Wie unsere Städte für Katastrophen anfällig wurden

Seite 2: Kluge Erfindungen des Bauerbes wurden vergessen

Dass sich in diesen Regionen die Bauweise so gut erhalten hat, ist den 500 Jahren maurischer Kolonialherrschaft geschuldet, die auch die Architektur bis hin zu den Stadtgrundrissen tief geprägt hat. Die engen, verwinkelten Gassen erzeugen Schatten und lassen die Luft zirkulieren, vermindern damit auch die Sonneneinwirkung auf die Häuser.

Es musste erst die moderne Baurevolution mit ihrem Hang zur Standardlösung kommen, damit all die klugen lokalen Erfindungen des menschlichen Bauerbes vergessen wurden. Weil es ökonomisch effizienter ist, die gleichen spartanischen Formen, mit den gleichen Materialien und gleichen Bautechniken überall in Serie zu produzieren, sehen Städte in der Sahara heute genauso aus wie Städte in Sibirien: große Betoncontainer mit energiesaugender Haustechnik als Universallösung für alle Klimazonen.

Insbesondere das Glas wurde zu einem entscheidenden Problem der Architektur. Zwar wäre es technologisch mittlerweile durchaus in der Lage, Häuser vor zu viel Sonneneinstrahlung zu schützen.

Im Augenblick ist das aber auch eine kostspielige, an Gerätemedizin erinnernde Technologie – und so rächt es sich nun, dass Häuser und Städte seit vielen Jahrzehnten die einfache Kunst des Schattenspendens eingebüßt haben: auskragende Dächer, eng stehende, einander verschattende Stadthäuser, dicke, daher speichertaugliche Mauern, schattenspendende Begrünung, Wasser, Läden zum Schließen der Fassade, der Wind, der zur Kühlung eingefangen und gelenkt wird: Nichts davon ist neu zu erfinden. Der Süden ist schon lange findig im Umgang mit dem sengenden Glutmonster dort oben.

Obgleich wir in den letzten Jahren viele Negativerfahrungen haben sammeln müssen, tun wir uns schwer, mit dem Klimawandel operativ umzugehen. Es scheint, als widerspräche es dem modernen Selbstgefühl zutiefst, etwa Naturkatastrophen als dauernde Erfahrung der Gesellschaft und der Geschichte anzunehmen: "Es isoliert Katastrophen in der Gegenwart und eliminiert sie aus der Vergangenheit, weil sie die Zukunft nicht definieren sollen", meinte dazu der Historiker Arno Borst.

Ein katastrophales Ereignis mag nur wenige Sekunden, Stunden oder Tage andauern, der Umgang mit der Gefahr ist aber ein dauerhaftes Phänomen. Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Umgang mit Naturkatastrophen ist aber gerade die Diskrepanz zwischen den kurzen, plötzlich einsetzenden und nicht prognostizierbaren Auswirkungen einerseits sowie der Dauerhaftigkeit der Gefährdung andererseits.

Letztere manifestiert sich zum Beispiel in technischen Aspekten der Gefahrenabwehr (wie zum Beispiel Deiche oder erdbebensichere Gebäude), in der Finanzierung des Präventions- und Bewältigungsapparates, aber auch in der kulturellen Tradierung und permanenten Bewusstmachung.

Menschen waren einst an Überschwemmungen gewöhnt

Überschwemmungen zum Beispiel waren – in stärkerem Maße als andere natürliche Extremereignisse – für Städte und Dörfer am Fluss eher Alltag als Ausnahmezustand. Gerade für die Vormoderne, als Flüsse eine viel größere Rolle spielten als heute, kann man auch in Europa von einer regelrechten "Überschwemmungskultur" sprechen. In vielen Teilen der Welt ist das auch heute noch der Fall; ebenso wie Stürme oder Dürren außerhalb Europas fürwahr keine Seltenheit bedeuten.

Antivilla in Krampnitz von Arno Brandlhuber. Bild: Brandlhuber+ Emde, Burlon / CC-BY-SA-4.0

Wir brauchen eine Art konzeptionelle Intelligenz – und müssen dabei stärker mit Low-Tech-Lösungen operieren. So hat es etwa der Berliner Architekt Arno Brandlhuber mit seiner "Anti-Villa" in Krampnitz (bei Potsdam) vorgemacht. Hier wird Energieeinsparung dadurch möglich, dass nicht alle Räume des Hauses ganzjährig in gleicher Weise zu nutzen sind.

Im Zentrum des Grundrisses befindet sich eine Sauna, die hinreichend Wärme für etwa 50 Quadratmeter abgibt. Um diese Wärmezone werden nach dem Zwiebelprinzip Vorhänge gelegt; die weiter vom Wärmekern entfernten Räume werden mithin im Winter immer kühler.

Wenn man sie in der kälteren Jahreszeit trotzdem nutzen will, muss man entsprechende Kleidung wählen. Dieses "zonierte" Wohnen führt zu einer saisonal abwechslungsreichen Nutzung der Wohnfläche, erfordert aber keinerlei Aufwand für Heizungsanlagen, Entlüftung und Dämmschichten, ist klimaschutzmäßig höchst effektiv und zudem extrem preiswert.

All das berührt die Frage nach der Rationalität planenden Handelns. Leitbilder ohne Fehler-Toleranzen, dies zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, sind stets problematisch. Konzepte sind nur in dem Maße rational, wie sie Irrtümer erlaubt, ihre Ergebnisse also auch wieder zurückgenommen werden können.

Prekäre Umweltsituationen wie Extremwetterereignisse spiegeln sich in den räumlichen und sozialen Dimensionen des Alltagslebens der Betroffenen. Weil es keine exakten Wirkungsanalysen zum Klimawandel gibt, weil wir nicht alle Risiken und Verwundbarkeiten in unseren siedlungsräumlichen Konstellationen kennen, brauchen wir strategische Ansätze, die im Zweifel revidierbar, also fehlerfreundlich sind. Genau das sollten wir aus der vorherigen Debatte über die Atomtechnik eigentlich gelernt haben.