"Die Saat des heiligen Feigenbaums": Politischer Thriller aus dem iranischen Untergrund

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Mohammad Rasoulof drehte seinen Film heimlich im Iran – trotz Drehverbot. Er erzählt von einem Ermittlungsrichter, einem gefährlichen Spiel und der Macht des Regimes.

Der aus dem Iran stammende, seit über zehn Jahren in Hamburg ansässige Regisseur Mohammad Rasoulof ist in sein Herkunftsland Iran zurückgekehrt, wo er mit einem Drehverbot belegt ist, und hat dort heimlich und im Verborgenen einen Film gedreht.

Ebenso heimlich musste der Filmemacher im Frühjahr aus dem Iran fliehen, vor der Regierung, die mit Gefängnis, Folter und öffentlichen Peitschenhieben die Geschicke seines Landes diktiert.

Fliehen musste er, weil er von seinem Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit und auf Kunstfreiheit Gebrauch macht, einem Menschenrecht.

Film klandestin aus dem Iran geschmuggelt

Und so ist auch sein neuer Film "The Seed of the Sacred Fig", deutscher Titel: "Die Saat des heiligen Feigenbaums", klandestin aus dem Iran geschmuggelt, die Contrebande eines anderen Iran. Am letzten Tag des diesjährigen Festivals in Cannes konnte er dort im Wettbewerb gezeigt werden.

Vor diesem Hintergrund war es eine moralische und politische Selbstverständlichkeit, dass Rasoulof bei dem französischen Festival im Mai begeistert empfangen wurde. Dieser Empfang und der Applaus auf den Publikumsrängen des Grand Théâtre Lumière und die uneingeschränkte Unterstützung durch die Vertreter des europäischen Autorenkinos gelten der Person des Regisseurs.

Die rein ästhetische und kinematografische Bewertung seines Films sollte aber eine andere sein.

Das Regime: Treu und ergeben dient der Scherge

Die Handlung des Films dreht sich um Iman, einen Mann mittleren Alters, und seine Familie, seine Frau und die beiden heranwachsenden Töchter. Iman arbeitet als Ermittlungsrichter, also eine Art Staatsanwalt am Revolutionsgericht in Teheran, gelegentlich muss er foltern – mit anderen Worten: Er ist ein Scherge des Mullah-Regimes. Treu und ergeben dient er seinen Vorgesetzten.

Während sich die landesweiten politischen Proteste gegen die Regierung verschärfen, steigern sich Imans Misstrauen und persönliche Paranoia, die den Film von den ersten Bildern an affizieren. Als eines Tages seine Pistole auf mysteriöse Weise verschwindet, verdächtigt Iman seine Ehefrau Najmeh und seine Töchter Rezvan und Sana, etwas mit der Sache zu tun zu haben.

Er beginnt zu Hause drastische Maßnahmen zu verhängen, was die latenten Spannungen in der Familie verschärft. Schon bald werden soziale Normen und die normalen Regeln des Familienlebens außer Kraft gesetzt, das öffentliche Regime greift in die privatesten Verhältnisse über.

Paranoider, sadomasochistischer Familienalptraum

"The Seed of the Sacred Fig" bewegt sich damit sehr nahe an den dramaturgischen Formeln des strengen klassischen europäischen Autorenfilms, des Autorenfilms eher der 1950er-Jahre vor den Befreiungsbewegungen der Nouvelle Vague und anderer.

Der Film ist ein überzeichnetes, spekulatives Moraldrama, das sich schnell hemmungslos auf das Gebiet der Metaphern begibt. Der Film will dabei zugleich eine politische, eine kulturelle und eine psychoanalytische Metapher sein, die immer offensichtlich und nie subtil gemeint ist.

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Im Zentrum geht es um die Metapher einer parasitären Feige, die ihren Wirt tötet – diese benutzt Mohammad Rasoulof, um die Geschichte eines Beamten in der Justizverwaltung des iranischen Regimes zu erzählen, der zunächst zwischen seinen streng religiösem islamistischen Überzeugungen und den Zwängen der Regierung gefangen ist.

Diese Gefangenschaft wird zu einem paranoiden sadomasochistischen Familienalptraum, der keine der Hauptfiguren verschont.

Die Kollaboration mit dem Bösen

Während der ersten Hälfte der Geschichte scheinen wir uns in einem bestimmten filmischen Terrain zu befinden, das europäische Zuschauer aus den Filmen Claude Chabrols kennen: ein bürgerliches Sittenbild über die Unterordnung der Ethik unter den sozialen Status der Figuren.

Hier hat der Film alle Elemente, um ein guter Film zu sein. Drehbuch und Schauspielerinnen funktionieren wunderbar. So gleicht alles einem perfekt geölten Uhrwerk, das reibungslos und fehlerfrei abschnurrt wie das Räderwerk des Regimes, das der Film anklagen will.

Die Hauptfigur, der Vater, glaubt an das System. Seine Frau ist bereit, alles zu tun, um ihrem Mann zu gehorchen und ihm den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Sie wird so zur Komplizin und Kollaborateurin des Regimes, indem sie von ihren Töchtern verlangt, sich "zu benehmen", und sich der Macht des Vaters genauso zu unterwerfen wie sie selbst.

