Wir brauchen eine Bundesbeauftragte für Erneuerbare Energien!

Seite 2: 100 Prozent Erneuerbare bis 2030 sind möglich

Der einzige Ausweg ist die schnellstmögliche Umstellung auf eine Vollversorgung mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien, am besten bis 2030. Energieeinsparung kann und muss den Weg dorthin unterstützen. Doch genau dieser Weg zu 100 Prozent Regenerativen Energien bis 2030 wurde unter Kanzlerin Merkel verhindert.

Seit 2010 wurde mit vielen Novellen des EEG und EnWG ein überdimensionierter Bürokratieapparat aufgebaut, welchen niemand mehr vollständig überblicken kann. Tausende Einzelvorschriften, ein gesetzlicher Paragraphen-Dschungel, Verordnungen, Normungs- und Zertifizierungsvorschriften und insbesondere strukturelle Veränderungen, wie die Umstellung auf Ausschreibungen, statt der erfolgreichen festen Einspeisevergütung, haben das seit 2000 angestoßene exponentielle Wachstum jäh gestoppt.

Eine Industriepolitik, die etwa für neue Fabriken zur Produktion von Solar- und Windkraftanlagen, neue Speicherfertigung und Wärmepumpen sorgen würde, gab es nicht. Eine durchaus möglich erschienene Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom bis 2020 wurde so verhindert. Ohne die immer stärker aufgebauten enormen Bremsen könnten wir heute bereits bei 100 Prozent Ökostromversorgung stehen, anstatt der erreichten 50 Prozent. Präsident Putin hätte dann keine Chance, uns wirtschaftlich zu erpressen und auch das Klima wäre geschützt.

Im Rahmen der Ampelkoalition haben Sie mit der Verabschiedung des EEG 2023 versucht, entsprechende Hemmnisse auszuräumen, und damit auch schon einiges erreicht. Jedoch ist der bürokratische Umfang kaum kleiner geworden, von einer wirklichen Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien mit exponentiellen Wachstumsgeschwindigkeiten sind wir noch weit entfernt. Ein Beschleunigungsgesetz, wie das für den Ausbau neuer LNG-Terminals, ist es jedenfalls nicht geworden.

Erschwerend kommt hinzu, dass in den Bundesministerien weitgehend noch die gleichen Beamt:innen arbeiten, die im Auftrag ihrer vorherigen Minister:innen seit Jahren den Niedergang und Bürokratieaufbau der Erneuerbaren Energien organisierten. Vielfach gilt offensichtlich das kluge Wort von Hermann Scheer: "Wer ein Problem geschaffen hat, kann es nicht lösen."

Das Umweltministerium hat die Konflikte zwischen Artenschutz und Erneuerbaren Energien noch nicht so gelöst, dass deren Ausbau schnell möglich ist. Noch immer gibt es große rechtliche Hürden in den Bereichen Naturschutz, Denkmalschutz, Landschaftsschutz, militärische Sicherung, Steuerrecht, Verkehrsrecht, Bauordnungen, Landwirtschaftsrecht, Normungsrecht u.a. Die dringend notwendige Sektorenkopplung – also das Eindringen des Ökostromes in den Gebäude-, Verkehrs- und Industriesektor – kommt nur schleppend voran, weil übergreifende Politikansätze für Ministerien schwierig sind. Ferner kommt der Netzausbau vor allem auf Verteilnetzebene nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit voran.

Vor diesem Hintergrund sind wir mit den Erfahrungen der rot-grünen Koalition und auch aus der Wissenschaft der klaren Auffassung, dass es an einer Stelle in der Bundesregierung fehlt, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien als zentrales, ministeriell übergreifendes Aufgabenfeld koordiniert: Der/ Dem Bundesbeauftragten für 100 Prozent Erneuerbare Energien.

Schon unter Rot-Grün wurde die Forderung nach einer/m Bundesbeauftragten für Erneuerbare Energien politisch erhoben. Die Realisierungschancen standen damals gar nicht schlecht, wenn nicht Kanzler Schröder, heutiger Lobbyist für russische Energie, die rot-grüne Koalition fast eigenmächtig frühzeitig aufgelöst hätte.

Wir empfehlen dringend der Ampelkoalition, spätestens im September diesen Jahres, das Amt eines mit qualifiziertem Personal ausgestatteten Bundesbeauftragten für 100 Prozent Regenerative Energien zu schaffen. Durch die Hilfe und Durchgriffsmöglichkeiten eines derartigen Amtes können auch kurzfristig Hemmnisse identifiziert und ausgeräumt werden, die noch im kommenden Winter helfen, die fossil-atomare Energienot zu mildern.

Dazu gehört unbürokratische Hilfe beim Anschluss bereits bestehender Solar- und Windkraftanlagen sowie Hilfe bei der Planung und Genehmigung neuer Anlagen. Bereits 2023 wären dann gute Gesetzes-Novellen vorzulegen und durchzusetzen, die das Bürokratiemonster aus EEG und EnWG entschärfen und den einst erfolgreichen, exponentiellen Ausbau der Regenerativen Energien insbesondere mit Hilfe von Investitionen wieder auf Erfolgskurs setzen.

Mit diesem wichtigen Ansatz können 100 Prozent Erneuerbare Energien bis 2030 in allen Energiesektoren entsprechend vorliegender wissenschaftlicher Machbarkeitsstudien verwirklicht werden und mit ihnen Klimaschutz, bezahlbare Energiepreise und vor allem Unabhängigkeit von geopolitisch gefährlichen Energielieferungen.

Darüber hinaus wird Deutschland eine international bedeutende, führende Rolle in der Transformation des Energiesystems zu Erneuerbare Energien übernehmen, zusammen mit Kalifornien in den USA, China, Costa Rica und vielen anderen Ländern, die zum Teil auf diesem Weg bereits deutlich weiter sind als wir."

Prof. Eike Weber ist Physiker. Er leitete lange das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, war Direktor des Zentrums für Erneuerbare Energien der Universität Freiburg und Leiter der Berkeley Education Alliance for Research in Singapore. Seit 2019 ist er Ko-Präsident des European Solar Manufacturing Council.

Axel Berg ist Vorsitzender der deutschen Sektion von Eurosolar. Von 1998 bis 2009 war er für die SPD im Bundestag und Obmann für seine Fraktion in der Enquête-Kommission Nachhaltige Energieversorgung. Zugleich war er stellvertretender Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Energie.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.