Wieviel Kolonialismus steckt in Robert Habecks Energiepartnerschaften?

Die deutsche Politik ignoriert mehrheitlich die globale Realität. Besonders drastisch zeigt sich dies in der Energiepolitik. Konkret in der Wasserstoffstrategie.

Mit der Sprengung der Nordstream-Pipelines endete nach mehr als 50 Jahren eine für Deutschland und Russland (bzw. ursprünglich der Sowjetunion) vorteilhafte Wirtschaftsbeziehung. Diese begann 1969 mit dem damals so benannten Erdgas-Röhren-Geschäft: Lieferung von deutscher Technologie an die Sowjetunion gegen Erdgaslieferungen.

Zustande kam dieses nur gegen heftigen Widerstand der USA, die bereits in früheren Jahrzehnten mit engen Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands zur Sowjetunion eine Konkurrenzsituation gesehen hatten. In den folgenden Jahrzehnten wurden diese Wirtschaftsbeziehungen weiter ausgebaut, wobei sich die jeweilige Bundesregierung immer wieder gegen den Widerstand der USA durchsetzen konnte. In einem Beitrag des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft "50 Jahre Erdgas-Röhren-Vertrag" hieß es:

Europa braucht bezahlbare und saubere Energie, Russland braucht Verkaufserlöse. Politisch mag man das als gegenseitige Abhängigkeit betrachten. Aber aus wirtschaftlicher Sicht ist das ganz einfach die Basis für eine verlässliche Partnerschaft. Denn jede gute Partnerschaft basiert auf gegenseitigen Interessen und Bindungen.

Diese Ära endete mit der derzeitigen Bundesregierung.

Um die günstigen Erdgaslieferungen aus Russland zu kompensieren, wurden von der Bundesregierung drastische Maßnahmen ergriffen, die auch eine koloniale Mentalität erkennen lassen. Dazu zwei Beispiele:

Erstens: Die Steinkohleimporte aus Kolumbien wurden im Jahr 2022 drastisch erhöht. Dies geschah ausgerechnet in einer Zeit, in der in Kolumbien unter Präsident Petro eine intensive Diskussion über den Ausstieg aus der Förderung fossiler Brennstoffe begonnen hat. (siehe dazu Telepolis-Beitrag von Amy Goodman vom 30.9.2023).

Dies muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass gerade von deutschen Klimaschutzaktivisten nicht nur die Steinkohleimporte aus Kolumbien als Hauptlieferant kritisiert werden, sondern auch die katastrophalen Arbeitsbedingungen, unter denen diese stattfinden.

Von Präsident Petro wurde bei einem Arbeitstreffen mit Bundeskanzler Scholz im Juni dieses Jahres in Berlin um technologische Unterstützung für die Erzeugung von "grünem" Wasserstoff in seinem Land gebeten.

Die Reaktion von Scholz war allerdings sehr verhalten und unverbindlich, da man sich in Berlin wohl auf dessen Rolle als mittelfristig noch erwünschten Kohlelieferanten festgelegt hat.

Zweitens: Im vergangenen Sommer kauften Deutschland und die EU massiv teures Flüssiggas auf dem Weltmarkt auf, was in den Ländern des Südens zu gravierenden Versorgungsengpässen führte. Besonders betroffen war Pakistan, das bis dahin Flüssiggas vor allem aus Katar bezog und für ein Viertel seiner Kraftwerkskapazitäten darauf angewiesen war.

Zwar gab es vertragliche Verpflichtungen z.B. durch den italienischen Eni-Konzern zur Belieferung Pakistans, jedoch war der offene Vertragsbruch trotz zu zahlender Vertragsstrafe deutlich lukrativer.

Aktuell hat sich die Versorgungslage für Pakistan dadurch entspannt, dass es seit September Flüssiggas aus Russland bezieht, das über den Iran transportiert wird. Zuvor hatten Russland und Pakistan vereinbart, ein früher geplantes zentralasiatisches Pipelineprojekt für Erdgas zu reaktivieren, um die Versorgung Pakistans zu sichern.

Energiepartnerschaften nach problematischen Kriterien

Deutschland war in den Nullerjahren weltweiter Vorreiter bei der Einführung erneuerbarer Energien. Diese sehr positive Entwicklung wurde durch die erfolgreiche Lobbyarbeit der großen Energiekonzerne abgewürgt, nachdem der unerwartete Erfolg der dezentralen und konzernunabhängigen Stromerzeugung ihr Monopol bedroht hatte.

Daraus entwickelte sich zunächst das Desertec-Konzept. Es sah vor, in Nordafrika große solarthermische Kraftwerke zur Stromerzeugung zu bauen und über Stromtrassen nach Europa zu leiten. Als Standort wurde Marokko favorisiert.

Das bis heute autoritär regierte Königreich galt schon damals als politisch stabil, eine Grundvoraussetzung für eine solche Partnerschaft.

