Willkommen in Deutschlands schöner neuer Wasserstoffwelt

Seite 2: Neom in Saudi-Arabien: Der blutige Run auf Wasserstoff

Deutschlands größter Energielobbyverband BDEW, dessen Mitgliedsunternehmen für 90 Prozent des fossilen Gasabsatzes in Deutschland verantwortlich sind und die auf Wasserstoff setzen, um im Geschäft zu bleiben, hat 51 Lobbyisten und ein Lobbybudget von 7,1 Millionen Euro im Jahr 2021.

Eine solche Lobbymacht ermöglicht es der Wasserstoffindustrie, komplexe Regulierungsprozesse zu beeinflussen und sich Lobbytreffen mit wichtigen Entscheidungsträgern zu sichern.

Deutsche Regierungen, einschließlich der Ampel, haben sich zugleich immer wieder mit Vertretern der Gas-Lobby zusammengesetzt. So trafen sich von Dezember 2021 bis September 2022 hochrangige Regierungsbeamte durchschnittlich einmal pro Tag mit Gaslobbyisten wie die von RWE, Equinor, Wintershall Dea, Siemens Energy oder MAN Energy Solution (eine Tochtergesellschaft von Volkswagen, die Elektrolyseure und Motoren für Autos und Schiffe herstellt, die mit Wasserstoff betrieben werden sollen).

Auch haben die Lobbys an öffentlichen Finanzierungsprogrammen wie dem H2Global-Plan mitgearbeitet. Mit ihm stellt die deutsche Regierung vier Milliarden Euro an Förderung für Wasserstoffimporte nach Deutschland bereit. Gleichzeitig ist das Beratungsgremium der deutschen Regierung bezüglich Wasserstoff von Unternehmenslobbys dominiert.

Von den 25 Experten stammen 15 aus der Wirtschaft: darunter Unternehmen wie Linde, Open Grid Europa, Daimler Truck oder der Chemieproduzent Covestro. Einer ihrer größten Erfolge war es, dass nun auch "blauer Wasserstoff" genutzt und öffentlich subventioniert werden soll. Dementsprechende Projekte wie mit Norwegen oder den Vereinigten Arabischen Emiraten sind bereits geplant.

Bei blauem Wasserstoff wird Erdgas eingesetzt, wobei das dabei entstehende CO2 unter die Erde verpresst (Carbon Capture and Storage-Technik, CCS) werden soll. Diese Technik ist nicht vollständig emissionsfrei und wird kritisch gesehen, da CCS bisher nicht erprobt und sehr risikoreich ist sowie keine gesellschaftliche Akzeptanz besitzt.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass viele Wasserstoff-Projekte im Globalen Süden umgesetzt werden, ohne die Interessen und Bedürfnisse der Entwicklungsländer angemessen zu berücksichtigen.

So spricht CEO davon, dass von Deutschland geförderte grüne Wasserstoffprojekte im Ausland "kolonialen Mustern" folge. Ressourcen würden angeeignet, während man negative Auswirkungen wie ökologische Schäden und Energieknappheit auf die armen Länder auslagere.

Konflikte um die Nutzung von Land und Wasser zeichneten sich bereits ab und könnten sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, befürchtet CEO. Auch gäbe es große Sorge, dass aufgrund von Megahäfen, Entsalzungsanlagen und Exportinfrastrukturen die Küstengebiete verschmutzt und Fischern die Lebensgrundlage genommen werden könnten.

Ein Beispiel für schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit grünen Wasserstoffprojekten ist die von Saudi-Arabien geplante Megastadt Neom. In ihr hat Thyssenkrupp einen riesigen Elektrolyseur zur Erzeugung von Wasserstoff für den Export installiert. Stammesgemeinschaften wurden gewaltsam von ihrem Land vertrieben, um Platz für Neom zu schaffen. CEO stellt fest:

Mehrere Demonstrierende wurden wegen ihres Widerstands gegen die Vertreibung zum Tode verurteilt, und einer von ihnen wurde im April 2020 von Sicherheitskräften erschossen. Dennoch sollen im Rahmen der deutsch-saudi-arabischen Wasserstoffkooperation 2021 gemeinsame Projekte in Neom durchgeführt werden. Solche Kooperationen stützen und legitimieren autoritäre Regime im Namen der Nachhaltigkeit.

Bei vielen anderen Wasserstoffprojekten im Globalen Süden, oft in afrikanischen Ländern, würden über die Köpfe der dort lebenden Gemeinschaften hinweg die meist zentralisierten Mega-Projekte durchgesetzt. Deutschlands Wasserstoff-Hype habe daher nicht nur nationale, sondern europaweite, wenn nicht globale Konsequenzen, so CEO. Das Fazit der Studienautorinnen und -autoren:

Die deutsche Wasserstoffstrategie wird auch Auswirkungen auf globale Lieferketten und Handelswege haben. Während die Regierung stark in die heimische Produktion von grünem Wasserstoff investiert, plant sie, zwei Drittel ihres künftigen Bedarfs an diesem Gas durch Importe zu decken. In der Tat wird Deutschland mit einem geschätzten Anteil von 60 bis 70 Prozent am künftigen Gesamtbedarf der EU der größte Wasserstoffimporteur in Europa werden. Das erklärt, warum deutsche Politiker in den letzten Monaten rund um den Globus gereist sind, um Verträge mit potenziellen Exportländern zu unterzeichnen.

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