Willy Brandt und Carl Schmitt

Die Verhandlungen um die neuen Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag zeigen, wie sehr die SPD zum Gegenteil ihrer einstigen Erscheinung wurde

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Nach der gestrigen Sommerpausen-Sondersitzung sollen die vier von SPD, Union, FDP und Grünen befürworteten neuen Begleitgesetzentwürfe zum Lissabon-Vertrag am 8. September vom Bundestag beschlossen und am 18. vom Bundesrat durchgewunken werden, so dass sie am 1. Oktober in Kraft treten.

Im ersten der vier Gesetze, dem "Integrationsverantwortungsgesetz", werden die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni bemängelten Möglichkeiten zu "verborgenen Vertragsänderungen" unter einen Gesetzesvorbehalt gestellt. Das betrifft unter anderem die Übertragung von Hoheitsrechten an die EU und die Umgestaltungen von Entscheidungsverfahren. Bei bestimmten Eingriffe in den Sozialstaat und das Strafrecht gibt es nun ein "Notbremseverfahren", das den Europäischen Rat via einer Verpflichtung der Bundesregierung zu einer Neubefassung zwingen soll.

Das zweite Begleitgesetz, das EUZBBG, wertet im Grunde nur eine bereits existierende "Vereinbarung" zwischen dem Bundestag und der Regierung über die "Zusammenarbeit" in EU-Fragen zum Gesetz auf. Es gewährt den Abgeordneten keine wirkliche Macht, sondern fordert, dass sie "informiert" werden sollen und regelt, wann sie "Stellungnahmen" abgeben können. Außerdem legt es explizit fest, dass die Regierung sich nicht an Mehrheitsbeschlüsse des Parlaments halten muss, wenn sie "außen- oder integrationspolitische" Gründe dafür sieht, anders zu handeln. Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik gab es sogar eine Verschlechterung gegenüber der Vereinbarung: Dort soll die Regierung das Parlament zukünftig nur mehr eingeschränkt informieren müssen.

Im EUZBLG, dem dritten Begleitgesetz, wird die "Zusammenarbeit" zwischen der Bundesregierung und den Länderregierungen geregelt. Das vierte Gesetz schließlich fasst mehrere Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zusammen.

In der CSU, die mehr versprochen hatte, bemühte man sich, das Ergebnis schönzureden und meinte von insgesamt 14 Forderungen "bislang neun [...] ganz oder in wesentlichen Teilen durchgesetzt" zu haben. Allerdings verschwieg man, dass diese praktisch allesamt schon vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben waren. Hinsichtlich weiterer Anliegen konnte die Partei lediglich bei der kommunalen Daseinsvorsorge und der Kontrolle der Handelspolitik minimale Zugeständnisse erwirken. Alles, was darüber hinausging, wurde entweder begraben oder in einen Entschließungsantrag ausgelagert, dem die SPD nicht zustimmen will.

Die sah in den vier Gesetzen ihre Positionen vollständig durchgesetzt und warb öffentlich damit, alle Forderungen der CSU nach Volksabstimmungen und weitergehenden demokratischen Kontrollbefugnissen abgewehrt zu haben. Die in diesem Zusammenhang gemachten Äußerungen der sozialdemokratischen Spitzenpolitiker wie Thomas Oppermann und Axel Schäfer zeigten eindrucksvoll, wie weit sich die Partei mittlerweile vom alten Willy-Brand-Slogan "Mehr Demokratie wagen" ab- und einer Carl-Schmitt-Haltung zugewandt hat. Auch wenn man es in beiden Parteien wahrscheinlich nicht gerne hört: Die SPD ist heute wesentlich näher am Franz Josef Strauß der 1960er Jahre als die CSU. Und nicht nur sie: Auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth meinte im Münchner Merkur, es sei ein "Glück für Europa", dass sich die Befürworter von Volksabstimmungen und stärkeren Mitwirkungsrechten der Parlamente nicht durchsetzen konnte.

Währenddessen unterzeichneten mehrere namhafte Staatsrechtslehrer wie Christoph Degenhart, Otmar Jung, Bernhard Kempen, Michael Elicker und Fabian Wittreck einen "Wider undemokratische Eile - für demokratische Transparenz" benannten Aufruf, in dem Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat dazu aufgefordert werden, die Verabschiedung der Begleitgesetze ordentlich zu beraten und erst nach der Wahl zu verabschieden. In der Begründung des Appells heißt es unter anderem:

Statt eines regulären Verfahrens, das in der parlamentarischen Sommerpause und vor der Bundestagswahl gar nicht mehr möglich ist, treffen sich Vertreter von Koalitions- und Oppositionsparteien, Bundestagsabgeordnete und Landesvertreter in "Gesprächsrunden", bei denen die Teilnehmer, die Verantwortlichkeiten, das Verfahren und die Entscheidungsfindung sozusagen im Schoß der politischen Elite privatisiert sind. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit, eine inhaltliche Debatte über den Zirkel der Spitzenpolitiker hinaus ist so nicht möglich und offenbar auch gar nicht erwünscht.