Wie nervös ist Deutschland?

Seite 2: Enorme Aufwertung der Demagogen und Freiheitsfeinde

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Es sagt schon alles, dass ausgerechnet dem Medien-Outsider und Jungspund Tilo Jung viel Raum gegeben wird und dann zu seichten Appellen wie diesem: "Meine Eltern sind auch Einheitsverlierer, meinen Vater kotzt diese ganze Politik an." Über PEGIDA "Wir sollten auf diese Menschen zugehen, ihnen nicht immer nur vorwerfen, wie sie sich artikulieren."

Dass genau dies aber keiner tut, interessiert Lamby nicht. Was diese Leute der Pegida-Demos artikulieren, nicht wie, das ist der Punkt. Ein tobender, hasserfüllter Mob. Diese Leute haben keine Sorgen, sondern sie haben ein Aufmerksamkeitsdefizitproblem. Im 19. Jahrhundert hätte die Staatsmacht anders reagiert, da wäre Pegida nach einer Demonstration vorbei gewesen. Und da die Gesellschaft und ihre Medien offenbar unfähig sind, dem rassistischen Pöbel mehr entgegenzusetzen als Indifferenz und Nachgiebigkeit, könnte es eines Tages wieder so kommen.

Zwischen solchen Eindrücken streut der Film auch ein paar Politikerinterviews. In betont originellen Positionierungen: Maas auf einer Tischkante halb sitzend. Hat das der Pressesprecher so gewollt? Petry im schulterfreien Dress. De Maizière macht in diesem Umfeld sehr überraschenderweise in jeder Hinsicht den besten Eindruck.

Er findet als einziger eindeutige, harte und angemessene Worte für den AfD-Pegida-Komplex: "miese, aber gut wirksame Propaganda ... inszenierter Eklat ... an die Propaganda des Nationalsozialismus gegen die Politiker von Weimar erinnernd..." In Lambys Blick hat de Maizières altmodische, autoritäre, kühl-nassforsche Art etwas Sympathisches, Realpolitisches, fast Helmut-Schmidt-haftes - ein Mann für die Zukunft.

Der Film selbst ist nervös. Lambys Film ist ein Paradebeispiel für Medien, die als Institution zur Aufklärung und Irritation der Bürger, auch als ihr Anwalt gegenüber der Politik zunehmend versagen und stattdessen als Echoraum und Stimmungsmacher funktionieren. Sein Film betreibt mit seiner visuellen Gleichsetzung von AfD und Regierung eine enorme Aufwertung der Demagogen und Freiheitsfeinde.

In Lambys Film kommen Grüne und FDP gar nicht erst vor, und das Volk nur als keifende Minderheit, die allen Ernstes von "Widerstand" redet, von "Volksverrätern" und der Abschaffung Deutschlands. So zeigt er eine Konstellation, die wie eine Talkshow von Anne Will auf Krawall gebürstet ist, an Information desinteressiert. Die ARD strickt mit an Klischees und Vorurteilen, die auf Dauer eine andere Republik herbeiführen werden.

Lutz Kinkels Frage steht bis zum Ende im Raum: Haben die Qualitätsmedien die AfD und Pegida nicht erst geschaffen, groß gemacht durch übertriebene Aufmerksamkeit? Indem Demagogie und Rechtsextremismus zu "Populismus" verniedlicht werden. Indem der AfD die Möglichkeit gegeben wird, ihre Kommunikationsverweigerung als Gesprächsbereitschaft zu tarnen.

"Herr Diekmann, sind Sie Journalist oder Aktivist?"

Die letzte Chance verpasst der Film in Minute 54. Nachdem vorher Petry noch unwidersprochen natürlich ihre üblichen Behauptungen aufstellen durfte, dass "die Medien" "alles" über die AfD "immer ins Negative ziehen" würden, und unfair berichten. Danach redet Lamby mit dem Ex-BILD-Chefredakteur Kai Diekmann und geht ihn für seine Verhältnisse kritisch an, aber eben einmal mehr in die falsche Richtung: Als dieser erklärt, dass er Antisemitismus und Rassismus der AfD bekämpfen würde, weil er sie für gefährlich hält, fragt Lamby kess: "Sind Sie Journalist oder Aktivist?"

Diekmann erklärt ruhig, dass es zum Journalismus dazugehöre, zu berichten "wer sind denn die Leute, die von der AfD in die Landtage geschickt werden? Was für einen Hintergrund haben die?" Lamby: "Ich war bislang der Meinung, Journalisten berichten, jetzt sagen Sie mir, Journalisten kämpfen." - Diekmann: "Selbstverständlich tun wir das." Und gegen Hans-Joachim Friedrichs Behauptung, ein Journalist "macht sich mit keiner guten Sache gemein", kontert Diekmann: "Diesen Satz habe ich schon immer für falsch gehalten."

Am Ende erfahren wir den Titel jener großartigen Graphik, die ein paar Mal im Film auftaucht und die beste Entdeckung an ihm ist: "Das Gerücht" von Paul A. Weber, einem Künstler im Umkreis des Nationalbolschewisten Ernst-Niekisch. Lamby betitelt sie auf 1943, obwohl die Graphik erst von 1953 stammt, und nur der Entwurf im Dritten Reich entstand.

Das verdeutlicht die Methode: Es sieht gut aus, allerdings zugleich um einiges besser als es ist und ist im Detail dann mindestens ungenau, wenn nicht ein absichtlicher Bluff, der mehr über das öffentlich-rechtliche Fernsehen verrät als über seinen Gegenstand.