"Wir haben moralisch recht"
Fernab der in Europa üblichen Restriktionen in der Biotechnologie haben Forscher unter enormen Erwartungsdruck und politischen Attacken aus den USA auf Kuba weitgehend freie Hand
Von dem politischen Alltag Kubas ist auf dem Gelände des "Centro de Ingeniería Genética y Biotenología" (CIGB) im Westen Havannas wenig zu spüren. Hochmoderne Labore, Sicherheitsschleusen und strahlend neue Gebäudekomplexe bestimmen das Bild. Abgeschirmt von der Außenwelt forschen seit 1986 fast 1.300 kubanische Wissenschaftler in den 150 Laboren. Auch Treibhäuser und Versuchslabore gehören zu der Ausstattung des 70000 Quadratmeter großen CIGB-Geländes.
Nur einmal hat Luis Herrera, einer der drei Präsidenten des nahe Havanna ansässigen CIGB auf einer der politischen Massenveranstaltung der Regierung gesprochen. Als US-Vizeminister John Bolton die Regierung des Karibikstaates im Mai dieses Jahres kurz vor dem Besuch (Ehemaliger US-Präsident in Kuba) des ehemaligen US-Präsidenten James Carter erstmals der Herstellung und Verbreitung von biologischen Kampfstoffen beschuldigte(Neben Libyen und Syrien rückt einmal wieder Kuba ins Visier der USA), trat der Wissenschaftler auf einer der in den vergangenen Jahren regelmäßig stattfinden "Offenen Tribünen" auf, einer Art institutionalisierter Massendemonstrationen.
"Können sie sich die Wut vorstellen, die man in Anbetracht solcher Vorwürfe empfindet, wenn man inmitten von Kollegen arbeitet, die auf viel verzichten, um den Ertrag in der Landwirtschaft zu steigern oder Impfstoffe zu entwickeln?", so der zweite Direktor des Zentrums Carlos Borroto in der vergangenen Woche gegenüber "Telepolis" in Havanna. Begründet wurden und werden die Vorwürfe aus dem ultrarechten Lager der Bush-Administration mit der hochentwickelten biotechnologischen Forschung des Karibikstaates.
Politische und selbstverschuldete Isolation
Das allerdings ist unbestritten. Kuba, seit Jahrhunderten als die "Zuckerinsel" bekannt, hat unlängst fast die Hälfte der zuckerverarbeitenden Betriebe geschlossen. Die nationale Wirtschaft des Inselstaates erlebt einen Strukturwandel, der mit den Schließung der Zechen in der Bundesrepublik in den achtziger Jahren vergleichbar ist, nur wirkt er sich hier auf das gesamte Land aus. Zum Umbau der Wirtschaft entschloss man sich hier, nachdem der Zuckerpreis auf dem Weltmarkt immer weiter gefallen war. Besonders die Bioindustrie hat seither massive Förderung erfahren.
Erstes Ziel für Kubas Biotechnologen und Genetiker ist die Erwirtschaftung von Devisen für die von der Auflösung des Ostblockhandels immer noch stark in Mitleidenschaft gezogene Wirtschaft Kubas. 1999 wurden durch Tourismus auf Kuba 1,8 Milliarden Dollar erwirtschaftet, die biomedizinische Forschung ließ 40 Millionen Dollar in die Staatskassen fließen. Größere Erfolge werden ungeduldig erwartet.
Dass sich diese Forschung trotz allem Leistungsdrucks aber durchweg im zivilen Bereich bewegt, bekräftige Borroto auch auf dem Kongress Biotechnologie 2002 mehr als einmal. Beinahe 700 Wissenschafter aus allen Teilen des Globus waren dafür In der letzten Novemberwoche nach Havanna gekommen. Unter den Gästen befanden sich namhafte Forscher wie Keith Campbell, der an der Universität von Nottingham an der Züchtung des Klonschafs Dolly führend beteiligt war.
