"Wir brauchen dringend einen Systemwechsel"

Seite 2: "Hartz-IV-Sanktionen sind Warnsignale, Jugendämter sollten hier genauer hinschauen und unter gewissen Umständen einschreiten"

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Da es zuletzt immer wieder unterschiedliche Aussagen gab: Hält die AfD Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger für sinnvoll?

Jörg Schneider: Die Ermessenspielräume sind zu groß. Und das schafft wiederum Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten. Wir wollen das System in der Hinsicht weiterentwickeln, dass wir denjenigen das Leben erleichtern, die auf dem Arbeitsmarkt faktisch keine Chance haben. Sanktionen bringen da nichts, im Gegenteil: Die Betroffenen steigen weiter ab und bekommen neue Probleme.

Die AfD ist also für die Abschaffung der Sanktionen?

Jörg Schneider: Nein. Diejenigen, die arbeiten könnten, aber gezielt boykottieren, denen wir müssen das Leben schwerer machen. In solchen Fällen sind Sanktionen nötig und hilfreich.

Worin unterscheidet sich dieses Vorgehen von der derzeitigen Praxis?

Jörg Schneider: Die meisten Sanktionen werden nicht verhängt, weil die Arbeitslosen Jobangebote ablehnen, sondern weil sie vereinbarte Termine im Jobcenter gar nicht erst wahrnehmen. Das ist ein Unterschied. Die Mitarbeiter in den Jobcentern sagen mir: "Wenn wir merken, da hat jemand keine Lust und sperrt sich, dann schicken wir den doch nicht in die Betriebe, die sich bei uns gemeldet haben." Denn derjenige Arbeitgeber, bei dem dreimal hintereinander ein Arbeitsloser auf der Matte steht, der bereits im Vorstellungsgespräch sagt, er habe keinen Bock, und ergänzt: "Unterschreiben Sie mir mal das Papier hier", der wird sich künftig mit offenen Stellen nicht mehr an die Bundesagentur wenden.

Worauf wollen Sie hinaus?

Jörg Schneider: Dass wir dabei schnell wieder auf das Thema Kinderarmut stoßen. Denn wenn Menschen ihr Leben so wenig im Griff haben, dass sie nicht einmal in der Lage sind, einen Termin im Jobcenter oder beim Arzt wahrzunehmen, dann müssen wir uns schon die Frage stellen, ob Kinder in solchen Familien gut aufgehoben sind. Ich würde sogar sagen, sie sind dort akut gefährdet.

Sie fordern also, dass diejenigen Kinder, deren Eltern Hartz-IV-Sanktionen erhalten, weil sie Termine nicht wahrnehmen, aus den Familien geholt werden sollen?

Jörg Schneider: Hartz-IV-Sanktionen sind Warnsignale, Jugendämter sollten hier genauer hinschauen und unter gewissen Umständen einschreiten. Denn die Eltern, die sich wiederholt derart unverantwortlich verhalten, erziehen ihre Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so, wie wir uns das als Gesellschaft wünschen, um es vorsichtig zu formulieren. Das Kindeswohl sollte stets im Mittelpunkt stehen. Punkt.