Wie weit darf die Kommerzialisierung des menschlichen Lebens gehen?
Im spärlich gefüllten Plenum des Bundestag wurde über die EU-Richtlinie für Biopatente diskutiert
Rund ein Jahr nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms durch das "Humangenomprojekt" und Celera hat der Bundestag am Donnerstag Abend in einer ersten Lesung über die Umsetzung der europäischen Richtlinie für Biopatente beraten. Das Papier 98/44/EC über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen sieht unter anderem Patente auf Teile des Menschen, von Tieren oder von Pflanzen vor. Mit der Bewilligung eines solchen Patentes fiele nicht nur der Organismus, sondern auch dessen Nachkommen und Kreuzungen unter die Verfügungsgewalt des Patentinhabers.
Schon Tage vor der Debatte meldeten Kritiker der kommerziellen Verwendung von Gentechnik ihren Protest an. Am vergangenen Montag übergaben Aktivisten des "Gen-ethischen Netzwerkes" (GeN) in Berlin ein Positionspapier samt Unterschriftensammlung gegen die Umsetzung der Biopatentrichtlinie an die Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer. Nach Angaben des Netzwerkes hatten rund 15000 Menschen einen Aufruf gegen die Patentierung von Leben unterschrieben. Die Aktion wurde auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und mehreren lokalen und regionalen Initiativen unterstützt.
Pünktlich zu der Debatte im Bundestag meldete aber auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace ihren Protest gegen die Erteilung des Patentes auf ein Brustkrebs-Gen durch das Europäische Patentamt (EPA) an. Damit sei man der Privatisierung menschlichen Lebens ein Stück näher gekommen, heißt es in einer Erklärung der Organisation. Schon nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hatten Greenpeace und andere renommierte Umweltschutzorganisationen auf die nebulösen Intentionen einiger der beteiligten Forscher und Institutionen hingewiesen. Kritisiert wurde auch, dass ausgerechnet Wissenschaftler, die sich gegen eine solche Patentierung aussprechen, solche Patentanträge gestellt hätten. Unter den genannten Namen fand man auch den von Ernst-Ludwig Winnacker, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgesellschaft.
"Artikel 4
(1) Nicht patentierbar sind
a) Pflanzensorten und Tierrassen,
b) im wesentlichen biologische Verfahren zur Zuechtung von Pflanzen oder Tieren.
(2) Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen oder Tiere sind, können patentiert werden, wenn die Ausführungen der Erfindung technisch nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist.
(3) Absatz 1 Buchstabe b) berührt nicht die Patentierbarkeit von Erfindungen, die ein mikrobiologisches oder sonstiges technisches Verfahren oder ein durch diese Verfahren gewonnenes Erzeugnis zum Gegenstand haben."
Ein Kernpunkt der laufenden Diskussion ist die Frage, wie weit der Schutz des geistigen Eigentums bei solchen Gen-Patenten reichen soll. Eine befriedigende Antwort gibt auch die zur Disposition stehende EU-Richtlinie nicht. Ähnlich wie bei den seit den sechziger Jahren gültigen Stoffpatenten steht dabei offen, ob ein Stoff – und nach der möglichen Übernahme der umstrittenen EU-Richtlinie auch Gene – unabhängig von der Umwelt patentiert werden können, oder ob sich ein solcher Eigentumsschutz nicht vielmehr auf eine klar definierte Wirkung beschränken müsse, deren Offenbarung die patentierte geistige Leistung ausmacht. Die Grüne Bundestagsabgeordnete Ulrike Höfgen mahnte in diesem Zusammenhang an, "Erfindungen (zu) belohnen, nicht aber Entdeckungen".
Doch gerade im Fall des Brustkrebs-Gens ist Letzteres der Fall. Der US-amerikanische Pharmakonzern Myriad hatte den Patentantrag gestellt, nachdem das vermeintlich Brustkrebs auslösende Gen isoliert werden konnte. Myriad hat damit ein Anrecht auf Lizenzen an allen Diagnose-Verfahren sowie an der Verwendung des Gens für Therapien gegen Brustkrebs und zur Herstellung von Arzneimitteln gegen die Tumorbildung. Nach Meinung von Kritikern reicht die Entdeckung des Gens selber aber nicht aus, um den Schutz geistigen Eigentums geltend zu machen. Erschwerend kommt hinzu, dass unter den Schutz eben auch Funktionen fallen, die bislang noch nicht bekannt sind. Unklar ist bislang, ob das betreffende Gen auch für andere Arten von Krebserkrankungen verantwortlich ist.