In den vergangenen Jahren haben nach Angaben des Zentrums gut 6000 internationale Wissenschaftler die kubanischen Forschungseinrichtungen durchlaufen, ein Zehntel von ihnen stammt aus den USA. Zwar sei ihm kein Fall bekannt, in dem die politischen Umstände einen US-Kollegen von einer Reise nach Kuba abgehalten haben, "aber die Hürden und eventuelle politische Folgeprobleme halten wohl einige Wissenschaftler von der Kooperation mit uns ab", so Borroto. In Havanna ist man davon überzeugt, dass selbst renommierte Kollegen in den USA vor den anticastristischen "pressure groups" kapitulieren. "Niemand will sich die Karriere verbauen", vermutet der Präsident des Institutes.
Trotz dieser politischen Isolation konnten die kubanische Labore binnen weniger Jahre eine Reihe von Erfolgen vorweisen. Zu den international akzeptierten Entwicklungen gehört im humanmedizinischen Bereich die Impfung gegen Hepatitis-B und in der Veterinärmedizin ein Impfstoff gegen von Zecken übertragene Infektionen. Der Impfstoff gegen die Gelbsucht Hepatitis-B wird bereits auf pflanzlicher Basis bei der CIGB hergestellt. Derzeit forschen die kubanischen Wissenschaftler nach einer Impfung gegen den Krankheits- Erreger von Hepatitis-C, gegen das Dengue-Virus und das HI-Virus. "Eine unserer größten Aufgaben ist, die Entwicklungen trotz der US-Blockade international zu vermarkten."
Weil die im Rest der Welt üblichen Patentrichtlinien und Wissenschaftsabkommen zur Kontrolle der Forschungsstandards in Anbetracht der raschen Entwicklung der Biotechnologie und Genforschung auf Kuba oft nicht unterzeichnet wurden, war das Misstrauen gegenüber diesen Entwicklungen lange groß. Zudem zeigten auch hier die politischen Spannungen Wirkung. Aus Angst vor Anschlägen und Industriespionage glichen die kubanischen Forschungsinstitutionen lange Hochsicherheitsgefängnissen. Getäuscht hatte sich die Regierung aber darin, dass hinter verschlossenen Türen entwickelte Produkte international auf Akzeptanz stoßen. Erst in den vergangenen Jahren ging man daher zu international üblichen Publikationen und der Teilnahme und Ausrichtung von Symposien über. So bekamen über 200 Journalisten während des Kongresses Ende November erstmals nach dem Besuch Carters wieder umfassenden Einblick in die Labore, in denen nach Auffassung der Bush-Administration biologische Kampfstoffe entwickelt werden.
Junge Diskussionskultur unter Wissenschaftlern
Bisweilen werden in der Forschung unkonventionelle Wege gegangen. So erklärte Siannah Mas Diego von der Universidad de Oriente in Santiago de Cuba ein Projekt, das die Biogasproduktion erhöhen soll. Bis 1998 im Golf von Mexiko eigene Erdöl- und Erdgasvorkommen entdeckt wurden, galt die Biogasentwicklung als eine künftige Stütze für die nationale Energieversorgung. Mas Diego setzt die mit einem Pilz vermengten Bioabfälle einem Magnetfeld aus, um die Vergärung zu beschleunigen. "Da bei kommt uns der Hall-Effekt zugute", kommentierte die Wissenschaftlerin.
Der nach dem englischen Physiker Hall benannte Effekt ist eine der wichtigsten durch Magnetfelder ausgelöste Effekte. Trifft ein Magnetfeld senkrecht auf eine elektrisch leitfähige Flüssigkeit, so erfolgt eine Ionentrennung. Die positiv geladenen Ionen werden vom gleich geladenen Nordpol des Magnetfeldes abgestoßen, die negativ geladenen Ionen angezogen. Beim negativ geladenen Südpol vollzieht sich dies in umgekehrter Weise. Durch die Ionentrennung entsteht dann eine minimale elektrische Spannung. Das Zellplasma der pflanzlichen Stoffe bei der Vergärung stellt ebenfalls eine elektrisch leitfähige Flüssigkeit dar und enthält eine Unzahl von Ionen, z.B. Natrium (+), oder das Chlor (-). Wenn beispielsweise eine Magnetfolie auf einem bestimmten Körperteil aufliegt, muss das sich fortbewegende Blutplasma die unterschiedlichen Polfelder durchqueren, wobei die oben beschriebene Ionentrennung zwangsweise erfolgt. Der Hall-Effekt tritt also automatisch ein. Durch diese Elektro-Stimulation erfolgt eine geringe Erwärmung, die den Vergärungsprozess beschleunigt und die Gasproduktion erhöht.
