Wie man eine Finanzkrise auf die Bevölkerung eines gebeutelten Landes abwälzt

Fussnoten

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Die wichtigste dieser Regelungen, 1999 eingeführt, ist wohl die Entscheidung, dass die Staatsanleihen aller Mitgliedsländer unterschiedslos als Sicherheit im Interbankenmarkt verwendet werden können. Am Interbankenmarkt werden kurzfristige Kredite, oft mit einer Laufzeit von nur einem Tag, gegen die Übertragung einer "Sicherheit" vergeben; ähnlich wie im Pfandhaus. Damit wurde einerseits das Tempo der finanziellen Integration maßgeblich beschleunigt, denn der Zugang zu kurzfristiger Liquidität wurde entscheidend vereinfacht. Gleichzeitig löste dies auch einen Run auf die Staatspapiere aller Mitgliedsländer aus, und erhöhte den Anteil ausländischer Staatsanleihen in den Bilanzen europäischer Banken deutlich. (Streeck in Fourcade, Marion et al. 2013. "Moral Categories in the Financial Crisis." Socio-Economic Review 11 (3): 601-27. S. 616f. )

2

Lapavitsas, Costas et al. 2012. Crisis in the Eurozone. London; New York: Verso.

3

Hale, Galina, and Maurice Obstfeld. 2014. "The Euro and The Geography of International Debt Flows." Working Paper 20033. National Bureau of Economic Research.

4

Dies ist ein Punkt, der von der offiziellen Politik gerne hervorgehoben wird, um das "Misstrauen" in die griechischen Staatsfinanzen zu rechtfertigen und das Fehlverhalten der Regierung anzuprangern. Die griechischen Manipulationen waren jedoch kein Einzelphänomen, sondern weit verbreitet; sie gingen wahrscheinlich eher auf die Initiative der Wallstreet zurück als auf die der Regierungen, die die komplizierten Finanzderivative zum Teil gar nicht verstanden.

Und während die moralische Empörung gegenüber Griechenlands Fehlverhalten in allen Medien öffentlich ausgebreitet wurde, kamen die Investmentbanken, welche die Deals den Statistikbehörden genauso hätten melden können, mit einer einmaligen Anhörung im Europaparlament davon und wurden kurze Zeit später bereits wieder als privilegierte Geschäftspartner behandelt - und zwar beim exklusiven Geschäft mit der Europäischen Finanzstabilitäts-Fazilität (EFSF), dem "Rettungsschirm", der weitere Länder vor einem ähnlichen Schicksal wie dem Griechenlands bewahren sollte.

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So kreierte schon im September 2009 das Londoner Finanzunternehmen Markit Group, (das unter anderem Goldman Sachs gehörte, die wiederum an den Finanzmanipulationen des griechischen Staates beteiligt war und demnach vermutlich über Insiderwissen verfügte) einen Finanzmarktindex (iTraxx SovX Western Europe index), mit dem Investoren auf die Zahlungsunfähigkeit einiger europäischer Staaten wetten konnten. (Pekarek, Edward, and Christopher Lufrano. 2012. "Chapter 2 - The Goldman Sachs Swaps Shop An Examination of Synthetic Short Selling through Credit Default Swaps and Implications of Securities and Exchange Commission v. Goldman Sachs & Co., et Al." In Handbook of Short Selling, edited by Greg N. Gregoriou, 15-63. San Diego: Academic Press. Die Veröffentlichung der tatsächlichen, höher veranschlagten Staatsschulden Griechenlands durch die Regierung Papandreou, allgemein als ein wichtiger Auslöser der Krise gehandelt, erfolgte hingegen erst im Februar 2010; womit auch die Möglichkeit im Raum steht, dass es sich bei der griechischen Krise um eine Self-fulfilling prophecy spekulativer Finanzgeschäfte handelte.

6

Lucarelli, Bill. 2011. "German Neomercantilism and the European Sovereign Debt Crisis." Journal of Post Keynesian Economics 34 (2): 205-24.

7

WSJ Blogs. 2013. "IMF Document Excerpts: Disagreements Revealed." Wall Street Journal Blogs - Real Time Economics.

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Beim Abschließen eben jenes Friedensvertrages nach der Wiedervereinigung - absichtlich nicht so, sondern 2+4 Vertrag - ging es der BRD ganz ausdrücklich darum, sich durch juristische Wortklaubereien aus seiner historischen Verantwortung zu stehlen. Griechenland hat seit 1990 hingegen wiederholt erklärt, dass es keinesfalls auf Reparationen verzichtet habe. Auch hier wieder ein moralischer Doppelstandard: Während die griechischen Finanztricks der 2000er Jahre immer wieder öffentlich verurteilt werden, ist die juristische Trickserei, mit der sich Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, vor seiner historischen Verantwortung drückt(e), ein Tabuthema.

9

Diese Einschätzung, wenige Tage vor dem griechischen Referendum veröffentlicht, offenbart auch eine zunehmende Spaltung zwischen den Gläubigern: der IWF befürwortet einen Schuldenschnitt, fordert aber auch härtere Reformen, während die Europäische Kommission und die EZB einen Schuldenschnitt strikt ablehnen

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