Wie wird Europa auf den israelischen Anschlag gegen Irans Botschaft reagieren?

Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, bei einem Briefing in Brüssel. Bild: Nicolas Economou / Shutterstock.com

Bombardierung könnte rote Linie gewesen sein. Iran droht mit Vergeltung. EU sollte helfen, zu deeskalieren. Dazu müsste man Druck auf Tel Aviv ausüben. Gastbeitrag.

Die Befürchtung in Europa, dass die Auswirkungen des Kriegs im Gazastreifen den gesamten Nahen Osten erfassen könnten, erhielt diese Woche durch einen israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus, Syrien, neue Nahrung.

Erhebliche Eskalation

Berichten zufolge wurden sechs Iraner getötet, darunter ein ranghoher Kommandeur der Eliteeinheit Al-Qods der iranischen Revolutionsgarden, Mohammad Reza Zahedi, und sein Stellvertreter.

Während Israel regelmäßig Luftangriffe gegen iranische Ziele und Attentate auf iranische Militärs in Syrien durchführt, stellt der Angriff auf ein Konsulat, das eng mit dem Heimatland verbunden ist und diplomatischen Schutz genießt, eine erhebliche Eskalation dar.

Eldar Mamedov ist ein in Brüssel ansässiger Experte für Außenpolitik.

Bislang hat die iranische Führung relativ zurückhaltend auf die israelischen Aktionen reagiert, da sie einen offenen Krieg vermeiden will. Nach dem Angriff in Damaskus steht Teheran jedoch unter dem zunehmenden Druck der eigenen Wählerschaft und regionaler Verbündeter, energisch zurückzuschlagen. Die Führung will nicht ein Bild extremer Schwäche vermitteln, was zu weiteren Aggressionen einladen könnte.

Vergeltung gefordert

Daher versprach der iranische Präsident Ebrahim Raisi, sich an Israel zu rächen. Auf Ersuchen des Irans trat der UN-Sicherheitsrat am 2. April zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen, auf der der iranische Vertreter das Gremium um eine Verurteilung des israelischen Angriffs bat und versicherte, dass sich der Iran das "inhärente und legitime Recht vorbehält, im Rahmen des Völkerrechts und der UN-Charta eine entschiedene Antwort zu geben".

Hossein Shariat-Madari, der Chefredakteur der staatlichen Hardliner-Zeitung Kayhann, der direkt vom Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei in diese Position berufen wurde, argumentierte, dass der Iran das Recht habe, Vergeltung zu üben, indem er die israelischen Botschaften weltweit angreift.

Ein Mitglied des Parlaments, Jamal Rashidi Kochi, ging noch weiter und forderte offen einen Angriff auf "zionistische diplomatische Zentren" in der Region. Er verwies dabei auf das benachbarte Aserbaidschan, einen engen Verbündeten Israels.

Als Reaktion auf frühere mutmaßliche israelische Angriffe hat der Iran auch Ziele im irakischen Kurdistan angegriffen, einer weiteren regionalen Kraft mit engen Beziehungen zu Israel.

Heftigere Reaktion erwartet

Die genaue Art, das Ausmaß und der Zeitpunkt der iranischen Reaktion stehen noch nicht fest. Die ersten Anzeichen deuten jedoch darauf hin, dass der Angriff in Damaskus erwartungsgemäß eine heftigere Reaktion hervorrufen könnte.

Im Anschluss an die Beratungen des Nationalen Sicherheitsrats hielt Ayatollah Khamenei eine scharfe Rede. Er versprach eine deutliche Reaktion "der mutigen Iraner", was viele Analysten als Zeichen für eine direkte Antwort Irans interpretieren, die diesmal nicht von Verbündeten und Stellvertretern kommen könnte, wie es Teheran normalerweise tut. Das wiederum lässt das Risiko einer weiteren Eskalation steigen.

Diese Aussicht bringt Europa in eine prekäre Lage. Ein voll entwickelter Krieg würde die Region destabilisieren, eine Massenmigration nach Europa auslösen, mögliche Angriffe auf europäische Ziele im Nahen Osten (wie die EU-Marineoperation im Roten Meer gegen die mit dem Iran verbündeten jemenitischen Huthi-Rebellen) provozieren und Terrororganisationen wie Isis und al-Qaida neuen Auftrieb geben.

Nach dem Isis-Anschlag in Moskau am 22. März haben die Geheimdienste Frankreichs und anderer europäischer Länder bereits vor einer erhöhten terroristischen Bedrohung in Europa gewarnt.

EU muss Gaza-Problem angehen

Um diese Risiken abzumildern, sollten die EU und Großbritannien ihre diplomatischen Beziehungen zu allen Akteuren in der Region nutzen, um eine Ausweitung des Kriegs zu verhindern. Dazu gehört auch der Iran, zu dem die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Gegensatz zu den USA direkte Beziehungen unterhalten.