In erster Linie geht es bei der kubanischen Forschung aber um die Erhöhung von Effizienz im landwirtschaftlichen Bereich. Neben der Resistenzforschung gegen pflanzliche wie tierische Schädlinge will man in den Laboren die Produktivität erhöhen. Die rapide Entwicklung des Forschungszweiges hat die Wissenschaftler in dem Karibikstaat dabei lange nicht nur von der internationalen Forschungsdiskussion ausgeschlossen. Auch die Debatte um die Risiken der Veränderung tierischer und pflanzlicher Organismen war in hiesigen Laboren über Jahre hinweg weitgehend unbekannt. Die eigene Forschung wird moralisch begründet.
"Zuletzt ist bei dem UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung bestätigt worden, dass sich nur 20 Prozent der verbrauchten Bioressourcen regenerieren", führte der Biologe Mario Estrada gegenüber den anwesenden Journalisten aus. In Anbetracht dieser Zahlen sei es unabdingbar, eine Diskussion um die Erhöhung der Produktivität in der Landwirtschaft zu führen. Und eben hierbei spiele Genetik und Biotechnologie eine wichtige Rolle. Und auch Borroto findet, dass die CIGB-Forschung "in Anbetracht der internationalen Diskussion um Ernährungssicherheit ein wichtiger Beitrag" sei, der die biotechnologisch Forschung moralisch rechtfertige.
Ein Gegendiskurs wurde von der katholischen Kirche angestoßen, die seit dem Papstbesuch 1998 von Staatschef Fidel Castro mehr Freiaum zugesprochen bekommen hat. In den neuen kirchlichen Monatspublikationen Kubas sind durchweg Beiträge über Bioethik zu finden. Das Engagement geht auf eine Initiative von Papst Johannes Paul II zurück. Er hatte wenige Monate vor seiner Kubareise von kirchlichen Funktionsträgern gefordert, Maßstäbe in der Bioethikdiskussion zu setzen. So war im September 1997 in Rom ein "Internationaler bioethischer Kongress für Priester" ausgerichtet worden.
Das Monopol in der Debatte hat die Kirche aber nicht mehr. So wurde kurz vor dem Biotechnologiekongress von der Agraruniversität von Havanna ein Symposium zur Bioethik in der Landwirtschaft einberufen. Zudem ist die kubanische Akademie der Wissenschaften Mitglied in der Internationalen Gesellschaft für Bioethik. Zu deren erklärtem Ziel gehört es, das Problembewusstsein für bioethische Fragestellungen zu schärfen.
"Deutlich weniger Restriktionen als in Deutschland", sieht die deutsche Biotechnikerin Birgit Kersten vom Max-Planck-Institut. "Kuba hat hier, wenn auch aus der Not geboren, einen interessanten Weg eingeschlagen", so die Wissenschaftlerin im Gespräch mit Telepolis. Eine enge Rahmensetzung sei aber auch in dem Karibikstaat nötig. Wissenschaftler brächten nicht im Vornhinein ein ethisches Bewusstsein in die Labore. "Das hat die deutsche Wissenschaftsgeschichte gezeigt", so Kersten, die Mitglied im Gen-ethischen Netzwerk ist. Eine Kontrolle von staatlicher Seite und eine Diskussion zwischen Wissenschaftlern und Gesellschaft sei daher in jedem Land unabdingbar.