Wikipedia berät über Distanzierung von Fotolizenz-Abzockern

Grafik: TP

Urheberrechtsmissbrauch bringt Creative Commons in Verruf

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Bis zum 26. Februar haben Wikipedianer Gelegenheit, sich zur fragwürdigen Praxis unseriöser Fotografen zu positionieren, welche die Popularität der Wikipedia und eine vermeintliche Rechtslücke bei Creative Commons-Lizenzen für ein fragwürdiges Abzock- und Abmahnmodell einsetzen.

Vor gut sieben Jahren begannen selbsternannte Fotografen mit dem Eintreiben angeblich geschuldeter Lizenzgebühren für Fotos, die sie in der reichweitenstarken Wikipedia eigentlich zur kostenfreien Nutzung verbreitet hatten. So vertrauten viele Wikipedianutzer naiv auf den Grundgedanken der "freien Enzyklopädie", dass deren Inhalte "frei" seien und benutzten dort gefundene Bilder auf ihren eigenen Websites. Sie sahen sich in dieser Annahme auch dadurch bestätigt, dass in den Artikeln an den Bildern selbst keine Urheberbezeichnungen oder Vermerke angegeben werden.

Lizenzdschungel

Tatsächlich jedoch sind die in der Wikipedia verwendeten Lizenzmodelle sehr unterschiedlich: So kann ein Urheber im Extremfall auf sämtliche Rechte verzichten, etwa mit der Lizenz CC0 - muss es aber nicht. Stattdessen kann er etwa auch verlangen, dass Dritten die Nutzung nur bei Namensnennung gestattet ist und dabei auch die Lizenz genannt werden muss (damit weitere "Dritte" ebenfalls wissen, dass und wie sie das Werk nutzen dürfen). Man kann auch wählen, ob man sich bei Verwendung für kommerzielle Zwecke Rechte vorbehält, oder ob man eine entsprechende Nutzung ausdrücklich für alle Zwecke freigibt (CC-BY-SA-3.0).

Unter welcher Lizenz ein Lichtbild tatsächlich genutzt werden darf, ist jedoch nicht intuitiv zu erkennen. Die jeweiligen Rechte und Pflichten erfährt ein Wikipedia-Nutzer nur, wenn er auf das Bild klickt und damit die Metadatei aufruft, wo die Hinweise versteckt sind. Dass diese Lizenzbedingungen zudem für viele miss- oder gar unverständlich sind, steht dann nochmal auf einem anderen Blatt.

Widersprüchliche Urheber

Wer also seine Werke unter eine CC-BY-SA-3.0 verbreitet und damit insbesondere auch kommerzielle Auswertung kostenfrei zulässt, bringt damit eigentlich zum Ausdruck, dass er seine Urheberrechte auf Durchsetzung der Lizenzbedingungen (Namens- und Lizenznennung, andernfalls Unterlassung) und Integrität beschränkt. Eben gerade nicht gibt ein Urheber damit zu erkennen, dass er mit diesen Bildern irgendwie Geld verdienen möchte, denn professionelle Fotografen würden sich jedenfalls die kommerzielle Auswertung vorbehalten - andernfalls wären sie nicht professionell.

Berufsfotografen, die sich von Creative Commons einen Werbeeffekt versprechen, würden auch nicht das Internet mit ihren Werken fluten, ohne dass bei jeder veranlassten Nutzung auch tatsächlich der Name genannt wird. Und das unterbleibt nun einmal in Wikipedia-Artikeln, deren Illustrationen von Google besonders intensiv aufgespießt werden.