Das von Anfang an als neokolonial kritisierte aber über mehrere Jahre verfolgte Desertec-Projekt ist aus mehreren Gründen gescheitert.

Zum einen war es die inzwischen eingetretene Verbilligung von Strom aus erneuerbaren Energien aus heimischer Produktion, zum anderen die unterschiedlichen Interessen des dahinter stehenden Industriekonsortiums.

Da aber parallel der Ausbau der erneuerbaren Energien in den 10er Jahren im Sinne der Energiekonzerne erfolgreich ausgebremst wurde, musste eine neue Technologie entwickelt werden. Daraus entstand schließlich die deutsche Wasserstoffstrategie, die auf Konzepten zur überwiegenden Bedarfsdeckung mit grünem Wasserstoff durch Importe vor allem aus Afrika basiert.

Vom Autor dieser Zeilen wurde dieses bereits in einem zweiteiligen Telepolis-Beitrag vor mehr als zwei Jahren dargestellt (Deutsche Energiewendungen: Vom EEG über Desertec zur Wasserstoffstrategie und Energie-Partnerschaften und Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030).

Waren es damals noch "Energiepartner" aus Nord- und Westafrika, so haben sich die Präferenzen inzwischen verschoben. Die Gründe dafür, dass das bereits für Desertec ausgewählte Marokko durch politische Querelen ins Hintertreffen geraten ist, die sich 2021 an der Haltung von Deutschland und anderen EU-Staaten zum Konflikt um das widerrechtlich besetzte Westsahara entzündet haben.

Zwischenzeitlich erfolgte zwar ein Einschwenken auf die Position Marokko und nach einem Besuch von Außenministerin Baerbock im August 2022 gab es auch eine Grundsatzvereinbarung zur Produktion von grünem Wasserstoff, jedoch verläuft die Zusammenarbeit nach wie vor schleppend.

Die Realisierung von Großprojekten zur aufwendigen Umwandlung des erzeugten Stroms in Wasserstoff oder andere Umwandlungsprodukte erfordert zudem einen immensen Wasserverbrauch in Regionen, in denen die Wasserversorgung meist ohnehin prekär ist.

Marokko gehört zu den wasserärmsten und vom Klimawandel stark betroffenen Ländern. In den letzten Jahren stieg die Wassernachfrage vor allem in der Landwirtschaft erheblich – Folge ist eine anhaltende Übernutzung der Grundwasserressourcen.

Deutsche Entwicklungsbank in Marokko

Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt, verwies bereits vor zwei Jahren in einem Beitrag darauf hin, dass mit dem Wasserstoff-Hype "unser Wohlstand" mit neokolonialer Industriepolitik gegenüber den Ländern des Globalen Südens verteidigt werde, weshalb die Energiewende in Deutschland aus eigener Kraft geschafft werden müsse, wozu auch eine deutliche Reduzierung des Energieverbrauchs gehöre.

Koloniale Traditionspflege in Namibia

Als neuen Standort für die angestrebte Wasserstoffproduktion wird seit Ende 2022 Namibia favorisiert, was durch einen Arbeitsbesuch von Wirtschaftsminister Habeck unterstrichen wurde. Durch die (energieaufwendige) Umwandlung in Ammoniak soll der produzierte Wasserstoff per Schiff nach Deutschland transportiert werden.

Wenn sich Europa nur auf die eigenen wirtschaftlichen und ökologischen Interessen fokussiert, ist fraglich, ob grüner Wasserstoff tatsächlich auch zum Motor der sozial-ökologischen Transformation in Namibia wird. Falls der Profit aus dem Wasserstoffsektor an Joint Ventures ins Ausland abfließt und nur diejenigen Namibier profitieren, die im Wasserstoffsektor unternehmerisch aktiv sind und meist wohlhabenderen Schichten angehören, besteht das Risiko, dass grüner Wasserstoff eher zur Steigerung des ohnehin stark ungleich verteilten Reichtums anstatt zum Abbau der sozialen Ungleichheit beträgt.

Patrick Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Namibia

Die hier formulierten Kritikpunkte gelten sicherlich nicht nur für Namibia. Hinzu kommt natürlich auch in Namibia das Problem der prekären Wasserversorgung. Ein besonderes Thema ist hier aber die koloniale Vergangenheit Deutschlands. So hieß es dazu in einem Bericht über den oben erwähnten Arbeitsbesuch Habecks in Namibia auf Tagesschau.de:

In den Jahren 1904 bis 1908 töteten deutsche Truppen des Kaiserreichs Zehntausende Herero und Nama – ein Völkermord. Im Mai 2021 hatte die Bundesregierungen nach jahrelangen Verhandlungen mitgeteilt, dass sich Deutschland und Namibia auf ein Abkommen zur Aussöhnung verständigt haben. Das sogenannte Versöhnungsabkommen sorgt in Namibia seither allerdings für Streit. Angehörige der Opfer kritisieren, dass sie nicht in die Verhandlungen eingebunden waren. Bis heute hat das namibische Parlament dem Abkommen nicht zugestimmt.

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