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Der "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" kann vielen Zwecken dienen, beispielsweise China oder Russland zur Rechtfertigung des Vorgehens gegen "Separatisten und Extremisten"

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Wie zu erwarten, prägen sich in der eilig nach dem 11.9. zusammen gezwängten Koalition gegen den internationalen Terrorismus die Differenzen wieder stärker aus. Wenn schon die USA "ihre" Terroristen im Verbund der Weltgemeinschaft, aber mit aller nationaler Handlungsfreiheit zu bekämpfen sucht, wie dies die Supermacht für sich in Anspruch nimmt, die den Angriff auf sich als Angriff auf die gesamte Zivilisation wertet, dann fordern andere Nationen zumindest dasselbe Recht. Den Beginn machten Israel und Indien, das nach dem Anschlag auf das Parlament mit einem Krieg gegen Pakistan droht (Indien in einer Situation wie die USA am 11. September). Am Wochenende wandten sich auch China und Russland gegen einen doppelten Maßstab, durch ihnen verboten würde, was die USA für sich in Anspruch nehmen.

Am Wochenende trafen sich die Außenminister der Mitgliedsländer der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die im Juni des letzten Jahres von China, Russland, Kirgisien, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan gegründet worden ist. Schon im letzten Jahr hatten die Mitgliedsländer ein Abkommen zur gemeinsamen Bekämpfung nicht nur des Terrorismus, sondern auch des Separatismus und des Extremismus unterzeichnet. Das lässt schon erkennen, dass es so etwas wie einen Freiheits- oder Unabhängigkeitskampf nicht geben kann, der oft genug erst durch die Repression der Widerstandsbewegung zu terroristischen Mitteln greift.

China hatte immer wieder deutlich gemacht, dass man "alle Formen des Terrorismus" ablehne. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 13.11.2001 hatte der chinesische Außenminister Tang Jiachuan dies unmissverständlich deutlich gemacht, aber zugleich die eigenen Interessen an der Terrorismusbekämpfung betont. Dabei spielen nicht einmal mehr bestimmte Arten von Aktionen eine Rolle, weswegen sich alle separatistischen Bewegungen oder auch Oppositionsgruppen als Terrororganisationen oder Extremisten bezeichnen ließen: "Unabhängig davon, wann, wo oder in welcher Form der Terrorismus zuschlägt, und unabhängig davon, gegen wen er gerichtet ist, sollte die internationale Gemeinschaft ihn ablehnen und bekämpfen, indem sie eine einheitliche Position in dieser Sache einnimmt." Auch vor der UN erklärte er, dass China vom Terrorismus bedroht ist. Explizit nannte er die "Ostturkestan-Gruppe", die "von internationalen Terrororganisationen ausgebildet, ausgerüstet und finanziert wird", man könnte natürlich auch an Tibet denken. In der Autonome Region Xinjiang, die hauptsächlich von muslimischen Uiguren bewohnt wird, kämpfen die Menschen nicht nur um Unabhängigkeit, sondern auch für die Beachtung von Menschenrechten und die Bewahrung ihrer Kultur.

Die chinesische Regierung ging auch vor dem 11.9. teilweise brutal gegen die Bevölkerung vor, sperrte Tausende ein und vollzog Todesurteile. Zugleich versucht China mit derselben Strategie wie in Tibet den Konfliktherd durch Bevölkerungsumsiedlungen zu "lösen". Hätten die Chinesen die Mehrheit, wäre möglicherweise die Legitimation, für größere Autonomie oder Unabhängigkeit der Uiguren einzutreten, hinfällig. Amnesty warnte anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Schröder in China im Oktober davor, dass China den Kampf gegen den Terrorismus benutzen könne, Menschenrechtsverletzungen gegenüber ethnischen Minderheiten zu legitimieren: "In der überwiegend von Uiguren bewohnten Region Xinjiang beobachtet amnesty international seit Jahren einen Anstieg der religiösen Verfolgung. Führende Persönlichkeiten der turksprachigen, muslimischen Minderheit sehen sich zunehmend Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, da die chinesischen Behörden "Separatismus" mit "Terrorismus" gleichsetzen. So wurden erst am 15. Oktober fünf Uiguren wegen "staatsfeindlicher, separatistischer Straftaten" zum Tode verurteilt. Xinjiang ist derzeit die einzige Region der Volksrepublik China, in der Menschen aus politischen Gründen hingerichtet werden."

Ganz in diesem Sinne ist auch die Erklärung, die von den Außenministern der SCO veröffentlicht wurde. Die Mitgliedsländer vereinbarten, wie China Daily berichtet, eine regionale Antiterrorismusbehörde einzurichten und einen "Mechanismus für Reaktionen in Notfällen" zu schaffen. Die drei Aufgaben, die die SCO zu lösen habe, bestehen nach Jiachuan in einer engen Kooperation in Hinsicht auf afghanische und andere regionale Themen, in der Bekämpfung der drei Übel Terrorismus, Separatismus und Extremismus in den eigenen Ländern und in der Ausarbeitung der SCO-Konstitution bis zum nächsten Gipfel im Juni.

In der gemeinsamen Erklärung wurde das Abrücken der afghanischen Bevölkerung vom Taliban-Regime begrüßt und Hilfe für das Land zugesagt. Mit dem Zusammenbruch des Regimes seien aber nicht die internationalen Terrororganisationen verschwunden, weswegen der Kampf gegen den Terrorismus weiter gehen müsse, wobei die UN und der UN-Sicherheitsrat eine wichtige Rolle spielen müssten. Versprochen wird, wobei die UN schon weniger wichtig zu sein scheint, den Terrorismus in den Mitgliedsländern auszulöschen. Schließlich müsse man den "Kampf gegen den Terrorismus auf allen Ebenen - global, regional und national - frei von Einseitigkeiten und ohne doppelte Maßstäbe" führen. Der von den SCO-Mitgliedsländern geführte Kampf gegen "Terrorismus, Separatismus und Extremismus" sei mit dem in Afghanistan vergleichbar.

Gleichzeitig wenden sie sich gegen eine willkürliche Ausweitung antiterroristischer Maßnahmen und halten fest, dass diese sich nicht in die internen Angelegenheiten eines Landes einmischen dürften. Danach wäre also der Angriff auf Afghanistan abzulehnen. Überdies müsste das Vorgehen die langfristigen Interessen am regionalen und globalen Frieden beachten, was wiederum nahelegt, dass die nationale Souveränität sakrosankt bleiben soll und jede Unabhängigkeitsbewegung nach Gutdünken als Terrororganisation behandelt werden kann.

Um das Gemeinte ganz klar zu machen, versicherte Jiachuan, dass alle Mitgliedsländer die Haltung Chinas gegenüber den Ostturkestan-Rebellen und diejenige Russland gegenüber den tschetschenischen Kämpfern teilen und den Kampf gegen diese als Bestandteil des internationalen Kampfs gegen den Terrorismus begreifen, der damit natürlich keineswegs auch ein Kampf für Freiheit und Demokratie ist, sondern eher einer für den Erhalt der gegenwärtig existierenden Nationalstaaten, wie dies für Indien auch im Fall des Kaschmirkonflikts ist. Eine Ausnahme macht China bekanntlich nur im Hinblick auf Taiwan.