Abzocker

Dennoch versendet eine Handvoll solch vermeintlich freigiebiger Wikipedia-Fotografen "Rechnungen" bzw. Forderungsschreiben und -E-Mails an Nutzer, die den Fotografennamen oder die Lizenzbedingungen nicht in gewünschter Weise angeben. In diesen Schreiben behaupten die Wikipedia-Fotografen angeblich juristisch durchsetzbare Schadensersatzforderungen. Dabei präsentieren sich solche Herrschaften durchweg als scheinbar professionelle Fotografen, verweisen zur Berechnung ihrer vermeintlichen Ansprüche auf die (nur für professionelle Fotografen anerkannten) Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing e.V. und drohen mit weiteren Kosten durch Anwälte. Und weil sie natürlich keine Unmenschen sind, offerieren Sie für den Fall sofortiger Zahlung "großzügig" Nachlässe. Schnäppchen!

Diese vorgeblich "professionellen Fotografen" sind jedoch in den seltensten Fällen wirklich Berufsfotografen und verdienen insbesondere mit ihren unter Creative-Commons-Lizenzen verbreiteten Fotos nicht auf konventionelle Weise Geld. Die meisten dieser Fotografen haben in diesem Meisterberuf keine Lehre absolviert und besitzen gerade einmal eine Kamera, mit der sie im Wesentlichen draußen auf alles draufhalten. Ursprünglich konnte man den Amateurstatus trotz pompöser Homepages leicht erkennen, weil diese Wikipedianer keine Umsatzsteuer berechneten, ihr Gewerbe nicht bei der IHK gemeldet hatten oder nicht einmal eine Telefon- oder Fax-Nummer auf ihren Websites und Briefköpfen preisgaben. Seitdem sie hierzu 2014 vor Gericht befragt wurden, stimmt bei den meisten inzwischen wenigstens die Inszenierung.

Keinem dieser angeblich professionellen Wikipedia-Fotografen ist bisher vor Gericht ein überzeugender Beweis gelungen, dass sie außerhalb dieses Abzockmodells mit ihrer unter Creative Commons gestellten Kunst nennenswert Geld verdient hätten. Ein langjährig bekannter Lizenznachforderer war oder ist in Wirklichkeit im Hauptberuf Beamter bei der Stadt Büdingen. Ein besonders forscher Lizenzeinforderer, Herr Dirk Vorderstraße, ist im Hauptberuf bei der Bundesagentur für Arbeit in Hamm beschäftigt.

Auch der wohl teuerste Anbieter dieses Abzockmodells, Herr Thomas "TW-Photomedia" Wolf, hat ausweislich seiner mageren Beweisangebote im konventionellen Absatzwettbewerb offenbar kein so richtiges Glück. Wolf hat inzwischen seiner laufenden Vorgangsnummer zufolge ca. 1.200 seiner oft vierstelligen Forderungsschreiben verschickt (inzwischen ca. 500 pro Jahr). So konfrontierte Wolf letztes Jahr eine allein erziehende Hartz4-Empfängerin mit angeblichen Schulden von 7.500,- €, die bei zwei Fotos die Angaben schuldig geblieben war. Eine Firma soll ihm für drei genutzte Bilder 8.827,50 € schulden.

Rechtsunsicherheit

Das Geschäft der Wikipedia-Foto-Abzocker lief jahrelang unbeschwert, da die Forderungen Rechtslaien plausibel erschienen. Wer sich von den bemerkenswert arroganten Schreiben nicht einschüchtern ließ, bekam schon einmal teure anwaltliche Abmahnungen und Unterlassungsklagen, denen dann offenbar außergerichtliche Einigungen über den angeblichen Lizenzschaden folgten.

Doch die Herren Vorderstraße und Wolf kriegten den Hals nicht voll und wollten ihre vermeintlichen Ansprüche sogar vor Gericht durchsetzen. Die Richter waren sich allerdings schnell einig, dass Werke, die ein Urheber grundsätzlich unter einer kostenfreien Creative Commons-Lizenz freigibt, wohl dramatisch geringere Preise realisieren als solche, die nur professionell lizenziert werden, zumal den Klägern der insoweit erforderliche Status als professioneller Fotograf fehlte. Und so konnten die Wikipedia-CC-Knipser 2014 und 2015 an den Amtsgerichten Bochum und München nur einen Bruchteil der aufgerufenen Beträge erwirtschaften, etwa 15% - wohl 15% zu viel, wie sich zeigen sollte.

