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Warum ein syrischer Journalist von einem syrischen Präsidentenbruder für seine Aussagen auf der Internetsite des arabischen Newssenders al-Dschasira ausgerechnet in Frankreich verklagt wurde....

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Hat sich die Hyperaktivität der französischen Richter und Tribunale (Hyperaktive Pariser Richter) in Belangen des Internetrechts mittlerweile auch bis nach Syrien herumgesprochen? So hat das Urteil des Pariser "Tribunal de Grande Instance", die Zitierung des Ex-Yahoo-Chefs, Timothy Koogle, wegen "Rechtfertigung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor ein französisches Gericht ermöglicht. Ob der auch wirklich kommt, wird sich am 7. Mai herausstellen. Jetzt hat sich die Staatsanwaltschaft von Paris überdies für eine eigentlich rein syrische Angelegenheit, wie man meinen möchte, für zuständig erklärt und die Verleumdungsklage des syrischen Präsidentenbruders Rifaat El Assad gegen den syrischen Journalisten Nizar Nayyouf an die Gerichte weitergeleitet.

"Und wann werden die Abrechnungen zwischen Australiern für Aussagen auf einer amerikanischen Site vor den französischen Gerichten ausgetragen?", fragt ironisch das Online-Magazin Transfert.net, das diese seltsame Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht hat.

Gegenstand der Verleumdungsklage ist eine Aussage, die der preisgekrönte Journalist Nizar Nayyouf angeblich einem redaktionellen Mitarbeiter der Internetsite des TV-Senders al-Dschasira mitgeteilt hat und die online veröffentlicht wurde. Darin soll dieser den Bruder des verstorbenen syrischen Präsidenten, Hafez El Assad, mit dem Massaker von Regimegegnern in einem syrischen Gefängnis zu Beginn der 80er Jahre in Zusammenhang gebracht haben.

Da die gesamte Site in arabischer Schrift verfasst ist und daher den meisten westlichen Lesern unverständlich bleiben dürfte, stellt sich die Frage, was das Ganze mit Frankreich zu tun haben soll. Die Staatsanwaltschaft von Paris hat sich trotzdem für zuständig erklärt, weil die al-Dschasira-Site von französischem Boden aus zugänglich sei und somit eine auf dem Netz begangene Gesetzesübertretung auch eine Gesetzesübertretung in Frankreich sei. Mit solcherlei Argumentationslinien werden die Gerichte der Grande Nation in Zukunft alle Hände voll zu tun haben ...

Was freilich auch eine Rolle in der Entscheidung des Gerichts gespielt haben dürfte, ist die Tatsache, dass der unglückselige Journalist zum Zeitpunkt der Klage in einem französischen Krankenhaus weilte und der klagende Präsidentenbruder Rifaat El Assad stolzer Besitzer eines Zweitwohnsitzes auf französischem Territorium ist. Die Sache wurde an ein Tribunal weiterverwiesen, das am 26. März endgültig darüber entscheiden wird, ob der Verleumdungsklage statt gegeben wird oder nicht.

Syrien: ein "konsequenter Gegner der Pressefreiheit"

Frankreichs reichlich verquere rechtliche Auffassung des Internet müsste eigentlich mehr zum Lachen anregen, wenn die Geschichte des syrischen Journalisten Nizar Nayyouf nicht so traurig wäre: Nayyouf wurde während seiner neunjährigen Inhaftierung in Syrien von der UNESCO mit dem Preis der Pressefreiheit ausgezeichnet. Der Mann hatte es gewagt, gegen die Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat anzuschreiben, was ihm Isolationshaft eingebracht hatte. Im Mai 2001 wurde er auch auf Druck der Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" (RSF endlich auf freien Fuß gesetzt.

Laut RSF erfährt nun die in Syrien verbliebene Familie Nayyoufs den geballten Druck der Obrigkeit: zwei seiner Brüder verloren in den letzten Monaten ihre Arbeit. Wahrscheinlich, weil sie sich geweigert hatten, die "im Ausland verbreiteten Lügen ihres Bruders" zu dementieren. Die Grundstücke der Familie wurden beschlagnahmt und das Telefon gesperrt. Seit 5. Dezember befindet sich die gesamte Familie im Hungerstreik, um gegen die angedrohte Ausweisung zu protestieren, falls man nicht gewillt sei, die anti-syrischen Aussagen des Journalisten öffentlich zu verurteilen. Nizar Nayyouf ist aus Solidarität mit seiner Familie ebenfalls in den Hungerstreik getreten, was seinen Aufenthalt im Pariser Krankenhaus erklärt. Im September 2001 wurde erneut ein Haftbefehl wegen seiner im Ausland getätigten Kritik am syrischen Regime erlassen.

RSF hat den amtierenden syrischen Präsidenten Bachar El Assad, Sohn des verstorbenen Hafez El Assad, in ihre Liste der 39 weltweit größten Feinde der Pressefreiheit aufgenommen.

Dass diese gnadenlose Verfolgung von Verteidigern der Menschenrechte ausgerechnet im Land der "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" eine Fortsetzung vor Gericht finden könnte, ist für die französische Anwältin Nayyoufs aber auch ein Anlass zur Hoffnung. Falls es tatsächlich zu einem Prozess kommen sollte, so könnte dies auch eine willkommene Gelegenheit sein, "den während der 80er Jahre in Syrien begangenen Machtmissbrauch öffentlich zu diskutieren". Nizar Nayyouf hat derweilen angekündigt, dass er in Belgien gerichtliche Schritte gegen die syrische Regierung in die Wege leiten werde: "Insbesondere, was das Massaker von Hama im Jahre 1982 anbelangt, bei dem mehr als 25 000 Menschen getötet wurden. Es ist das gesamte syrische Regime, das Rechnung ablegen muss", wie er in einem Interview erklärt.

Für Nayyouf hängt der Umstand, dass nicht al-Dschasira mit der Verleumdungsklage des Präsidentenbruders konfrontiert wurde, damit zusammen, dass der arabische Newssender "ein sehr mächtiges Medium geworden ist. Vor allem in den letzten Monaten. Und das hätte für ihn nach hinten losgehen können."