Wie sind die Schweizer auf den Wurm gekommen?
Seit dem 21. August hat der Schweizer Coop in sieben Niederlassungen Lebensmittel aus Insekten im Angebot - und war schnell ausverkauft
Die Nachfrage nach Insect Burger und Insect Balls hat alle Erwartungen überstiegen. Im Coop hinter dem Basler Bahnhof SBB waren die neuen Produkte schon nach drei Stunden ausverkauft. Es sollen zweihundert Packungen geliefert worden sein. Auch in der ebenfalls zentral gelegenen Coop-Filiale am Züricher Sihlquai waren die Insekten-Produkte schnell weg. Eine verbindliche Aussage, wann die nächsten Lieferungen kommen sollen und wie viele Portionen es dann sein werden, war vor Ort nicht zu erhalten. In der Basler Filiale glaubte man zu wissen, dass der Lieferant Essento mit der Produktion kaum nachkommen würde. Essento ist ein Schweizer Start-up, das sich seit über drei Jahren mit der Entwicklung von Nahrungsmitteln aus Insekten beschäftigt und sich zur Aufgabe gemacht hat Insekten auf die Schweizer Teller zu bringen.
Was steckt im Insect Food?
Derzeit werden mit den Insect Burgers und den Insect Balls zwei Produkte angeboten, die Mehlwürmer (Tenebrio molitor) enhalten. In den Burger stecken jedoch nur 31 Prozent Mehlwürmer. In der Hauptsache finden sich Reis und Gemüse sowie Gewürze wie Oregano und Chili. Die Insect Balls ähneln vom Aussehen orientalischen Falafel und enthalten wie diese Kichererbsen und Gewürze. Im Gegensatz zur veganen Falafel enthält die Insekten-Version jedoch tierisches Eiweiß.
Den Verbrauchern scheint es zu schmecken und sie sehen sich offensichtlich in der Avantgarde der nachhaltigkeitsbewussten Gourmets. Ob das mit der Nachhaltigkeit wirklich zutrifft, wird jedoch durchaus bezweifelt. So bezieht Essento die Mehlwürmer derzeit noch aus Belgien, wo es eine Tradition der Insektenzucht für den menschlichen Verzehr gibt. Und selbst wenn die Zucht der Insekten in der Schweiz erfolgen wird, wie die Entomos AG ankündigte, die bislang Futterinsekten für die Tierzucht liefert und ab Oktober hunderte Kilogramm an Lebensmittelinsekten "Made in Switzerland" will, bleiben zwei Problemfelder.
Die Aufzucht der Mehlwürmer ist relativ energieintensiv, da sie bei 28 bis 30 Grad Celsius erfolgt. Zudem kommen (wie in der gängigen Viehzucht) hochqualitative Futtermittel zum Einsatz - hauptsächlich Getreide. Würde das Getreide direkt für die Lebensmittelproduktion eingesetzt, wäre das in jedem Fall effizienter und nachhaltiger. Der Umweg über die Insekten erhöht jedoch den erzielbaren Erlös.
Seit wann sind Insekten für den menschlichen Verzehr zugelassen?
Innerhalb der EU sind Insekten nicht grundsätzlich für den menschlichen Verzehr zugelassen. In Belgien und den Niederlanden ist die Nutzung als Lebensmittel jedoch durchaus gebräuchlich. In Deutschland finden sich Insekten auf der Speisekarte von asiatischen Spezialitätenrestaurants. In der Schweiz soll so mancher Koch seine Speisen mit gerösteten Ameisen verfeinern. Deren Säure ähnelt der von Essig.
Was die Massenproduktion von Lebensmittelinsekten angeht, hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in der Schweiz zum 1. Mai die Nutzung von Mehlwürmer, Wanderheuschrecken und Grillen (Heimchen) legalisiert. Da erst die vierte Zucht von Mehlwürmern, die nach Lebensmittelstandards erfolgt ist, für den menschlichen Verzehr freigegeben ist, hat es jetzt bis in die zweite Hälfte des Augusts gedauert, bis die ersten einschlägigen Produkte beim Coop im Kühlregal landeten.
Und wer jetzt hoffte, dass es sich beim Insekten-Food um ein Arme-Leute-Essen handelt, sicht sich bitter enttäuscht. 170 Gramm Insektenbällchen kosten aktuell 8,95 Franken, die beiden je 65 Gramm schweren Burger-Pattys ebenfalls. Rindsfilet ist derzeit in der Schweiz auch nicht teurer.
Wie geht es weiter mit dem Insect-Food?
Die Schweiz ist mit Sicherheit ein europäischer Vorreiter bei der Bereitstellung von Insekten für den menschlichen Genuss. Noch befindet sich mit den Mehlwürmern, die als solche im verarbeiteten Nahrungsmittel nicht erkennbar sind und auch geschmacklich nicht in Erscheinung treten, eine Insektenart in der Kleinserienproduktion. Mit den Grillen und den Wanderheuschrecken stehen noch zwei weitere auf der Warteliste der in der Schweiz erlaubten Insekten. Deren Verarbeitung dürfte jedoch ein wenig aufwendiger sein, wenn man sie im Fertigprodukt nicht mehr einzeln erkennen will.
Ob die Konsumenten so viel Neugier nach Novel Food zeigen, dass sie auch zur gerösteten Heuschrecke greifen, muss die Zukunft zeigen. Wer dies ausprobieren will, hat bislang noch in Bangkok die Möglichkeit dazu. Noch gibt es dort jeden Abend frische Heuschrecken direkt vom Grill. Im Interesse einer gesitteten Fastfood-Kultur sollen diese fahrbaren Grills jetzt jedoch aus der Innenstadt der thailändischen Metropole verdrängt werden. Wem die Zeit für die Reise fehlt oder wer dann einfach zu spät kommt, kann sich allerlei essbare Insekten auch als Konserve per Post nach Deutschland kommen lassen.