Vorderstraße endete in Berlin

Auch die Berliner Gerichte erhielten 2014 Gelegenheit, dieses fragwürdigen Geschäftsmodell zu kommentieren, als ein Wikipedia-Fotograf vergeblich versuchte, einem Blogger die Beschimpfung als "Abzocker" verbieten zu lassen. Die Richter waren jedoch der Ansicht, dass man die Drohung mit Anwaltskosten "getrost als Abzocken" bezeichnen dürfe. Sie bezeichneten die Urheberrechtsverletzung als "unbedeutend" und "Bagatelle" und "nicht selten vom Berechtigten herausgefordert", das Geschäftsmodell erscheine "hinterhältig". Das urheberrechtliche Interesse des Urhebers an der Benennung seines Namens bei weiterer Verwendung seines Fotos werde "aus Sicht der Internetnutzer nicht sehr gewichtig sein, wenn schon bei der eigenen Veröffentlichung des Fotos durch den Fotografen oder den Berechtigten eine derartige Namensangabe fehlt". Die Forderungen seien als "stark überhöht zu bewerten".

Das Berliner Kammergericht äußerte auch Zweifel an einer "Berechtigung der Drohung mit den hohen Kosten [...] zusätzliche[r] anwaltliche[r] Abmahnungen" und verwies auf die BGH-Entscheidung zur missbräuchlichen Mehrfachabmahnung. Das Verhalten des Abzockers sei als "systematisch" zu würdigen und lasse den Schluss zu, er wolle "sorglosen Internetnutzern eine Kostenfalle stellen". Bei kostenlosen Inhalten insbesondere in der Wikipedia, wo Inhalte grundsätzlich übernommen werden dürften, werde die Aufmerksamkeit der Internetnutzer häufig gering sein. Die Lizenzforderung sei daher "im Hinblick auf die fehlende Urheberbenennung im Wikipedia-Artikel überraschend und widersprüchlich".

Insgesamt könne das Verhalten des Abzockers dahin gewertet werden, "dass es ihm - angesichts des Inhalts seiner Forderungsschreiben - weniger oder gar nicht um eine Durchsetzung der Urheberbenennung (und der Lizenzangabe) geht (derartiges wird in den Forderungsschreiben für die Zukunft gar nicht gefordert), als vielmehr um die Durchsetzung einer Zahlungsforderung aus Anlass einer eher geringfügigen Urheberrechtsverletzung geht" (Beschlüsse Landgericht Berlin, 27 O 452/14, Kammergericht 5 W 356/14).

Wolfsjagd

Eines Tages legte sich Herr Wolf mit einer Kölnerin an, die sich gerade auf dem Jacobsweg befand, als ihr die Tochter am Telefon verstört von einer Forderung über knapp 5.310,38 € für die Nutzung eines unter CC-BY-SA-3.0 gestellten Bildchens berichtete. Die resolute Kölnerin brach die Pilgerreise ab und strengte gegen Wolf eine negative Feststellungsklage an, in der rechtskräftig festgestellt wurde, dass Wolf jedenfalls nicht mehr als 100,- € hätte verlangen dürfen - also nicht einmal 2%. Als die Tochter vor Gericht Herrn Wolf anfauchte, flüchtete dieser panisch aus dem Saal - zum Amüsement der Zuschauer, unter denen sich weitere Forderungsempfänger befanden.