"Artikel 5
(1) Der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die blosse Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, können keine patentierbaren Erfindungen darstellen.
(2) Ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers oder ein auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnener Bestandteil, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, kann eine patentierbare Erfindung sein,
selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch ist. (3) Die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens muß in der Patentanmeldung konkret beschrieben werden."
Während die Deutsche Forschungsgesellschaft der Entwicklung mit Wohlwollen begegnet, hagelt es von der Deutschen Ärztekammer scharfe Kritik. Deren Präsident Jörg-Dietrich Hoppe nannte die Entscheidung des EPA "besorgniserregend". Forschenden Mediziner schwant, dass durch die breite des Patentschutzes in erster Linie eine Blockade des wissenschaftlichen Umgangs mit dem neuen Wissen zugunsten merkantiler Mechanismen etabliert wird. Wissen in bislang kaum einschätzbaren Ausmaß werde derart dem Allgemeinwohl entzogen. Diese Bedenken setzen sich auch auf europäischer Ebene fort: Während die nordischen Länder sich mehrheitlich für die Biopatentrichtlinie entschieden haben, wurde das Papier in Frankreich auf unbestimmte Zeit zurückgesetzt. Die Niederlande und Italien haben beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Bestimmung erhoben.
"Artikel 6
(1) Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstossen würde, sind von der Patentierbarkeit ausgenommen, dieser Verstoß kann nicht allein daraus hergeleitet werden, daß die Verwertung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften verboten ist.
(2) Im Sinne von Absatz 1 gelten unter anderem als nicht patentierbar:
a) Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen;
b) Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens;
c) die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken;
d) Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere."
Im Bundestag verweist man indes auf Sachzwänge. Diese Art Richtlinien seien geltendes europäisches Recht, dessen Anerkennung sich die Bundesrepublik nicht erwehren könne, erklärte Eckhard Pick, Parlamentarischer Staatssekretär der SPD. Zudem sei die Ethikdiskussion vorab schon im Europäischen Parlament geführt worden. Pick sieht mit der Richtlinie einen rechtlichen Freiraum im Patentrecht gefüllt. Die nämlich stammt in der geltenden Form aus dem Jahr 1877. Nicht zuletzt werde durch explizit ausgesprochene Patentierungsverbote Würde und Unversehrtheit menschlichen Lebens gewährleistet.
Diese Meinung fand in den spärlich gefüllten Reihen des Plenums offenbar keine Mehrheiten. Während nämlich gleich im ersten Absatz des ersten Paragraphen der Richtlinie erklärt wird, dass der menschliche Körper und Teile von ihm kein Objekt einer Patentanmeldung sein können, wird diese Möglichkeit gleich darauf für Gene ausdrücklich erlaubt. Welche von beiden Aussagen nun entscheidend ist, bestimmte nicht nur die Debatte am Donnerstag. Christoph Then, Gentechnik-Experte von Greenpeace jedenfalls äußert die Vermutung, dass hier "eine rechtliche Grauzone geschaffen werden soll", was der einzige Sinn des Entwurfes sei. Erwartungsgemäß kritische Anmerkungen kamen in der Debatte daher aus der CDU/ CSU-K-Fraktion, aus der es hieß, Gene seien kein Bodenschätze und Patentbüros keine Bergämter.
Die Frage, weshalb die Bundesregierung unter Verweis auf die Verbindlichkeiten der Europäischen Union gegenüber die offenbar mangelhafte Richtlinie übernehmen wolle, warf nicht nur der PDS-Bundestagsabgeordnete Ilja Seifert auf. Vor einer Verabschiedung forderte er die Ausräumung der Widersprüche im Gesetz. Eigentum am Menschen sei schließlich zuletzt mit der Sklaverei praktiziert worden, "und die ist meines Wissens nach abgeschafft".