Wie steht es um die Kriegstüchtigkeit der Ukraine?

Ukrainische Soldaten an der Artillerie. Die Gefechte an der Front nehmen zu.

Ukrainische Soldaten an der Artillerie. Die Gefechte an der Front nehmen zu. Bild: Armyinform

Wie viel westliche Hilfe gelangt wirklich in die Ukraine und ans Militär? Was kann die Armee mit den Waffen anfangen? Und wie sieht die Zukunft aus. Ein Überblick.

Es wurde als großer Durchbruch und Signal gewertet, als der US-Kongress Ende April die Gelder für die Ukraine freigab. 61 Milliarden Dollar für finanzielle und militärische Hilfe. Im Februar hatte die EU bereits ein Unterstützungspaket für Ukraine verabschiedet in Höhe von 50 Milliarden Euro.

Wasser in den Wein schütten

Doch der Ukraine Support Tracker des Kiel Institute for the World Economy schüttet in seiner Untersuchung nun Wasser in den Wein. Von den 61 Milliarden aus den USA würden nur 13,7 Milliarden für Waffenlieferungen an die Ukraine bereitgestellt. Inklusive weiterer Posten militärischer Hilfe seien es am Ende weniger als 25 Milliarden Dollar für die materielle Stärkung der ukrainischen Armee.

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Abgesehen von der ökonomischen Unterstützung in Höhe von 7,8 Milliarden Dollar sei der Rest der Summe, der mehr als die Hälfte der 61 Milliarden ausmacht, gar keine Ukraine-Hilfe.

Denn bei den 37 Milliarden Dollar handele es sich um Mittel, die nicht für die Ukraine bestimmt sind und die USA auch nicht verlassen. Sie werden vielmehr dazu verwendet, die Waffen- und Munitionslager in den Vereinigten Staaten wieder aufzufüllen, was Jahre dauern wird.

Die zögerliche Freigabe der Gelder

Die 50 Milliarden Euro von der EU sind insgesamt keine militärischen, sondern Wiederaufbauhilfen. Sie sind sicherlich wichtig – wenn auch ein Tropfen auf den heißen Stein –, um der Ukraine unter die Arme zu greifen. Aber sie werden die Situation auf dem Schlachtfeld nicht beeinflussen können.

Aber genau das ist es, was man sich primär von den Ukraine-Geldern verspricht: dass Kiew damit in den Stand gesetzt wird, Russland die Stirn zu bieten, die Armee in die Defensive zu bringen und am Ende zu besiegen.

Doch das ist bisher nicht geschehen, und wird auch in Zukunft mit den Geldern kaum möglich sein. Das liegt auch an der zögerlichen Freigabe der Gelder. So verweisen die Tracker-Forscher auf die "große Kluft" zwischen den versprochenen Hilfen und ihrer tatsächlichen Bereitstellung für die Ukraine.

Demnach wurden Ukraine-Gelder der USA, zu denen man sich im Dezember 2022 mit einem Paket verpflichtete, erst ein Jahr später erreicht. Bisher fehlen noch rund 25 Prozent, um alle gegebenen US-Versprechen einzulösen. Von 98,7 Milliarden wurden tatsächlich nur 74 Milliarden Dollar bereitgestellt.

Immer noch fehlen 40 Prozent

In der EU (darunter gefasst sind die EU-Institutionen und die EU-Mitgliedsstaaten) mutierte die Differenz zwischen "versprochenen" und "gegebenen" Hilfen seit November 2022 zu einem Krater. Im Mai 2023 bestand zwischen den Versprechungen, rund 130 Milliarden Euro, und den bereitgestellten Mitteln, rund 50 Milliarden Euro, ein eklatantes Missverhältnis.

Das hat sich zwar im Verlauf der letzten Monate etwas abgeschwächt. Heute sind von den angekündigten 152 Milliarden Euro 87 Milliarden zur Verfügung gestellt worden, was aber auch heißt, dass immer noch 40 Prozent fehlen. In der Studie heißt es:

Dies bedeutet, dass die Hilfe, die in der Ukraine weitaus geringer ist, als die Zahlen der Versprechen vermuten lassen, und es bedeutet auch, dass die EU noch einen großen finanziellen Spielraum hat, um der Ukraine künftig Hilfe zukommen zu lassen.

