Wie urban ist der digitale Urbanismus?
- Wie urban ist der digitale Urbanismus?
- 2. Ende der Repräsentation
- 3. Die Urbanisierung der Kultur
- 4. Von der "Kultur für alle" zur "Kultur durch alle".
- Auf einer Seite lesen
Zur Kritik der programmierten Interaktivität
Der Stadtsoziologe Walter Prigge geht den Versprechungen der neuen Urbanität in virtuellen Städten nach. Die Möglichkeit einer radikalen Veränderung eröffnet sich im virtuellen Raum: nicht mehr Kultur für alle, sondern Kultur durch alle ist die Verheißung. Aber noch ist diese mögliche Zukunft gefangen in alten Strukturen.
1. Das Ende der urbanen Kultur?
Ende 1995 existierten bereits etwa zwanzig virtuelle Städte wie und jeden Tag brechen überall auf der Welt Tausende auf, neue zu gründen (Die Digitale Stad Amsterdam hatte beispielsweise Ende 1995 etwa 30.000 "Einwohner"). Virtuelle Städte sind Städte ohne Ort. Sie existieren ausschließlich durch die Beziehungen der Kommunikationsteilnehmer untereinander, die in imaginärer Gemeinschaft am Raum dieser Städte weiterbauen. Verkünden diese digitalen Städte das Ende der modernen urbanen Kultur?
Am MIT wurde Cyberion City, eine Raumstation irgendwo im Weltall, also im utopischen Raum, gegründet. Der virtuelle Raum ist nirgendwo, aber er wird kolonisiert und belebt. An jedem Tag, so berichtet WIRED, die Szenezeitschrift der Netzenthusiasten, reisen via Internet an die 500 Kids in diese Stadt, die sowohl in einer gemeinsamen Imagination als auch im Speicher des Computers existiert. Bisher haben sie mehr als 50.000 Objekte, Charaktere und Räume geschaffen, in denen man sich nur bewegt, in dem man liest. Hier gibt es eine Rundfunkstation, ein Kino, ein Wissenschaftsmuseum, eine Art Disneyworld, eine Einkaufszone, einen Rundreisebus und sogar eine City Hall. Es gibt auch Wohngegenden und einen Roboter, der als Makler mit jedem in Verhandlung tritt, der ein Haus erwerben möchte. Aber es gibt keine Karte von Cyberion City ...
Florian Rötzer
Daß Teilnehmer weltweiter Kommunikationsnetze ihre Beziehungen als Stadt symbolisieren, begreift eine Position als Metapher für das Ende der "realen" Stadt, die sich in den gegenwärtigen Globalisierungsprozessen von Ökonomie und Kultur auflöse: Aus der enturbanisierten realen Stadt brechen die vorwiegend jungen Bewohner in den virtuellen Raum auf, in dem sie im globalen Netz und in imaginärer Gemeinschaft ein letztes Mal Stadt spielen - die virtuelle Vernetzung als Tod der realen Urbanität. Mit der Entwicklung der telematischen Medien sei der Endpunkt der urbanen Kultur im 20. Jahrhundert erreicht, die neuen Medien enturbanisieren die öffentlichen Kulturen und damit sei auch das Städtische am Ende: Auch die nicht virtuellen Räume des städtischen Alltags werden durch die medialen Räume und Zeiten ersetzt und transformiert. Diese Position bezieht sich auf die gegenwärtigen soziologischen und kulturellen Prozesse der Individualisierung moderner Vergesellschaftungsformen, der Auflösung sozialer Gruppen, Schichten und Klassen und der damit verbundenen Lebensstil-Kulturen und insbesondere Kommunikationsformen.
Diese Diagnose ist nicht falsch. Die Individualisierung schreitet fort. Gefördert durch die modernen Massenmedien ist Urbanität jedoch bereits seit längerer Zeit nur noch in der Zerstreuung denkbar. Jeder hockt vor seinen Apparaten in der Privatsphäre, die nur noch selten zur Versammlung in der Öffentlichkeit verlassen wird. Auch das Politische selbst ist heute über programmierte Medien vermittelt und wird insofern auch selbst programmiert.
Gegenüber dieser skeptischen Diagnose setzt die andere Position am utopischen Gehalt der neuen Kommunikationsformen an. Diese Position argumentiert, es ginge nicht um den Verlust der uns bekannten Strukturen und Kulturen, sondern um die Beobachtung und Kritik der Herausbildung neuer Strukturen und kommunikativer Formen. Tatsächlich liegt das Potential der neuen Komunikationstechniken, gegenüber den modernen Einweg-Massenmedien, in der interaktiven Struktur, mit der diese Medien ihren Namen wirklich verdienen, insofern sie durch die mögliche Interaktivität eine dialogische Struktur aufweisen, mit der die bislang programmierte Beziehung von Sender und Empfänger durchbrochen wird und die Nutzer ihre zugewiesene Konsumentenrolle überschreiten könnten. Dann erst, so schlußfolgert diese Position, vollende sich die moderne urbane Kultur, im vollen Sinne einer interaktiven, unzensiert öffentlichen und dezentralen, d.h. nichthierarchischen Kommunikation, die dann auch einen politischen Austausch jenseits aller bekannten politischen Programmierungen ermöglicht.
Der zersteute, digitale Urbanismus folglich als Vollendung der urbanen politischen Kultur?
Voraussetzung dafür ist, daß der Nutzer selbst programmieren kann und durch die Vermarktung von Soft- und Hardware keine sozialen Ausschließungsmechanismen verbunden sind, der Zugang zu den Produktionsmitteln der Kommunikation (Wissen, Information) also für jeden jederzeit möglich ist. Es kommt mithin auch bei der Entfaltung dieser Produktivkraft "Interaktivität" auf die gesellschaftspolitisch regulierten Produktionsverhältnisse an, ob die Produkte der neuen Medien Resultate einer selbstregulierten Produktionsweise sind, mit der die Grenzen der modernen Massenmedien erweitert werden können.