Tatsächlich nutzt der Hohe Vertreter für Außenpolitik der EU, Josep Borrell, seine Kontakte zum iranischen Außenminister Hossein Amir-Abdollahian, um den Iran zu drängen, seine regionalen Verbündeten wie die libanesische Hisbollah, die im Irak und in Syrien ansässigen schiitischen Milizen und die jemenitischen Huthi zu einer Deeskalation zu bewegen.

Die EU geht zu Recht davon aus, dass die politische, finanzielle und militärische Unterstützung dieser Gruppen durch den Iran die regionale Sicherheit untergräbt, aber nicht einmal Teheran hat die absolute Kontrolle über sie.

Die europäischen Bemühungen können jedoch Früchte tragen, wenn sie Teil einer umfassenderen Strategie sind, die auf einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen und die Wiederbelebung eines umfassenden politischen Prozesses abzielt, der zu einem lebensfähigen palästinensischen Staat führt, der in Sicherheit mit Israel koexistiert.

Borrell verurteilte Anschlag, viele EU-Staaten nicht

Die EU kann sich nicht glaubwürdig dagegen stellen, dass Teheran seine regionalen Verbündeten unterstützt, wenn sie selbst als unfähig oder unwillig angesehen wird, Israel in die Schranken zu weisen.

Borrell verurteilte den Angriff auf das iranische Konsulat und betonte, dass die Unverletzlichkeit der diplomatischen Einrichtungen und des Personals stets respektiert werden müsse. Die meisten EU-Mitgliedstaaten haben den Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus jedoch nicht verurteilt – im Gegensatz zu den regionalen Staaten Katar, Oman, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten, Libanon und Türkei sowie China, Russland, Indonesien, Pakistan, Malaysia und andere.

Slowenien, ein nicht ständiges Mitglied des Sicherheitsrats, tat es auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 2. April. Frankreich und Großbritannien (das, obwohl es nicht zur EU gehört, immer noch erheblichen Einfluss auf die Iran-Politik des Blocks ausübt) machten vor allem den Iran für die regionale Destabilisierung verantwortlich.

Angesichts des miserablen Zustands der Beziehungen zwischen der EU und dem Iran wäre es für die EU politisch inakzeptabel, gegenüber Tel Aviv nicht zu handeln. Die EU hat ein Druckmittel, um Israel dazu zu bewegen, im Gazastreifen einen politischen Kurs einzuschlagen und es vor einer regionalen Eskalation zu warnen.

Initiative von Spanien und Irland

Bisher hat man dieses Druckmittel nicht genutzt: Die EU ist Israels größter Handelspartner, auf den 28,8 Prozent des israelischen Handelsvolumens im Jahr 2022 entfielen.

Die gemeinsame Initiative Spaniens und Irlands zur Überprüfung eines Abkommens, das den Handel erleichtert, mit einer möglicherweise teilweisen Aussetzung aufgrund der israelischen Kriegsführung in Gaza, wurde von Israels engen EU-Verbündeten, darunter Deutschland, die Tschechische Republik, Italien und Österreich, zurückgewiesen.

Kritiker Israels wurden dadurch ermutigt, dass die Überprüfung durch den von Borrell geleiteten Europäischen Auswärtigen Dienst und nicht durch die Europäische Kommission durchgeführt wird, deren Präsidentin Ursula von der Leyen stark pro-israelische Positionen vertritt.

Dennoch ist eine Aussetzung nicht wahrscheinlich. Und bisher gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass die israelische Netanjahu-Regierung für ein weniger hartes diplomatisches Drängen der EU empfänglich ist.

Nuklearisierung von Iran könnte wieder Thema werden

Die weitere Eskalation birgt auch die Gefahr, dass der Iran näher an eine nukleare Abschreckung als ultimative Absicherung heranrückt, insbesondere wenn sein derzeitiges Netzwerk regionaler Verbündeter und seine nach vorn gerichtete Verteidigungsposition durch die israelischen Angriffe weiter dezimiert wird.

Ein solcher Wandel ist besonders plausibel, da sich ein Führungswechsel abzeichnet – Ayatollah Khamenei, der eine Fatwa (Rechtsgutachten einer religiösen Autorität) gegen den Bau von Atomwaffen erlassen hat, ist 85 Jahre alt. Die nächste Generation an Führungspersönlichkeiten der Islamischen Republik hat möglicherweise keine solchen Bedenken.

Die Nuklearisierung des Irans würde die destabilisierenden Auswirkungen des Gaza-Krieges nur noch verstärken und die jahrzehntelangen Bemühungen der Europäer, das iranische Atomprogramm unter Kontrolle zu bringen, letztlich zunichtemachen.

Unter den gegenwärtigen Umständen scheint es jedoch unwahrscheinlich, dass die EU den politischen Willen aufbringen und ihren Einfluss geltend machen wird, um das Epizentrum des sich ausweitenden Kriegs im Nahen Osten – den Gaza-Konflikt – in Angriff zu nehmen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.


Redaktionelle Anmerkung: An einer Stelle hieß es: "ein Konsulat, das sich rechtmäßig auf iranischem Boden befindet". Das ist so nicht richtig und wurde abgeändert in: "das eng mit dem Heimatland verbunden ist und diplomatischen Schutz genießt".