Bisher sind in toto von Europa (inklusive Norwegen, Großbritannien, die Schweiz und Island) und den USA 276 Milliarden Euro an Ukraineunterstützung (militärischer wie ökonomischer Art) versprochen worden, wovon aber insgesamt 100 Milliarden noch nicht bereitgestellt worden sind. Von den 176 Milliarden Euro, die die Ukraine in 27 Monaten bisher erhalten hat, sind dabei knapp 100 Milliarden für militärische Zwecke aufgewendet worden.

100 Milliarden Euro fürs Militär

100 Milliarden: Diese Zahl hört sich groß an – sie ist es auch. Aber man muss sie trotzdem in Relation stellen. So hat Russland in 2022 und 2023 für das Militär 212 Milliarden Dollar aufgewendet.

Die Ukraine wiederum hat, auch mit finanzieller Haushaltsunterstützung von den Geberländern, im gleichen Zeitraum 105 Milliarden mobilisieren können. Das sind astronomische 37 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes.

Doch trotz dieser enormen Mittelaufwendung und der kontinuierlich hohen westlichen Hilfen konnte die Ukraine in Sachen Militärausgaben gerade mal mit Russland gleichziehen. Um weiter dranzubleiben, müssten die Mittel daher auch in Zukunft in gleicher Höhe fließen.

Die Gewinnabschöpfung von eingefrorenen russischen Vermögen in Europa, wie sie von der EU vor einem Monat beschlossen wurde, wird wenig dazu beitragen können. Denn pro Jahr sind es höchstens vier bis fünf Milliarden, die dabei nach Schätzungen herausspringen.

Zugleich sind damit eine Reihe von möglichen Kollateralschäden verbunden, die den Europäern teuer zu stehen bekommen könnten, von kostspieligen Rechtsstreitigkeiten über russische Gegenmaßnahmen bis zum Vertrauensverlust in das westliche Bankensystem und westliche Währungen.

Russland rüstet auf

Tatsächlich braucht es aber sogar noch mehr Geld für die Ukraine als bisher, um von Moskau nicht abgehängt zu werden. Denn Russland will den Wehretat weiter erhöhen, wie das Friedensforschungsinstitut Sipri meldet.

Russlands Militär- und Kriegsausgaben werden nach den neuen Haushaltsplänen für 2024 bis 2026, die Präsident Wladimir Putin am 27. November 2023 unterzeichnet hat, im Jahr 2024 stark ansteigen, so Sipri. Mit circa 140 Milliarden Dollar würden die geplanten Militärausgaben im laufenden Jahr real um 29 Prozent höher liegen als 2023, was 7,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 35 Prozent der gesamten Staatsausgaben entspricht.

Die Ukraine müsste für dieses Jahr demnach noch zusätzlich 30 Milliarden Euro mobilisieren und danach die jährlichen Militärausgaben an die russischen nach oben anpassen, also auf 140 Milliarden Dollar. Doch danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil. So erklärt Christoph Trebesch, Vorsitzender des Ukraine Support Trackers:

Das neue US-Hilfspaket sieht wichtige Mittel für die militärische Unterstützung der Ukraine vor. Die Versprechen für die Ukraine sind jedoch im Vergleich zu früheren Gesetzesentwürfen relativ gering, und die Auszahlung der Hilfe scheint bisher nur langsam voranzukommen.

Die Bilanz nach mehr als zwei Jahren Krieg

Dabei enthielten die neuen Hilfen aus den USA und Europa keine Komponenten, die für die von der Ukraine angeforderten Luftabwehrsysteme dringend benötigt werden. Es bestehe nach wie vor, so die Tracker-Studie, eine große Diskrepanz zwischen den der Ukraine zur Verfügung gestellten wichtigen Teilen wie Trägerraketen für diese Systeme und den Beständen der Geberstaaten.

Und dann muss man sich nüchtern anschauen, was die Gelder bisher erzielt haben. Nach über zwei Jahren Krieg sieht es für die Ukraine auf dem Schlachtfeld nicht nur nicht gut aus, sondern düster.

Anstatt mit Offensiven die russische Armee zurückzudrängen, verliert man mehr und mehr Territorium. Russland konnte dabei seine größeren materiellen und personellen Ressourcen bei den Streitkräften nutzen, um langsam Fortschritte zu machen.

Nun wird sogar von westlichen Geheimdiensten prognostiziert, dass Kiew bis Ende des Jahres noch "deutlich größere Gebietsverluste" erleiden könnte.