Vielleicht ist diese Figur in ihrer Kollaboration mit dem Bösen die moralisch verwerflichere. Denn der Vater glaubt wenigstens an das, was er tut, er ist überzeugt, dass, auch wenn sich die Welt ändert, Gott dies nicht tut.

Die Revolution dringt ein

Die Handlung des Films spielt im Herbst 2022, als die iranischen Frauen auf die Straße gingen und ihre Schleier abnahmen. Universitäten wurden geschlossen, Gymnasiasten provozierten ihre Lehrer und die Polizei tat nichts anderes, als hart zu unterdrücken: Strafen wurden erhöht, die Gefängnisse waren voll, aber die Revolution war da.

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In Imans Haus dringt der Hauch der Revolution ebenfalls ein, als in den ersten Teil eine Freundin der ältesten Tochter zu Besuch kommt, die auf einer Demonstration angegriffen wurde.

Bis zu diesem Punkt ist dies kein perfekter Film, aber wir sehen die Realität, die existiert und nach einer Erklärung verlangt. Und wir sehen, wie ein Filmemacher mit einem gewissen Mangel an Können versucht, ein funktionierendes Drama zu erschaffen.

Machtkritik aus der Klippschule, Psychoanalyse für Anfänger

Im weiteren Verlauf des Films entfernen sich die aufeinanderfolgenden und ziemlich kapriziösen Wendungen der Handlung aber bald von diesem Terrain. Die soziale Handlung wird metaphorisch.

Es scheint, als ob die äußere Realität in den Hintergrund gedrängt wurde und die Metapher zum perfekten Instrument geworden ist, um alles zu erzählen und alle mögliche Komplexität zu verabschieden.

Die Metapher setzt sich im Herzen der Familie fest. Und der Realismus verwandelt sich in recht aufdringlichen Symbolismus, der zugleich eine kulturelle wie eine politische Komponente hat.

Der Vater will herausfinden, welche der drei Frauen seine Waffe gestohlen hat, und dabei beginnt das Monster, den Verstand zu verlieren. Die Bedeutung dieser Metapher ist so offensichtlich, dass sie lächerlich wirkt und fast zu einer Primitiv-Einführung in die Psychoanalyse wird.

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Denn durch den Verlust der Waffe ist der Vater von einer seiner Frauen symbolisch "kastriert" worden. Diese Entmannung zerstört das Selbstbild des Vaters, weil er mit der Waffe den symbolischen Phallus verloren hat, der ihm Macht verlieh. Von da an beginnt er, um sich zu schlagen wie ein verwundetes Tier.

Die Revolution, die auf der Straße geschehen sollte, ereignet sich ersatzweise in der Familie; oder: Die Zerstörung des familiären Patriarchats wird zum Vorläufer einer umfassenderen politischen Revolution, die darin besteht, das politische Patriarchat der Ajatollahs, die den Iran regieren, zu vernichten.

Die Pistole ist das freudianische Symbol des infrage gestellten Patriarchats. Und die verlassene Stadt, in der die letzten Sequenzen des Films spielen, und die aus Höhlen und Tunneln besteht, die die Form eines in sich zerstörten Labyrinths hat, wirkt als solle sie parallel als Metapher für einen Iran fungieren, der durch den Wahnsinn, zu dem die Paranoia eines Polizeistaates führen kann, zerstört ist.

Dazwischen streut Rasoulof auch noch als explizite, vollkommen eindimensional-unmissverständliche Anprangerung der Herrschenden auch noch einige Videos der gewaltsamen polizeilichen Unterdrückung der Demonstranten bei den jüngsten Aufständen in seinem Land ein – Machtkritik aus der Klippschule.

Kein Film, der ästhetische oder politische Leidenschaft entfesseln könnte

Der ideologischen Sympathie, die dieser Film bei einer Mehrheit des Publikums erzielen wird, steht eine große dramaturgische und erzählerische Uneinheitlichkeit entgegen.

Die zweite Hälfte des Films ist voll von absurden Situationen und selbstgefälligen Zugeständnissen an die in den Vordergrund geschobene Metapher: der Feigenbaum, dessen Äste sich, wenn sie wachsen, um den eigenen Stamm wickeln, bis sie ihn fast ersticken – wie es bereits in dem Zitat heißt, dass am Anfang zu lesen ist, bevor der Film beginnt.

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Dass Rasoulof in Cannes den Hauptpreis nicht bekommen hat, war richtig. Dies ist ein Film, den man respektieren kann, aber kein Film, der ästhetische oder politische Leidenschaft entfesseln könnte. Es ist einfach ein Film, der ohne Frage über weite Strecken achtbar gemacht ist, aber er ist keineswegs perfekt. Und das ist auch nicht weiter schlimm.

Tatsächlich ist es auch ein gutes Zeichen, dass allein politische Verfolgung und Haft noch kein Argument für einen künstlerischen Preis sein können.

Am wichtigsten ist es aber, daran zu erinnern: Es gibt weitaus bessere Filme aus dem Iran. Sie sind zeitgemäßer, aktueller, sie handeln von Menschen, nicht von Bedeutungsträgern, und sie erzählen uns tatsächlich etwas von den dortigen Verhältnissen. "Critical Zone" zum Beispiel.