Wie man sich (intensiv-)bettet, so checkt man

Welche Rolle Fake News in der Pandemie spielen, wo sie anzutreffen sind und wie wir mit ihnen umgehen sollten. Ein journalistisches Fallbeispiel

Wie viele Intensivbetten stehen derzeit zur Verfügung? Und warum ist das so in dieser Phase der Corona-Pandemie hierzulande? Auch in solchen Debatten ist von beiden Seiten der Scheidelinie – also Geimpften und Nicht-Geimpften – häufig der Vorwurf zu vernehmen, die jeweils andere Seite verbreite "Fake News".

Der vorliegende Text betrachtet daher einen gegen mutmaßliche Fake News gerichteten Faktencheck zum Thema "Intensivbetten" näher.

Fake News machen immer nur die anderen

Der kritisch-marxistische Medien- und Kommunikationsforscher Christian Fuchs von der University of Westminster verweist darauf, dass es "Fake News" schon lange gibt – spätestens seit dem aufkommenden modernen Journalismus als Geschäftsmodell.

Als ein Startschuss gilt ihm eine Serie in der Boulevardzeitung New York Sun von 1835, in der sehr massenwirksam von einer vermeintlichen Entdeckung menschlichen und tierischen Lebens auf dem Mond geschrieben wurde ("The Great Moon Hoax").

"Fake News" waren und sind Fuchs zufolge nicht zuletzt eine spezielle Profit-Strategie. Fuchs hat in diesem Kontext auch einige der in der westlichen Welt etablierten heutigen Definitionen von "Fake News" zusammengefasst (Aufruf 24.11.2021, 20.50 Uhr).

Diese Definitionen besagen, "Fake News" seien nicht nur faktisch falsch, sondern sie versuchten zudem, ihre Publika systematisch und bewusst falsch zu informieren und irrezuführen. Derartige "Fake News" missachteten dabei professionelle Normen des Journalismus. Oft geschehe dies mittlerweile, so die meisten dieser Definitionen, durch Verbreitung auf "Social Media" genannten Internet-Plattformen.

Aber ähnliche Phänomene lassen sich auch in etablierten Medien beobachten, wie jüngst, als Bild-TV titelte: Biontech-Impfung nur noch für U30 (Aufruf 24.11.2021, 21.20 Uhr). Dieser Fall mag verdeutlichen, wie fragwürdig das "Fake-News"-Definitionsmerkmal "bewusst falsch" ist - denn wir können ja kaum in die Köpfe von Journalist:innen hineinschauen.

Auch daher sollten wir bei aller berechtigten Kritik an "Fake News" und "Alternative Facts" auf Plattformen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Mein Kollege Michael Meyen weist darauf hin, dass es bei "Fake News" nicht zuletzt um Macht gehe, genauer: um Definitionsmacht (Aufruf 24.11.2021, 20.59 Uhr). Dass also Kampagnen gegen "Fake News" vorwiegend denen helfen, die schon mächtig sind.

Das stimmt laut Meyen auch deshalb, weil diese Debatten ablenken von Problemen, über die wir sprechen sollten im Sinne sozialer und ökologischer Demokratisierung. Über die Qualität des Journalismus zum Beispiel, über seine Finanzierung via Werbung und Verkauf, die vieles von dem zumindest nicht erleichtert, was wir von ihm erwarten dürfen (Öffentlichkeit herstellen, die Mächtigen kritisieren und kontrollieren, vielfältige Perspektiven artikulieren etc.) - und nicht zuletzt über Eigentumsverhältnisse auch im Medienbereich.

Faktenchecks in alle Richtungen?

Wenn sozial umstritten, ja umkämpft ist, was "Fake News" sind, dann wundert nicht, dass auch das angeblich beste Mittel dagegen Kontroversen provoziert. Meyen kritisiert die oft selbst etablierten "Faktenchecker" als "Absage der alten Deutungseliten" an die Demokratisierungsverheißungen des Internets (Aufruf 24.11.2021, 21.28 Uhr).

An diese Kritik musste ich denken, als ich den folgenden Faktencheck las:

Das Team von Correctiv.org hatte sich die auf Facebook viral verbreitete Aussage "4.000 Intensivbetten wurden eingespart" vorgenommen.

