboptimal eingesetzt werden?

Der Lebensstil?

Möglicherweise leben die Deutschen ungesünder als ihre Nachbarn und sterben deswegen, trotz guter medizinischer Versorgung, früher als diese. Es fällt auf, dass die meisten europäischen Länder mit hoher Lebenserwartung am Mittelmeer liegen, also zu den Südländern zählen. Die Länder mit vergleichsweise geringer Lebenserwartung liegen an der Nordsee. Das wohlhabende Dänemark bietet eine kaum höhere Lebenserwartung, dort leben die Bürger kaum länger als bei uns, ganz anders in der Schweiz.

Das reiche Alpenland hat mit den ärmeren Mittelmeeranrainern eine recht niedrige kardiovaskuläre Sterberate gemeinsam. Der Lebensstil könnte demnach einen weit größeren Einfluss auf die Lebenserwartung haben als die Qualität der medizinischen Versorgung und die Wirtschaftskraft des Landes. In den reichen Ländern wie der Schweiz, Japan und Singapur leben die Menschen am längsten.

In Deutschland rauchen, essen und trinken die Einwohner deutlich über dem OECD-Schnitt, auch die Diabetesprävalenz erreicht Spitzenwerte. Das mögen Gründe für die relativ geringe Lebenserwartung sein, sie dürften den letzten Platz unter den westeuropäischen Ländern jedoch nicht völlig erklären.

Relevanter dürfte eine Fehlversorgung oder zumindest eine Fehlsteuerung im Gesundheitswesen sein. Statt auf Prävention zu setzen, werden die Folgen kuriert. Wer Gesundheit und Lebenserwartung steigern will, müsste Anreize für ein gesünderes Leben setzen.