Andere wehrten sich ebenfalls. Derzeit kann Herr Wolf an Amts- und Landgericht Köln gerade einmal auf 50,- € Lizenzschaden pro Bild plus 100%-Aufschlag hoffen. Konsequenter sieht es jedoch seit letztem Jahr das Oberlandesgericht Köln: Wer seine Bilder kostenlos lizenziert, definiert damit deren wirtschaftlichen Wert bei 0,- €. "Der Kläger hat sein Lichtbild sowohl für kommerzielle als auch nicht-kommerzielle Nutzungen, d.h. insgesamt kostenlos zur Verfügung gestellt, so dass nicht ersichtlich ist, welchen wirtschaftlichen Sinn eine weitere entgeltliche Lizenzierung daneben haben könnte." Dann aber kann Herr Wolf auch keinen höheren Schaden als 0,- € begründen. Tatsächlich ist wohl noch nie an einem unter CC BY-SA 3.0 lizenzierten Foto jemals auf konventionelle Weise Geld verdient worden, denn niemand gibt für etwas Geld aus, das er umsonst haben kann. Auch das Amtsgericht Frankfurt schickte letztes Jahr einen Wikipedia-Fotografen mit einem Lizenzanspruch von 0,- € nach Hause.

Trotz durchgehender Niederlagen vor Gericht machen die geschäftstüchtigen Wikipedia-Fotografen einfach weiter. Da inzwischen anderen Abzockopfern ebenfalls der Kragen geplatzt ist, sind gegen Wolf etliche negative Feststellungsklagen anhängig. Veranschlagt man für jede der über 1.200 Rechnungen bzw. Forderungsschreiben einen Ertrag von 500,- €, hätte der noch relativ junge Herr Wolf allerdings bereits über eine halbe Million Euro erwirtschaftet und zahlt die Prozesskosten wohl aus der Portokasse. Eng könnte es allerdings werden, wenn frühere Abzockopfer ihre Lizenzzahlungen zurückverlangen …

Wikipedia Meinungsbild

Eigentlich hätte man bei einem idealistischen Projekt erwarten können, dass die altruistische Wikipedia-Community solch parasitäre Geschäftemacher längst vor die Tür komplimentiert hätte, denn dieser Missbrauch von vermeintlichem Urheberrecht bringt sowohl Creative Commons als auch die Wikipedia in Verruf. Doch die viel beschworenen Selbstreinigungskräfte der Wikipedia ließen auch die Fotolizenzabzocker bislang ungeschoren.

Nun wurde vorgeschlagen, die Werke solcher Fotografen aus der Wikipedia zu entfernen, die kostenpflichtig abmahnen lassen, ohne zuvor dem Urheberrechtsverbrecher Gelegenheit zur Korrektur zu geben. Der Vorschlag hat allerdings grobe handwerkliche Fehler, denn er verkennt, dass die anwaltliche Abmahnung oder Klage auf Unterlassung in diesen Fällen die absolute Ausnahme ist. Die faktisch wie eine Abmahnung wirkenden Schreiben stammen nämlich ganz überwiegend von den Fotografen selbst und sind nicht auf Unterlassung, sondern auf Ausgleich der Lizenzgebühr gerichtet. Und das wäre der eigentliche Grund, warum man solch parasitären Trittbrettfahrern auf die Finger klopfen sollte, und zwar kräftig.

Beim aktuellen Wikipedia-Meinungsbild steht ein längst überfälliges Hausverbot auf der Kippe. Dessen schwache Erfolgsaussichten dürften aber auch mit dem Interessenkonflikt zusammenhängen, dass etliche der etablierten Wikipedianer längst ihre Machtposition selbst versilbert haben. So bieten manche Wikipedianer ganz offen die Manipulation von Artikeln gegen Bares an, keine PR-Agentur kann es sich heute noch leisten, auf diskrete Kontakte in die Wikipedia-Community zu verzichten. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Daher wird die Abzocke wohl absehbar weitergehen. Wer entsprechende Forderungsschreiben erhält, sollte zur Vermeidung von Anwaltskosten etc. eine selbst veranlasste Unterlassungsverpflichtungserklärung abgeben, aber jegliche Zahlung und weitere Kommunikation verweigern. Lizenzklagen dieser Wikipedia-Fotografen sind selten und gehen nach hinten los.

Disclosure: Der Autor war in seiner Eigenschaft als Fachanwalt für Urheberrecht mit den meisten im Beitrag genannten Fällen befasst.

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