WikiLeaks-Leck

Eine bislang versteckte Datei mit rund 250.000 US-Cables ist durch eigenartige Manöver zugänglich gemacht worden. Nun fürchtet man um die Sicherheit von Informanten

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Durch ein Leck sind weitere rund 250.000 US-Diplomaten-Depeschen aus dem WikiLeaks-Datenreservoir im Internet zugänglich. Diese Depeschen sind jedoch, anders als bei der Veröffentlichung der geleakten Diplomaten-Berichte zuvor, von keiner Redaktion bearbeitet worden. So geht die Befürchtung um, dass mit der aktuellen Veröffentlichung auch Namen von Informanten enthüllt werden. Die Hintergründe zu dem Datengau zeigen eine fatale Dynamik der Ereignisse. Heikel ist das Leck jedoch auch, weil er den Ruf der Enthüllungsplattformen, die vielfach als neues Element der öffentlichen Aufklärung gefeiert wurden, beschädigt. Es geht um Datenschutz und Vertrauen.

Die Hintergrundgeschichte zum heiklen Leak - prägnant und übersichtlich zusammengefasst heute bei Netzpolitik - wirft kein gutes Licht auf die Gefährdungen, die Daten ausgesetzt sein können, die an Enthüllungsplattformen weitergegeben werden, so der Eindruck, der vermittelt wird. Da die Geschichte zur Enthüllung international kursiert, weil auch der Guardian involviert ist, kann man davon ausgehen, dass sie Wirkung zeigt. Vorstellbar ist zum einen, dass mögliche Informanten, die über interessantes Quellenmaterial verfügen, davor zurückscheuen, sie weiterzugeben. Weil der Datenschutz, was ihre Person anbelangt, nicht ausreichend gewährleistet ist und zum Spielball persönlicher Rivalitäten und Händel werden kann.

Vorstellbar ist auch, dass die Arbeit von Enthüllungsplattformen in der Folge mit einem diffusen Misstrauen in der Öffentlichkeit zu rechnen hat. Zwar bleibt die Authentizität der Dokumente von den internen Auseinandersetzungen, die augenscheinlich das neue Leak befördert haben, unberührt, aber das Vertrauen in die Authentizität veröffentlichter Geheimdokumente ist nicht völlig unabhängig von der Quelle, die sie veröffentlichen.

Fälschungen von WikiLeaks-Cables, wie sie etwa in pakistanischen Medien veröffentlicht wurden, deuten auf Möglichkeiten "kreativer Nutzungen" von Enthüllungen hin. Wenn Fälschungen kursieren und dazu der Ruf von Enthüllungsplattformen beschädigt ist, wird es leichter für Regierungen und betroffene Organisationen mit mangelnder Glaubwürdigkeit zu argumentieren.

Doch sind dies mögliche mittelbare Wirkungen, die noch schwerer abzuschätzen sind als die direkten Folgen des neuen Lecks. Dass die veröffentlichten Diplomaten-Kabel die Sicherheit nicht nur des Staates, wie die USA argumentieren, sondern auch von konkreten einzelnen Personen gefährden, ist als strittiges Thema mit den ersten WikiLeaks-Veröffentlichungen aufgetaucht. Das Datenschutz-Argument war die Hauptbegründung dafür, weshalb Assange, der für umfassende Transparenz eintritt, sich an etablierte Medienhäuser hielt. Die Redaktionen des Guardian, der New York Times, des Spiegel, der Le Monde und von El Pais, sollten darauf achten, dass bei den Veröffentlichungen keine Namen auftauchen, die durch die Leaks persönlich gefährdet wären.

Bei den jetzt zugänglichen 250.000 fällt diese Bearbeitung weg. Wie riskant das für Personen ist, deren Gespräche, Informationen, riskante Meinungen über politische Verhältnisse und Beziehungen einem konkreten Namen zugeordnet werden können, ist ungewiss. Das Spektrum ist groß, wie eben auch die Inhalte der Depeschen von Partygeschichten bis zu brisanteren Enthüllungen reichen.

Israelische Experten schätzen das Risiko für die Sicherheit des Staates und der Agenten nicht allzuhoch ein. Die Enthüllungen seien möglicherweise peinlich, aber kein "Big deal" wird ein früherer Mossad-Chef zitiert. Geheimdienstmitarbeiter seien durch die Leaks weitestgehend außer Gefahr, peinlich dürfte es eher für die werden, die mit amerikanischen Dipolmaten beim Lunch Dinge ausgeplaudert haben, die sie lieber nicht mit ihrem Namen verbunden in der Öffentlichkeit lesen wollen, heißt es von anderen Quellen aus dem Geheimdienstmilieu:

The documents may include quotes by people who didn’t mean to have their names in the media. They may include embarrassing details of a personal nature or of a political nature, and the sources are likely to be from a wide spectrum of people who come in contact with American embassies. The mentioning of a specific name may pose a problem for that individual, but it doesn’t necessarily mean they were intelligence sources.

Doch weiß man, wie schnell in bestimmten Ländern der Spionagevorwurf erhoben wird - auch und oftmals eben nicht bei professionellen Agenten, die einen anderen Schutz genießen. Wie "Der Freitag" berichtet gibt es durchaus Fälle, wo in den Depeschen genannte Personen sich nun ernsthafte Sorgen machen müssen.

Die Datei mit dem Namen "cables.csv" ist 1,73 Gigabyte groß und enthält schon veröffentlichte Botschaftsdepeschen sowie zahlreiche unveröffentlichte Berichte, unter anderem über Gespräche von US-Botschaftsmitarbeitern mit namentlich oder anderweitig identifizierbaren "Informanten" sowie "mutmaßlichen Geheimdienstmitarbeitern", etwa aus Israel, Jordanien, dem Iran und Afghanistan. Ein genau beschriebener iranischer Informant wird beispielsweise mit den Worten zitiert, die Menschen im Iran versuchten stets, "den Anschein zu erwecken, dass sie diesen blöden, verrückten Mullahs folgen".

In einem Bericht von heute weist die Zeitung auf Depeschen in der neuen jetzt durch die Veröffentlichung des Passworts zugänglich gemachten, früher versteckten Datei hin, "in der ein namentlich genannter Informant über iranische Tarnfirmen spricht, die vermeintlich mit Waffen handeln":

Oder die Depesche 10KHARTOUM133 vom 28. Februar 2010, die Wortprotokolle mit Namen und Telefonnummer eines Tippgebers enthält, der die Botschaft vor einem vermeintlich drohenden Anschlag warnte.

Ein Ausschnitt nur, aber angesichts dessen, das vor allem Geheimdienste das Personal und die Zeit dafür haben, die Masse an Dokumenten genau zu studieren, dürfte die weltweit kursierende Nachricht vom Leak bei WikiLeaks manchem größere Angst bereiten. Nicht immer geht die Entdeckung mit solchen vergleichsweise glimpflichen Konsequenzen vonstatten wie bei dem früheren FDP-Büroleiter Metzner (Ein Maulwurf macht die Fliege).