Die zu checkende Behauptung: "Eine Aussage von Divi-Präsident Gernot Marx bestätige, dass 4.000 Intensivbetten wegen Misswirtschaft weggefallen seien." (21.11.2021, 16.36 Uhr).

Tenor des Faktenchecks: Das Zitat sei verkürzt worden, damit fehle wesentlicher Kontext. Bei correctiv.org heißt es:

Auf der Webseite des MDR fanden wir das Interview. Bei Minute 1:27 äußert Marx das Zitat, das in voller Länge lautet: "Wir haben zwar in Anführungszeichen nur 1.600 Covid-19-Patienten aber im Vergleich zu Anfang des Jahres haben wir 4.000 Intensivbetten weniger zur Verfügung, weil entsprechend der Belastung viele Pflegekräfte entweder ihren Beruf beendet haben oder ihre Arbeitszeit reduziert haben."

Der Faktencheck-Autor schreibt, damit werde wesentlicher Kontext weggelassen und der "Mythos" befeuert, in Deutschland seien während der Pandemie Intensivbetten "abgebaut" worden.

Das ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert:

1.) Auch hier wird, wie relativ oft, lediglich die Faktenlage auf Seiten "alternativer Medien" überprüft und (eher) nicht jene Fakten, mit denen die Regierung oder andere offizielle Stellen arbeiten.

2.) Die eindeutige Bewertung des Faktencheck-Autors wirft vorwiegend zumindest Fragen auf: Dass "Intensivbetten abgebaut" werden, muss ja nicht so gemeint sein (und verstanden werden), dass diese Betten erstens physisch verschwänden oder dass dort zweitens Wille, Plan und Anordnung durch irgendwelche Instanzen oder Personen dahinterstünden.

Fakt scheint jedenfalls, dass viele Tausende Intensivbetten insofern nicht mehr zur Verfügung stehen, da das Pflegepersonal in dramatischer Dynamik weniger wird. Es macht die Lage für Patient:innen und Angehörige keinesfalls besser (sondern wohl noch schlimmer), dass die Betten selbst und die Technik (Beatmungsgeräte etc.) anscheinend vorhanden sind - nur eben die Fachleute nicht.

"Fake News" jedenfalls dürften an der Stelle anders aussehen als die hier von correctiv.org monierte Version einer Zusammenfassung des Zitates.

3.) Das mythische und mystische Wort "Einsparen", das hier auf beiden Seiten des Faktenchecks verwendet wird: Dieser Terminus impliziert einerseits, dass dies Menschen mehr oder weniger bewusst planen und umsetzen, und zugleich konnotiert es relativ positiv: Wir legen etwas zur Seite, um damit später etwas Größeres und Gutes erreichen zu können.

4.) Last but not least scheint mensch hier – wiederum auf beiden Seiten des Faktenchecks – kaum auf die Idee zu kommen, dass es sich um Strukturprobleme handelt.

Die sind offenbar noch viel gravierender und wirksamer als das Agieren (und die etwaige "Misswirtschaft") konkreter Politiker:innen und anderer Entscheidungsträger. Stichworte sind hier neoliberale Privatisierungen im Gesundheitswesen, Fallpauschalen und so fort; allgemein gesprochen: der Abbau von Sozialstaatlichkeit.

Insofern muss sich dieser Faktencheck Kritik gefallen lassen, dass hier beckmesserisch verurteilt wird, ohne einen der blinden Flecken im aktuellen Diskurs-Raum auch nur anzusprechen – nämlich das Strukturproblem des Pflegenotstands.

Und eines dürfte Fakt sein, sozusagen kontrafaktisch: Ohne jenen gesellschaftlich bedingten Notstand müssten das Corona-Drama oder der entsprechende mediale Corona-Alarm womöglich gar nicht so heftig sein.


Redaktioneller Hinweis: Der im Artikel erwähnte Bild-Titel heißt korrekt Biontech-Impfung nur noch für U30. Nicht "Ü30". Dies war bei der Bearbeitung fälschlicherweise geändert worden. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.