Wir brauchen Öko-Punks!
Seite 2: Neues "no future"?
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Aus diesem Grund ist die Geste, Tomatensauce auf einen Picasso zu werfen, philosophisch brillant. Warum sollten politische Aktionen bei ernsten Themen nicht auch mal Spaß machen?
Mit der Vernunft scheint es ja so einfach nicht zu klappen. In der Gesellschaftsordnung des liberalen Kapitalismus ist es gleichzeitig vernünftig, ein akademisches Paper über die katastrophalen Auswirkungen von fossilen Brennstoffen zu veröffentlichen und seine Pension durch das Investieren bei Shell und Gasprom zu sichern.
"Wirf Spinat gegen Basquiat und Spagetti gegen Giacometti." – Die Vernunft aktivistisch über Bord zu werfen, ist vielleicht zur Zeit der produktivste Schritt aufzuzeigen, wie eng verwoben unser kulturelles Wertesystem mit der ökologischen Katastrophe ist?
Die vernünftigen Männer und Frauen, die mit dem Privatjet zum COP27 fliegen "um das Klimaproblem zu lösen" zerstören unsere Zukunft, während sie sich empören über ein paar Spritzer am Plexiglas ihrer Lieblingsgemälde. Wenn es nicht so abgrundtief traurig wäre, könnte man eigentlich schallend lachen.
Die globalen Treibhausgase steigen weiter massiv an und selbst in so "überentwickelten" Ländern wie Deutschland steigt sowohl die Pro-Kopf-Anzahl von zugelassenen Autos als auch deren durchschnittliche Größe sowie die Anzahl der Straßen, auf denen sie ihre Abgase der Atmosphäre überantworten können. Ist es bei dieser Lage nicht vermessen von jenen, die diese Katastrophe am heftigsten zu spüren bekommen – der Letzten Generation – auch noch Vernünftigkeit einzufordern?
Dass sich die gesamte "respektable Gesellschaft" heute in Wort und Bild über die Aktionen der Letzten Generationen so empört wie in den prüden 1950er-Jahren über sexuelle Freizügigkeit, zeigt an, dass die moralische Doppelbödigkeit und Heuchelei heute wieder eine ähnliche ist. Vielleicht müssen wir also die Aktionen der Letzten Generation als eine Art "Öko-Punk" verstehen, die diese moralische Doppelbödigkeit aufmischen will.
Denn während im Zeitalter der Atombombe das punkige "no future" die jugendkulturelle Verarbeitungsstrategie eines nahen Weltenendes war, haben sich in den letzten Jahrzehnten kaum Jugend- oder Subkulturen gebildet, die ihre Identitäten um die ökologischen Katastrophe spinnen. Stattdessen wurde Jugendkultur von manchen älteren Semestern als "tot" bezeichnet.
Ich glaube, man kann in den Aktionen der Letzten Generation den noch großteils unbewussten Keim einer solchen neuen Kultivierung des Weltenendes und der Katastrophe sehen. Die Erfahrungen der braveren Versuche rund um Fridays for Future haben den jungen Aktivist:innen gezeigt, dass auf die vernünftige Tour nichts zu erreichen ist. Sie haben versucht, alles richtig und vernünftig zu machen, und alle haben sich gefreut, sie zu ihren Konferenzen eingeladen und dann weiter wie bisher gemacht.
Kartoffelpüree gegen einen allgemein geliebten Kulturschatz zu werfen, bricht mit der Vernunft, genau weil diese innerhalb dieser Gesellschaft zahnlos blieb. In der gegenwärtig unter besonders Jugendlichen weit verbreiteten Stimmung des no future ist es nach Meinung des Autors vollkommen verständlich, die Vernunft in einer gänzlich wahnsinnigen Welt in Frage zu stellen und durch punkige Aktionen die steife Gesellschaft zumindest aus ihrem selbstgefälligen Schlummer zu reißen.
Der Kartoffelpürreewurf zu Potsdam machte wahrscheinlich unheimlich Spaß und gibt dem Überdruss ein gelungenes Ventil. Die Letzte Generation kultiviert ein neues apokalyptisches Lachen.
Vielleicht erleben wir zur Zeit also die Geburt von Öko-Punks, Öko-Goths, Öko-Dadas und Öko-Ravern, die sich den Kollaps unserer Biosphäre kulturell aneignen. Ich glaube, man kann die Aktionen der Letzten Generation als einen Vorboten dieser "Kultivierung der Katastrophe" verstehen.
Damit wäre unheimlich viel gewonnen: Denn solange wir "die Natur" bloß als zu rettendes, weiblich substantiviertes Ding verstehen, werden wir dem Problem in seiner Tragweite nicht gerecht. Der Anspruch, "die Natur zu retten" bringt automatisch ein paternalistisches Verhältnis mit sich, welches uns über die umweltlichen Relationen setzt, die wir eigentlich zuerst mal begreifen müssten um irgendwas ändern zu können.
Dieser Anspruch ist die Ideologie derjenigen, die im Privatjet den Planeten retten wollen, indem sie mit anderen vernünftigen Menschen im ägyptischen Luxusressort Coca Cola schlürfen und ihren Flug mit Carbon Offsetting ausgleichen (und dadurch ganz nebenbei ein paar afrikanische Landstriche für die Pflanzung ihrer Bäume enteignen lassen.)
Die Öko-Punks der Letzten Generation sind vielleicht gerade dabei zu erkennen, dass "Natur" in der modernen Vernunftordnung stets das war, was als der Kultur entgegengesetzt verstanden wurde. Es ist diese Objektivierung der Natur, die ökologische Katastrophe kulturell hervorgebracht hat.
Die Letzte Generation wird den Anspruch aufgeben, die Natur zu retten. Wie in den besetzten Wäldern Frankreichs (den "ZADs") ruft sie stattdessen: "Wir verteidigen nicht die Natur, wir sind die Natur, die sich verteidigt." Und wenn es dazu Tomatensauce aus der Dose braucht.